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05.08.2013

Nach der Pflicht die Kür

Klinikseelsorger Rainer Frisch geht in Ruhestand

FRANKFURT.- Alle paar Jahre braucht er den Wechsel, Stagnation ist seine Sache nicht: Der Frankfurter Klinikseelsorger Rainer Frisch kann viele Stationen aufzählen, wenn er sein bisheriges Leben Revue passieren lässt. Geboren am 2. August 1948 in Homburg/Saar entscheidet er sich nach dem Abitur für ein Theologiestudium in Mainz und Tübingen, wird Lehrer an der deutschen Schule in Paris. Doch so gern er hier arbeitet, es muss doch noch was anderes geben, Also stellt sich die Frage, ob Verlagswesen oder Erwachsenenbildung die nötige Abwechslung bringen könnte, schließlich ist es keins von beiden, sondern der Einstieg in das damals neue Amt eines Pastoralreferenten im Bistum Limburg, „ein bisschen die Leute verschrecken mit Jugendgottesdiensten und neuer Musik und viel Trara“ in Königstein, gibt er lachend zu.  

Schließlich drängt sich immer mehr der Gedanke in den Vordergrund Priester zu werden. Auf die Priesterweihe im Dezember 1980 folgen fünf Jahre als Kaplan am Frankfurter Dom mit deutsch-französischen und ? damals noch ganz ungewohnten ? deutsch-türkischen Jugendprojekten. Sein Spitzname Don Krawallo rührt aus dieser Zeit. Aber Wechsel muss sein: Neun Jahre als Gemeindepfarrer in Wehrheim und Neu-Anspach im Taunus schließen sich an, mit viel Kinder- und Jugendarbeit, Familienfreizeiten und der Erarbeitung eines  Curriculums für katholischen Religionsunterricht von der ersten bis zur 12.Klasse. „Da steckte noch der Lehrer drin!“  Auch das Amt des Bezirksdekans im Hochtaunus hat Frisch in diesen Jahren inne.  

Aber dann muss es mal wieder etwas ganz anderes sein: 1994 wechselt Frisch zur Katholischen Hochschulgemeinde in Frankfurt und wird für zehn Jahre Hochschulseelsorger. Noch heute klingt die Begeisterung durch, wenn Frisch von dieser Zeit berichtet: „Junge Leute begleiten zu dürfen, wenn sich für sie das Leben öffnet“, das hat ihm gefallen. Auch die vielfältigen Facetten, Studenten, aber auch Lehrende individuell zu begleiten, das kulturelle Programm, das er mit seinem Team auf die Beine stellt: jede Woche ein Konzert, Exkursionen, „zum Teil ziemlich verrückt, nach Mexiko oder mit der Transsibirischen Eisenbahn, nach Usbekistan und ins Baltikum.“ Hier kann Frisch seine Leidenschaft für ferne Länder, aber auch seine Begeisterung für Kunst und Literatur verbinden: „Ich wollte unbedingt mal nach Czernowitz, der Heimat von Paul Celan, und nach Nidden auf der Kurischen Nehrung, wo Thomas Mann ein Sommerhaus hatte.“  

Aber auch die Studentenseelsorge kann nicht auf Dauer das Ziel dieses quicklebendigen Mannes  sein. Für die letzten Berufsjahre soll es noch einmal was Neues sein. Seelsorge am Flughafen oder direkt auf der Zeil, „wo die Ströme der Leute sind, die Strömungen der Gesellschaft“, so etwas schwebt ihm vor. Doch Bischof Franz Kamphaus entscheidet anders: Die Klinikseelsorge legt er Frisch ans Herz. „Das kann ich mir gar nicht vorstellen“, wehrt der ab und lässt sich doch darauf ein, absolviert eine klinische Seelsorgeausbildung in Würzburg und steigt in Wiesbaden bei den Horst-Schmidt-Kliniken ein.  

Vier Jahre, dann lockt die Leitung der Katholischen Klinikseelsorge an der Frankfurter Universitätsklinik. Und wieder ist Frisch begeistert von der Vielfalt der neuen Arbeitsfelder, aber auch tief beeindruckt von den existentiellen Erfahrungen, die er hier mit Patienten und deren Angehörigen teilen darf. „Was gerade auch die Familien der Kranken auszuhalten haben, ist enorm,“ weiß er. Schwere Krankheiten, schlechte Prognosen, Hoffnungen und Ängste im rasanten Wechsel. „Am schlimmsten ist wohl das ergebnislose Warten auf ein Spenderorgan“, so sein Eindruck aus den fast sieben Jahren am Theodor-Stern-Kai. „Hoffnung, Zweifel, Todesangst, schließlich allzu oft die Erkenntnis, dass kein passendes Organ mehr kommen wird, das ist kaum auszuhalten, da geht man aus dem Krankenzimmer und heult Rotz und Wasser.“ 

Dennoch, trotz aller Schwere, „meine Lieblingsstation ist die Palliativstation“, sagt Frisch mit einem feinen Lächeln. Es sei tröstlich zu sehen, wie Menschen mit Hilfe der Palliativmedizin, die nicht mehr den Anspruch hat zu heilen, sondern den Patienten die letzte Lebensphase erträglich machen will, „ganz oft noch mal eine neue Lebensqualität gewinnen“. Zu sehen, was wirklich wichtig ist, was noch erledigt werden muss, noch einmal die Beziehung zum Partner neu ordnen, „das hat eine besondere Tiefe und Innigkeit und ist sehr, sehr berührend“.     

Aber auch der Wissenschaftsbetrieb eines modernen Großkrankenhauses mit seiner Hochleistungsmedizin, der so vielen schwerkranken Patienten neue Perspektiven eröffnen kann,  fasziniert Frisch. Der Medizinethik räumt er einen hohen Stellenwert ein, beteiligt sich an Zertifizierungskursen für Mitarbeiter ebenso wie für ehrenamtliche Besuchsdienste, berät Ethikkomitees oder steht auch zur Verfügung, wenn sich eine ethische Frage ganz konkret „auf Station“ ergibt. Auch in der Ausbildung muslimischer Krankenhausseelsorger ist Rainer Frisch engagiert, ein „großes Thema, das auf die Krankenhäuser verstärkt zukommt“. 

Auch wenn Frisch als katholischer Pfarrer in den Unikliniken arbeitet, spielt die Konfession doch eine viel geringere Rolle als Außenstehende erwarten. Im Krankenhaus sei Kirchenpolitik überhaupt nicht gefragt, sagt Frisch, selbst die Religion bleibe oft verborgen. Aber wenn Patienten über verpasste Chancen, Brüche in ihrem Leben, Glück oder Unglück sprechen wollten, dann komme der Glaube oft sehr elementar ins Gespräch. Oft wird der Seelsorger von den Stationsschwestern gerufen, Angehörige fragen nach seiner Begleitung, auch die Patienten selbst, oft klopft Frisch auch einfach an die Türen und bietet ein Gespräch an. 

Jetzt geht Rainer Frisch in den Ruhestand, drei Wochen nach seinem 65. Geburtstag wird er am Freitag, 23. August, vom Limburger Weihbischof Thomas Löhr verabschiedet. Seinem Prinzip, alle paar Jahre etwas Neues, bleibt er damit treu. Vor Langeweile ist ihm nicht bange, er wird weiterhin ferne Länder bereisen, noch mehr Zeit für Kunst und die Oper reservieren, sich auch noch in Gesprächsbegleitung und Krisenintervention engagieren, weiterhin mit Muslimen arbeiten: Das schwebt ihm vor: „Die Pflicht ist getan, jetzt kommt hoffentlich noch ein gutes Stück Kür“, schmunzelt er. (dw)

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