07.06.2013
Weltsicht und Weitsicht im Religiösen
FRANKFURT.- Ein besonderes Geburtstagsgeschenk schmückt seit Sonntag, 9. Juni, die katholische Pfarrkirche St. Josef in Frankfurt-Eschersheim: Der Frankfurter Künstler Thomas Bayrle hat für sie zum 100. Geburtstag einen Kreuzweg gestaltet. Zu Beginn des Jubiläumsjahres wurde das Werk jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Gemeinde St. Josef feiert 1914 ihren 100. Geburtstag.
Der Kreuzweg, ein traditionelles Ausstattungsstück katholischer Kirchen, besteht aus 14 Bildern, die den Leidensweg Jesu darstellen und die Gläubigen an sein Leiden und den Tod erinnern und zum Gebet einladen. Das Vorbild für die Kreuzwegstationen sind die Bilder auf der Via Dolorosa (Schmerzensweg) in Jerusalem seit dem 13. Jahrhundert.
Der Künstler Thomas Bayrle zählt zu den herausragenden, international bekannten Künstlern in Frankfurt. Er wurde 1937 in Berlin geboren, lebt aber bereits seit 1956 in Frankfurt, unweit der St. Josef-Kirche, für die er den Kreuzweg gestaltete. Er war von 1972 bis 2002 Professor an der Städelschule in Frankfurt. Bilder aus dem Bereich der christlichen Religion sind dem Künstler nicht fremd. Er schuf in der Vergangenheit die Grafik „Madonna-Mercedes“, als die Zusammensetzung eines Madonnenbildes aus kleinen Bildern eines Mercedes und eine in den Umrissen klassischen Kreuzigung aus der Renaissance mit dem Titel „Frankfurter Kreuz“, das sich auf diesen Verkehrsknotenpunkt bezieht und ihn hundertfach seriell abbildet.
Auch Bayrles Beitrag zur Dokumenta 13 in Kassel mit dem Titel „Monstranz“ aus Flugzeugmotoren verweist auf ein christliches Objekt, obgleich es als solches weit weg ist von dem, was dieser Begriff im Repertoire christlicher Sprache bedeutet. Wohl aber hören die Betrachter aus dem Motorenblock statt der üblichen Motorengeräusche liturgische Gesänge und das Rosenkranzgebe einer realen katholischen Gemeinde in Frankfurt, nämlich St. Josef in Eschersheim.
Die Arbeiten des Künstlers machen deutlich, dass für ihn Kunst und Religion nicht zu trennen sind. Beide sind vielmehr aufeinander bezogen und miteinander sprachlich und inhaltlich verknüpft. Die Kreuzwegstationen in Eschenheim sprechen von dieser Maschenstruktur religiöser Wirklichkeit. Thomas Bayrle macht dies durch die grafische metallene Struktur seiner Arbeit deutlich. Jedes einzelne Element der 14 Stationen setzt sich aus hunderten von Maschen zusammen oder erwächst aus einem dichten Maschenknäuel.
„Die St. Josef-Kirche in Frankfurt-Eschersheim gewinnt mit diesem Kunstwerk einen künstlerischen Stellenwert, der in Frankfurter Kirchen seinesgleichen sucht“, betont der Direktor des Frankfurter Dommuseums, August Heuser. Thomas Bayrle schenke der Kirche damit nicht nur ein Kunstwerk von hohem Rang, sondern auch „ein Stück Weltsicht und Weitsicht im Denken über Religion in unserer Gesellschaft“.