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18.09.2014

Eine Frau der Begegnung und des Dialogs

Über 1000 Gläubige beim Hildegardisfest in Eibingen

RÜDESHEIM/Eibingen. ? Wirklich revolutionäre Christen wollen in der Kirche leben, auch wenn sie ihre Grenzen und Sünden erkennen: Das hat Bischof Ambrogio Spreafico beim Hildegardisfest in Eibingen gesagt. Die Kirche werde von innen erneuert, indem man sie liebe und sich persönlich dafür einsetze, betonte der Gast aus dem italienischen Bistum Frosinone-Veroli-Ferentino, der am Mittwoch, 17. September, dem Pontifikalamt vor der Wallfahrtskirche St. Hildegard vorstand. Bei strahlendem Wetter hatten sich für den morgendlichen Gottesdienst und die traditionelle Reliquienprozession am Nachmittag über 1000 Gläubige aus der näheren und weiteren Umgebung, unter anderem auch aus Frankreich, eingefunden. Bischof Spreafico, der Mitglied der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse der Heiligen Hildegard war, würdigte deren Weisheit, die noch heute ein leuchtendes und nachahmenswertes Beispiel bleibe.

Prophetischer Geist

Hildegard sei eine Frau der Begegnung und des Dialogs gewesen, sagte der Bischof. Die heutige Welt dagegen „möchte uns voneinander fern halten, sie führt zum Alleinsein, vielleicht mit Kontakten im Internet, aber wenig in der Wirklichkeit.“ Ihn beeindrucke an der Heiligen nicht nur ihre Liebe zu Gott, sondern auch die zur Schöpfung und zum Menschen. In ihrem großen Werk Scivias zeige sich auf der Grundlage einer tiefen und in ihren Visionen erkennbaren Vertrautheit mit Gott der prophetische Geist von Hildegard. „Denn wer ist ein Prophet außer dem, der seine Zeit auf der Grundlage einer tiefen Gottesbeziehung lesen und deuten kann?“, erklärte der italienische Geistliche. Es brauche Frauen und Männer, „die uns helfen können, die Zeiten und Ereignisse zu verstehen, denn oft sind wir in uns selbst, in Vorurteilen und auch in Ignoranz gefangen.“

Mitleid angesichts von Leid und Krankheit 

Hildegard habe angesichts von Leid und Krankheit mit der Haltung Jesu gelebt: mit Mitleid, sagte Spreafico, der in diesem Zusammenhang eine heute weit verbreitete materialistische und rationalistische Einstellung kritisierte und den "Drang zur Euthanasie" sowie die Verlassenheit der alten Menschen als Zeichen für eine Welt nannte, die Angst vor der Gebrechlichkeit und Schwäche habe. Gott suche keine Gerechten oder Heilige, sondern Frauen und Männern, die auf ihn blickten, wie es Hildegard getan habe. Abschließend ermutigte er seine Zuhörer, in ihrem Sinne „ bei den Leidenden, den Kranken, den alten Menschen, den Armen und Verachteten zu sein.“ 

Reliquienfeier und Prozession

Dass die Heiligsprechung Hildegards und die Erhebung zur Kirchenlehrerin vor zwei Jahren dem alljährlich gefeierten Hildegardisfest noch einmal einen besonderen Stellenwert in der Region und weit darüber hinaus verliehen haben, war an der großen Zahl der Gläubigen deutlich abzulesen. Großen Andrang gab es auch bei der Reliquienfeier, bei der Bezirksdekan Georg Franz Hildegard als Pendlerin zwischen zwei Welten beschrieb, die den Weg Gottes zu den Menschen und den Weg des Menschen zu Gott erklärt habe. Anschließend folgte die Reliquienprozession mit dem Schrein durch die geschmückten Straßen der Gemeinde. Die Prozession wird seit 1857 jedes Jahr veranstaltet. (rei)

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