01.12.2015
Integration braucht sozialen Ausgleich
BAD HOMBURG. ? Nach all den kontroversen Debatten rund um das Thema Flüchtlinge war das Gespräch in der Bad Homburger Schlosskirche vor rund 150 Besuchern bewusst als Gegenmodell angelegt. Ein Moment jenseits der Alltagsproblembewältigung, um inne zu halten und eine Auszeit zum Nachdenken zu nehmen, wie Moderator Meinhard Schmidt-Degenhard zu Beginn ankündigte. Unabhängig von dieser Vorgabe waren sich die Podiumsteilnehmer des 19. Gesellschaftspolitischen Forums am Montag, 30. November, sowieso in den entscheidenden Punkten einig. In der Freude über die Willkommenskultur - „Überwältigend und fantastisch“, nannte Pfarrer Dr. Wolfgang Gern, Vorstandsvorsitzender Diakonisches Werk in Hessen und Nassau, das zivilgesellschaftliche Engagement ? in der Zuversicht, dass die Aufgabe leistbar ist: „Natürlich ist das zu schaffen“, so Rainer M. Gefeller, Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse - und in der eher pessimistischen Beurteilung der europäischen Entwicklung.
Verantwortung Europas
So positiv angetan sich Prinz Asfa-Wossen Asserate vom Verhalten der Deutschen zeigte, so harsche Worte fand er im Blick auf die Fluchtursachen. Afrikanische Gewaltherrscher und Diktatoren seien die größten Exporteure von Migranten, sagte er, „mit unseren Steuergeldern alimentiert“. Scharf kritisierte er auch die sogenannte Realpolitik: Europa verhandele artig mit jedem Machthaber, unabhängig davon, was dieser mit seinen Landsleuten mache. Hauptsache, er sei bereit, sein Koltan, sein Silber und Gold zu verkaufen. Der Schlüssel für ein friedlicheres Miteinander in Afrika ist für ihn die Religion. Der von ihm gegründete Verein pactum africanum hat sich zur Aufgabe gesetzt, die friedliche Koexistenz von Christen, Muslimen und Juden zu fördern.
Werteorientierung
Die Realpolitik, die nach dem Motto verfahre „Mehr vom selben“, nahm auch Bernd Mesovic, stellvertretender Geschäftsführer von Pro Asyl, scharf aufs Korn. Das Schließen der Balkanroute, das „Einkaufen der Türkei als Türsteher“ sei nichts anderes als das Outsourcing von Verantwortung, sagte Mesovic. Seine skeptische Frage nach der Zukunft Europas unter solchen Vorzeichen wurde auch von den anderen Gesprächspartnern aufgegriffen. „Wenn es wieder Grenzen gibt, ist Europa tot“, betonte Dr. Asserate, der mit Blick auf die Integration hierzulande das Einüben europäischer Werte „vom Kindergarten an“ forderte. Dass eine Rückbesinnung aller auf die eigenen Werte nötig sei, sagte Gefeller. Für ihn liegt darin eine Chance, „dass wir uns selbst der Werte bewusst werden, die die Grundlage unserer Gesellschaft sind.“
Sozialpolitik inklusiv und integrativ denken
Die große Bedeutung der Sozialpolitik bei der Integration von Flüchtlingen unterstrich Pfarrer Wolfgang Gern. Sie könne nur gelingen, wenn der gesamte soziale Ausgleich im Blick sei. Energisch plädierte er dafür, neu über Prioritäten in diesem Bereich nachzudenken und die Versäumnisse der letzten Jahre, angefangen beim sozialen Wohnungsbau, anzugehen. „Wir müssen Sozialpolitik inklusiv und integrativ denken“, sagte er eindrücklich, das gelte europaweit. Darüber hinaus forderte er einen „professionellen Sockel“ für das Ehrenamt und bessere Strukturen. Einig waren sich die Gesprächspartner bei aller Zustimmung zur Willkommenskultur darin, dass die Integration „ein zäher, langer Prozess“ werde, der die Sozialsysteme entsprechend belaste, wie Gefeller sagte. Er plädierte dafür, den Diskurs über Ängste und mögliche Probleme nicht rechten Randgruppen zu überlassen und warnte vor Illusionen und falschen Vorstellungen.
Den Menschen Mut machen
Gelassenheit, Planungssicherheit und Herzenswärme sind laut Dr. Gern Eckpunkte für das Gelingen. Dazu müsse den Menschen Mut gemacht werden, sagte er, mahnte an, die Verantwortung auch für die Stimmung im Land zu übernehmen und sorgte mit einem Zitat von Martin Luther King für ein zumindest zuversichtliches Schlusswort: „Wir werden die Welt nicht retten, aber wir werden morgen früh damit wieder anfangen.“ (rei)
Das gesellschaftspolitische Forum Hochtaunus wird vom Evangelischen Dekanat, dem Katholischen Bezirksbüro und der Katholischen Erwachsenenbildung veranstaltet.