FRANKFURT, 19.12.2018
Vom Ruß befreit: Liebfrauen offeriert unbekannte Schätze
Sie war ziemlich düster und ein bisschen in die Jahre gekommen, aber auch heimelig und vertraut und als Ort der Andacht und des Gebetes eine der beliebtesten Kirchen der Stadt: Seit Sommer ist die Liebfrauenkirche mitten in der Frankfurter City geschlossen, seit zwei Jahren wird sie gründlich renoviert. Mitte 2019 soll sie feierlich wiedereröffnet werden. Und die treuen Liebfrauenfans können sich auf so manche Überraschung freuen.
Am Mittwoch, 19. Dezember, gaben Bürgermeister und Kirchendezernent Uwe Becker und der Kirchenrektor von Liebfrauen, Bruder Christophorus Goedereis, einen ersten Einblick in die Innenrenovierung. Beide konnten mit einigen unerwarteten Entdeckungen aufwarten. So wurde nicht nur eine schön gearbeitete, steinerne Stifterfigur entdeckt, deren Herkunft unbekannt ist. Im Kreuzrippengewölbe des Hochchores konnten auch die Wappen der Stifterfamilien vom Ruß der Jahrhunderte befreit und in ihrer ganzen Pracht freigelegt werden.
Hinter Tapeten und Kleister wurde zudem ein alter Kreuzweg freigelegt, der über Jahrzehnte in Vergessenheit geraten war, aber für das kulturelle Gedächtnis der Stadt von großer Bedeutung ist, und schon jetzt hinter den Gerüsten in seiner leuchtenden Farbigkeit für Aufsehen sorgt. Geschaffen wurden die großen Mosaiktafeln, die den Leidensweg Jesu zur Hinrichtung am Kreuz nachzeichnen, in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von dem Frankfurter Künstler Ludwig Becker.
Berhard und Ludwig Becker - Frankfurter Schicksale
Gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Bernhard steht Ludwig für die Frankfurter, die aus ihrem Glauben heraus dem Nazi-Regime Widerstand leisteten. Die beiden Brüder, 1913 geboren, wuchsen bei ihren Großeltern im Nordend auf. Bernhard leitete in der katholischen Gemeinde St. Bernhard die katholische Jugendarbeit. Seine Gruppe geriet immer mehr in Widerstand zur um sich greifenden Nazi-Ideologie.
Im November 1937 wurden Bernhard und zehn seiner Kameraden von der Gestapo verhaftet und ins Gerichtsgefängnis gebracht. Trotz eines Freispruches wurde Becker wieder eingesperrt, misshandelt und gedemütigt. Wohl im Glauben, seine Freunde retten zu können, nahm er sich im Dezember 1937 in seiner Zelle das Leben. Über das Schicksal des Zwillingsbruders Ludwig ist dagegen nur wenig bekannt. Er arbeitete als freier Künstler, gestaltete Kirchenfenster in Frankfurt und Umgebung und schuf zahlreiche Graffiti an Kirchen und öffentlichen Gebäuden. Nach dem Ende des Nationalsozialismus erhielt er ein Lehramt an der Krefelder Fachschule für künstlerische Web- und Druckgestaltung, kehrte allerdings später nach Frankfurt zurück. Über den Tod seines Zwillingsbruders kam er nicht hinweg, verfiel mehr und mehr in Depression und nahm sich 1971 das Leben.
Hetty Krists Kreuzweg soll eine neue Heimat finden
1996 schuf die Frankfurter Künstlerin Hetty Krist einen neuen, viel beachteten Kreuzweg für die Liebfrauenkirche. Sie stellte den Leidensweg Christi in aktuelle Bezüge und verband auf vier großen Bildtafeln Vergangenheit und Gegenwart, ausgerichtet auf eine fünfte Bildtafel, den Auferstehungs-Zyklus. Schon damals sorgte die Künstlerin dafür, dass der Originalkreuzweg von Ludwig Becker nicht entfernt, sondern nur überklebt wurde. Dennoch geriet das Becker-Werk in Vergessenheit. Als es jetzt bei der Innenrenovierung wieder entdeckt wurde, waren die Stadt als Bauherrin und die katholische Kirche zunächst unentschlossen, wie weiter zu verfahren sei. Doch die Überzeugung, mit dem lange verborgenen Kreuzweg ein „wertvolles Dokument der baugeschichtlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg“ vor Augen zu haben, führte schließlich nach den Worten Uwe Beckers zu dem Entschluss, die Bildtafeln von Hetty Krist dauerhaft abzuhängen und dem leuchtenden Mosaik Bernhard Beckers wieder seinen angemessenen Raum zu geben. In Absprache mit Stadtdekan Johannes zu Eltz wird jetzt nach einer Möglichkeit gesucht, dem Kreuzweg Krists in einer anderen Frankfurter Kirche eine neue Heimat zu geben.
Die Gläubigen halten Liebfrauen die Treue
Aber zur Renovierung von Liebfrauen gehört noch mehr: erneuert wird die gesamte Elektrik, die noch aus der Nachkriegszeit stammt, ein neues Lichtkonzept soll die Stimmung in der Kirche vertiefen, ein neuer Anstrich für Helligkeit sorgen. Der Hochchor wird um eine Stufe gesenkt, sodass die Altarinsel, die mit einem neuen Altar und einem neuen Lesepult ausgestattet wird, harmonischer und einheitlicher wirken soll. Außerdem wird ein früherer Eingang an der Südseite durch eine Konstruktion aus Glas und Stahl wieder hervorgehoben und so eine optische Verbindung zur Außenwelt geschaffen.Die Gläubigen halten Liebfrauen derweil die Treue, wie Bruder Christophorus betont: „Die Leute wandern mit“, denn die drei werktäglichen Messen und die jeweils sechs Sonntagsmessen werden in den umliegenden Kirchen, dem Bartholomäusdom und den beiden evangelischen Innenstadtkirchen St. Katharinen an der Hauptwache und Dreikönig am Sachsenhäuser Ufer, gefeiert. Und als Ort der Stille und des Gebets steht auch während der Umbauphase der Innenhof von Liebfrauen für alle Menschen offen. „Im Advent werden wie eh und je täglich an die 2.000 Kerzen vor der Muttergottes angezündet“, erzählt der Kapuziner. Dieser besondere Ort der Einkehr mitten im Großstadtgetümmel bleibe unberührt von den geschlossenen Kirchentüren.
Schlusssteine als Wegbegleiter und Meilensteine
Aber den Gläubigen werde auch noch Handfestes geboten während der Schließung, versichert Bruder Christophorus und verweist auf sein Lieblingsobjekt, die Schlusssteine im Chorgewölbe: Die Kapuziner aus Liebfrauen haben die fein gearbeiteten Familienwappen, selbst überrascht von ihrer Vielfalt und Schönheit, als Miniaturen nachbilden lassen. Jeden Monat bieten sie ein anderes Motiv als Wegbegleiter an. So werden die Wappen zu Meilensteinen auf dem Weg der Sanierung und können gegen eine Spende von zehn Euro an der Klosterpforte erworben werden. Der Erlös fließt direkt in die Sanierungsarbeiten.
Die Hauptlast der Renovierung trägt allerdings die Stadt, die hier rund 1,8 Millionen Euro investiert. Sie folgt damit ihrer Unterhaltsverpflichtung, die auf einen Dotationsvertrag aus dem Jahr 1830 zurückgeht. Damals fielen acht evangelische und katholische Kirchen in der Frankfurter Innenstadt an die Stadt, die sie den christlichen Kirchen aber gemäß ihrer religiösen Bestimmung zur Nutzung überlässt.
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