Suchwort eingeben

HOFHEIM, 11.02.2020

Damit sich die Vergangenheit nicht wiederholt

Wie es ist, den Holocaust zu überleben und seine ganze Familie zu verlieren, darüber spricht die polnische Zeitzeugin Krystyna Budnicka in Hofheim.

„Ich will euch zeigen, was der Mensch dem Menschen antun kann“ – Krystyna Budnicka aus Warschau hat als einzige aus ihrer Familie den Holocaust überlebt. Ihre Schwester, die sechs Brüder und ihre Eltern leben nur noch in ihrer Erinnerung. Über ihre Geschichte hat sie beim Zeitzeugenprojekt des Bistums Limburg am Freitag, 7. Februar, im Exerzitienhaus Hofheim mit dem Abiturjahrgang des Gymnasiums Taunusstein gesprochen. 

Budnicka zeigte zu Beginn Bilder und Filmausschnitte von Kindern der Schoah: Weinende Kinder, die von ihren Eltern weggerissen wurden, leblose Körper auf den Bürgersteigen, Angst und Verzweiflung in den Gesichtern. „Ich war nicht unter diesen Kindern, sonst würde ich nicht mehr leben“, erzählte Budnicka „denn sie sind fast alle in der Gaskammer gelandet.“ 

Leben im Ghetto

In Warschau gab es während des zweiten Weltkriegs etwa 350.000 Juden, die in Ghettos leben mussten. Ghetto bedeutete vor allem: mangelhafte hygienische Zustände, Krankheiten und Hungersnot. Die Bewohner bekamen zwar Lebensmittelgutscheine, die reichten jedoch kaum für eine Person, sodass Todesfälle in der Familie verschleiert wurden, wie Budnicka den Schülern eindringlich erklärte: „Wenn Familienmitglieder starben, legte man sie häufig auf die Straße, sodass ihr Tod nicht offiziell wurde und die Familien weiterhin die Gutscheine bekamen“, erzählte Budnicka. Hinzu kam die psychische Gewaltausübung der Nationalsozialisten. Juden wurden als Außenseiter gekennzeichnet und gedemütigt. 

Sterben statt arbeiten

Die Nazis kassierten Schmuck und andere Wertgegenstände ein. Daher bauten sich die Menschen im Ghetto Verstecke. Budnicka hatte Glück, ihr Vater war Tischler, ihre Brüder handwerklich begabt. Eine Fähigkeit, die zu dieser Zeit gebraucht wurde. „Die Leute dachten damals, dass es gut wäre, nach dem Krieg Geld und Schmuck zu haben. Man hätte zu dieser Zeit nicht gedacht, dass man sich irgendwann mal selbst verstecken muss.“ 

Die Menschen wollten arbeiten. Immer wieder wurden in dem Ghetto Bekanntmachungen für Arbeitsstellen in Treblinka veröffentlicht. Die Menschen meldeten sich freiwillig und wurden an Sammelstellen abtransportiert. Was sie alle nicht wussten: Für die Menschen ging es nicht zur Arbeit nach Treblinka, sondern direkt in die Gaskammer. Ein Bekannter von Budnickas Familie konnte fliehen und erzählte im Ghetto die Wahrheit.

„Die Menschen meldeten sich daraufhin nicht mehr freiwillig, sondern verschanzten sich in ihren Häusern. Doch die Arbeit im Vernichtungslager musste ja weitergehen“, sagte Budnicka. Die Nazis drangen in die Häuser ein oder sammelten Menschen von der Straße, um sie in das Vernichtungslager zu bringen. Schließlich traf es auch einen Bruder von Budnicka, seine Frau und deren Kinder. „Plötzlich ging es nicht mehr darum, seine Wertsachen zu verstecken, sondern sich selbst“. 

Verstecken im Bunker

Budnicka und ihre Familie versteckten sich in einer selbstgebauten Kaminkonstruktion. Als es schließlich zu einem Ghettoaufstand kam, an dem sich auch ihre Brüder beteiligten, begannen die Deutschen, alle Häuser und Wohnungen in den Ghettos systematisch abzubrennen. Budnicka musste sich mit ihrer Familie in einem Bunker verstecken. Dort saßen sie zwar sicher, hatten jedoch kaum Vorräte. Da der Bunker mit der Kanalisation verbunden war, gab es die Möglichkeit, auf die arische Seite zu kommen. Hier gab es Organisationen, die Juden halfen. Doch dorthin zu gelangen, geschweige denn Kontakt aufzunehmen, war nicht einfach. Immer wieder begaben sich die Brüder ins Kanalisationssystem auf der Suche nach Nahrung oder Hilfe. 

Fünf Monate nach dem Ghettoaufstand vermuteten die Deutschen nicht mehr, dass noch Juden lebten – in dieser Hoffnung verließen zwei von Budnickas Brüder den Bunker. Doch sie täuschten sich: Sie wurden erwischt und erschossen. Als die körperliche Verfassung der anderen Familienmitglieder immer schlechter wurde, entschloss sich die Familie, einen Ausweg zu suchen. Einer der Brüder konnte Kontakt zu Helfern aufnehmen. „Als wir an dem vereinbarten Gullideckel waren, wo Hilfe auf uns wartete, ließ sich der Deckel nicht öffnen. Wir sollten weiter zum nächsten“, erzählte Budnicka. Doch die Eltern waren zu erschöpft, konnten nicht mehr laufen. Budnickas Schwester entschied sich, bei den Eltern zu bleiben. „Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.“ 

Der Weg in die Freiheit

Budnicka und ihre Brüder schaffen es schließlich nach draußen – nach neun Monaten unter der Erde. Nur zwei Wochen später stirbt ein Bruder an den Folgen einer Vergiftung durch das Kanalisationswasser. Ihr anderer Bruder wird von einer polnischen Organisation übernommen und wenig später verraten und erschossen. Budnicka kommt zunächst in die Obhut eines Betreuers. Er übergibt sie schließlich an Schwestern, ohne zu sagen, dass sie Jüdin ist. Dort lebte Budnicka bis zu ihrem 20. Lebensjahr. 

„Ich bin keine Heldin, ich habe nichts Bewegendes gemacht“, sagte die 88-Jährige zu den Schülern. „Seid nicht gleichgültig. Die Zukunft ist von euch abhängig, damit die Vergangenheit sich nicht mehr wiederholt“, gab sie den Schülern mit auf den Weg. 
 

Hintergrund:

Das Zeitzeugenprojekt im Bistum Limburg wird vom Dezernat Schule/Referat Berufliche Schulen im Bischöflichen Ordinariat Limburg in Kooperation mit dem Maximilian-Kolbe-Werk und Pax Christi. Insgesamt sind vom 4. bis 13. Februar fünf polnische Zeitzeuginnen im Exerzitienhaus Hofheim, Kreuzweg 23, und erzählen Schulklassen ihre Geschichten. Am 11. Februar gibt es um 20 Uhr einen offenen Termin, zu dem alle Interessierten kommen können. Im Mai soll das Projekt im Priesterseminar Limburg stattfinden. 
 

Caroline Beese

Redakteurin der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit

Zum Anfang der Seite springen