HADAMAR, 03.05.2020
Ein freier Stuhl
Wie geht es Erzieherinnen und Erziehern in der Notbetreuung? Mit welchen Gefühlen tritt ein Krankenhausseelsorger seinen Dienst an? Was macht ein Kirchenmusiker, wenn Chorproben und Gottesdienste ausfallen? Und wie organisieren Seelsorgerinnen und Seelsorger die Pastoral vor Ort? Das Bistum Limburg will mit einer neuen Reihe von Kurzinterviews einen Einblick in den Alltag von Menschen in Zeiten von Corona eröffnen. Alle Beiträge finden Sie auf unserer Themenseite: bistumlimburg.de/thema/drei-fragen/
Pfarrer Andreas Fuchs ist Pfarrer in der PFarrei Johannes Nepomuk Hadamar und Bezirksdekan des katholischen Bezirkes Limburg.
Herr Pfarrer Fuchs, sie sitzen jeden Tag von 16 bis 18 Uhr neben der Kirche St. Johannes Nepomuk in Hadamar und halten ein „Pläuschen“ mit Passanten, die vorbeikommen. Wie läuft es?
Sehr gut! Ich sitze seit dem 21. März mit einer Ausnahme täglich hier und bin eigentlich nie fünf Minuten allein. Es ist eher so, dass ich manche leider nochmal auf eine Runde schicke hier im Carré oder auf die Wartebank vertrösten muss. Die Menschen kommen vom Einkauf und der Arbeit oder bleiben einfach mal mit dem Auto stehen und kurbeln die Scheibe runter. Ansonsten ist hier ein Stuhl bereitet, auf dem man Platz nehmen kann.
Gab es Begegnungen, die bei ihnen besonders hängen geblieben sind?
Mehrere. Und auch einige, die sich langsam angebahnt haben. Da ist mir besonders eine Dame in Erinnerung. Als ich ihr das erste Mal „Guten Tag“ sagte, als sie hier vorbei ging, hat sie die Straßenseite gewechselt und war ganz erschrocken, dass sie jemand ansprach. Beim zweiten Mal blieb sie dann auf der Straßenseite. Wieder ein paar Tage später hat sie gefragt: Warum sitzen Sie eigentlich hier? Beim vierten Mal war sie mit einer Freundin unterwegs und unterhielt sich so, dass ich es mitkriegen musste. Wieder ein paar Tage später hat sie auf dem Stuhl Platz genommen und fing mir an, ein Stück ihrer Krankheitsgeschichte zu erzählen und sich zu öffnen. Ich kannte die Frau vorher nicht. Wir haben uns langsam angenähert und schließlich hat sich ein seelsorgliches Gespräch entwickelt. Es kommt aber auch vor, dass man hier ein Gespräch anfängt und dann vertagen muss von der Straße, wo jeder zuhören kann, in den Pfarrgarten oder auf die Ruhebank weiter hinten. Ich habe hier auch schon Beichtgespräche vereinbart. Im Grunde sind es oft die gleichen Themen, die die Menschen auch sonst beschäftigen, nur hat man sich vor oder nach dem Gottesdienst oder am Rande von Sitzungen, Begegnungen, Treffen oder Wallfahrten gesprochen. Ich habe aber gleich am Anfang gemerkt, dass sich die Leute ein Stück in Isolation oder wie in einem Gefängnis fühlten und sie wirklich froh waren, dass man ihnen „Guten Tag“ sagt und sie wissen, dass da jemand verlässlich jeden Tag sitzt.
Ab sofort ist es wieder möglich, Gottesdienste zu feiern. Wandern Stühle und Tisch dann wieder in den Pfarrgarten?
Ich freue mich natürlich riesig, wenn wir wieder mit Menschen zusammen Gottesdienst feiern. Eins ist mir aber auf jeden Fall wichtig geworden, dass wir als Kirche niederschwellige Angebote brauchen, bei denen Menschen an uns ran kommen können. Es sind eben auch Menschen hier, die nur zum „Guten Tag“ oder „Hallo“ sagen kommen oder eine kleine Geschichte erzählen wollen. Viele hätte ich nicht getroffen, weil sie nicht zum Gottesdienst kommen. Ich muss überlegen, wie das weitergehen kann. Ich glaube zwar nicht, dass es im Normalrhythmus klappen wird, jeden Tag zwei Stunden hier zu sitzen. Aber ich will diesen Gedanken des freien Stuhls in die Zeit nach Corona rüber retten.
