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LIMBURG/WIESBADEN, 17.03.2020

Ein Wächteramt, das den kritischen Blick fordert

Zensur geht gar nicht, sagt die Anwältin Claudia Burgsmüller. Als Prozessbeobachterin schaut sie ganz genau hin, wie das Bistum sexuellen Missbrauch aufarbeitet.

Wenn etwas nach Zensur riecht, wird Claudia Burgsmüller energisch: „Zensur geht gar nicht“, sagt sie und wendet sich, wenn nötig, direkt an die Bistumsleitung. Freundlich und sachlich im Ton, aber klar in der Sache stellt sie ihre Auffassung dar – und erreicht, was sie will.

Der Wiesbadener Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller kommt derzeit im Bistum Limburg eine besondere Rolle zu. Seit dem vergangenen Herbst fungiert sie als externe Prozessbeobachterin, sie kontrolliert die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und deren Vertuschung, die im Bistum zur Zeit in einem ehrgeizigen Projekt unter dem Stichwort „Betroffene hören - Missbrauch verhindern“ angegangen wird.

Wie die anderen deutschen Diözesen war auch Limburg aufgeschreckt worden, als vor mehr als einem Jahr in der so genannten MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz das ganze Ausmaß des Missbrauchs in der katholischen Kirche aufgedeckt wurde. Bischof Georg Bätzing und die Präsidentin der Limburger Diözesanversammlung, Ingeborg Schillai, gaben daraufhin eine eigene Untersuchung der Limburger Fälle in Auftrag. Dabei soll nicht nur darauf geschaut werden, was im Bistum in den vergangenen Jahrzehnten geschehen und wo Missbrauchstäter geschützt wurden, sondern es sollen auch Vorschläge erarbeitet werden, wie systemische Faktoren künftig ausgeschlossen und Missbrauchstaten möglichst verhindert werden können.

Neun Teilprojekte zur Aufarbeitung und Vorbeugung

In neun Teilprojekten arbeiten externe Fachleute und Mitarbeiter aus unterschiedlichen Bereichen des Bistums seit September 2019 an Themen wie der Neuordnung der Aus- und Weiterbildung oder der Priesterausbildung, an Personalführung und der Rolle von Frauen in kirchlichen Positionen, aber auch Maßnahmen gegen Klerikalismus und Möglichkeiten, das Kirchenrecht so zu ändern, dass Täter identifiziert und staatlichen Gerichten zugeführt werden, sowie der Schutz von Kindern und Jugendlichen verbessert wird. Bis Juni 2020 sollen ihre Abschlussberichte vorliegen. Eine zusätzliche Projektgruppe kümmert sich laufend um die Realisierung und vor allem die nachhaltige Wirkung aller Beschlüsse.

Anwältin Burgsmüller hat durch in ihr Wächteramt als einzige ungehindert Zugang zu allen Gruppen und kann, wann immer nötig, das Augenmerk auf mögliche Fehlentwicklungen und Falscheinschätzungen richten. Sie selbst sagt, sie sei mit großer Skepsis an diese Aufgabe herangegangen, sei aber mittlerweile zufrieden mit der Offenheit und Transparenz, mit der die Projekte arbeiteten.

Einschreiten, wenn etwas schiefläuft

Erst einmal musste sie einschreiten: Zum Jahresende war ein erster Zwischenbericht der Gruppe, die alle Personalakten der vergangenen Jahrzehnte im Bistum untersucht, kurzfristig dem Zugriff der anderen Gruppen wieder entzogen worden. Wohl aus Angst, Täter seien so zu leicht zu identifizieren. Dabei waren die Namen der beteiligten Personen – Täter, Betroffene, aber auch Vertuscher – nur als Pseudonym aufgetaucht.

„Die dort präsentierten Fälle sind mit einer Fülle von Informationen aus den Akten dargestellt, die für die Fragestellungen aller einzelnen Teilprojekte von entscheidender Bedeutung sein können“, betont Burgsmüller. Es gehe nicht an, dass die 70 Projektteilnehmer, die sich zur Verschwiegenheit verpflichtet hätten, diese vertraulichen Informationen nicht zur Verfügung hätten. „Es muss den einzelnen Experten überlassen bleiben, welche Information, welches Zitat sie für ihre Analyse benötigen“, zeigt sie sich überzeugt. Gerade auch die Fälle, die vertuscht worden seien, indem Priester ohne Angabe von Gründen versetzt worden seien und zum Teil an anderer Stelle wieder zu Tätern wurden, müssten „in aller Schärfe identifiziert“ werden. Der Bistumsleitung leuchtete diese Argumentation ein. Der Bericht ist nach Burgsmüllers Intervention wieder für alle Projektbeteiligten zugänglich, sodass sie für ihre jeweiligen Fragestellungen die richtigen Schlüsse ziehen können.

Den Blick auf die Betroffenen lenken

Auch ihr zweites wichtiges Anliegen sucht Burgsmüller durchzusetzen. Der Blick müsse noch stärker auf die konkret im Bistum Limburg Betroffenen gelenkt werden, ist sie überzeugt: „Den Betroffenen, die in der Auswertung der Akten bisher nicht selbst zu Wort kommen, muss angeboten werden, sie anzuhören.“ Auch wenn die Opfer sexualisierter Gewalt im Bistum selbst bisher keine Beteiligung eingefordert hätten, müsse man ihnen eine Anhörung anbieten und etwa die Idee einer Interessengruppe vermitteln. Viele Betroffene hätten die Befürchtung, nur als „Feigenblatt“ wahrgenommen und als Steigbügelhalter für überfällige Reformen in der katholischen Kirche instrumentalisiert zu werden. Dem müssten die Projektteilnehmer entschieden entgegentreten und die Opfer in den Vordergrund stellen. So dürfe etwa auch die Rolle von Frauen als „Mitwisserinnen und Unterstützerinnen von beschuldigten Priestern“ nicht verschwiegen werden.

Claudia Burgsmüller weiß sehr genau, wovon sie spricht, wenn sie so klar für die Betroffenen sexualisierter Gewalt eintritt und deutlich auf Änderungen im Verfahren pocht. Schon bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule hat sie sich bundesweit einen Namen gemacht. Später hat sie zusammen mit der früheren Richterin Brigitte Tilmann die sexuellen Missbrauchstaten eines Lehrers an der Elly-Heuss-Knapp-Schule in Darmstadt im Auftrag des Hessischen Kultusministeriums aufgearbeitet. Im April 2019 veröffentlichten sie dazu zusammen mit der Soziologin und Historikerin Ute Weinmann das Buch „Institutionelles Versagen beim Umgang mit sexueller Gewalt im schulischen Kontext“.

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