FRANKFURT, 18.05.2020
Familien in der Corona-Zeit gut unterstützen
Sigrid Kemler, pädagogische Leiterin der Katholischen Familienbildungsstätte Frankfurt, erzählt im Interview von den Auswirkungen der Coronkrise auf die Arbeit der Familienbildungsstätte.
Wie wirkt sich die Krise auf die Familienbildungsstätten aus?
Unser Angebotsspektrum hat sich in den letzten Jahren von Erziehungskursen, Eltern-Kind-Gruppen, Einzelveranstaltungen um dezentrale Begegnungsangebote und Offene Treffs erweitert. Alle diese Angebote können derzeit nicht stattfinden. Für Familien, gerade mit kleinen Kindern, fällt damit ein weiterer Ort weg, an dem sie Unterstützung finden, sich begegnen können, Hilfe erfahren, lernen, lachen, singen, spielen. Auch wenn sich in den nächsten Wochen die Kontaktbeschränkungen lockern, werden bis jetzt gängige Formate, mit kleinen Kindern, in unseren Räumen nur schwer in der gewohnten Form umsetzbar sein. So nutzen wir die noch bestehende Schließzeit, um eine schrittweise Öffnung unter Berücksichtigung von Abstandsregeln und Maßnahmen zum Gesundheitsschutz zu planen. Und natürlich auch neue Angebote für Familien unter den derzeitigen Corona-Bedingungen zu erproben.
Was bleibt, ist unsere Aufgabe, als Familienbildung alle Familien in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken. Wir sind das erste Bildungsangebot – noch vor Krippe und Kindertagesstätte. Die familiären Aufgaben verändern sich rasch und damit auch die Anforderungen, die an Familien gestellt werden. Um das gut zu bewältigen, braucht es Lern- und Erfahrungsräume. Das funktioniert nur im Gespräch mit unserer Zielgruppe, auf Augenhöhe und präventiv. Wir arbeiten dabei niedrigschwellig und haben den Sozialraum im Blick.
Welche Situation erleben Sie mit Sitz in der Nordweststadt?
Die Nordweststadt ist ein Wohngebiet der Gegensätze, ländliche Idylle liegt neben Betonklötzen. Die Bewohner sind interkulturell und interreligiös - mehr als 50 Prozent der Menschen in der Nordweststadt haben einen Migrationshintergrund. Momentan spüren wir, dass die Belastungen in den Familien zunehmen. Viele haben Geldsorgen und Existenznöte, das kostenfreie Schulessen entfällt, sie leben in kleinen Wohnungen ohne Kinderzimmer, sind alleinerziehend, durch Homeschooling und Homeoffice überlastet. Wir wissen von Familien, die durch Missverständnisse und sprachliche Barrieren tagelang ihre Wohnung nicht mehr verlassen, und Eltern, die aus Angst vor Ansteckung ihre Kinder nicht mehr nach draußen lassen. Es gibt Gewaltprobleme und Spannungen in Beziehungen. Eltern geraten in Stress- und Überforderungssituationen und sind einfach nur mit Überleben beschäftigt. Da können Situationen eskalieren. Die Corona-Krise hat vielen Familien keine entschleunigte, achtsame, wohlige Familien-Nest-Zeit gebracht. Vielmehr hält sie eine Lupe über unser privates Miteinander und unsere Gesellschaft. Schwachstellen und Probleme zeigen sich deutlicher denn je. Gleichzeitige erreichen wir die Familien momentan nur sehr schwer, weil unsere normalen Angebote wegfallen. Wichtige Frühwarnanzeichen bei einer familiären Überlastung oder bei häuslicher Gewalt können von uns nicht gesehen werden. Unsere Corona-Hotline wird zwar zunehmend stärker angefragt, aber eben nur von denjenigen Familien, die dieses telefonische Angebot überhaupt nutzen können und wollen. Ich mache mir da schon große Sorgen!
Wie sieht Ihre Arbeit derzeit aus, welche Angebote gibt es?
Nach Schließung der Einrichtung und der Absage der Angebote war sehr schnell klar, dass wir ein Beratungstelefon einrichten und den Bereich der Sozialen Medien, den Newsletter und unsere Homepage verstärkt nutzen müssen. Unser Team und auch die Honorarmitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind da ungeheuer kreativ und voller Energie. Mit den Familienbildungsstätten des Bistums und in enger Kooperation und Zusammenarbeit mit der Fachstelle Familienpastoral entstand die Seite www.familienzeit.bistumlimburg.de. Sie bietet eine stets aktualisierte Mischung aus Hilfsangeboten, pädagogischen, psychologischen und spirituellen Impulsen sowie kreative Ideen zum Selbermachen und zur Nutzung von diversen Online-Medien. Die gute Resonanz bei den Familien, aber auch von Einrichtungen und Kirchengemeinden macht uns froh.
Momentan planen und führen wir die ersten digitalen Kursformate durch, eine digitale AbendElternLounge, eine digitale Spielgruppe, ein Schwangerenyoga auf Youtube. Aber wir haben auch Angebote „zum Anfassen“ entwickelt, darunter Bastelmaterial-Tüten am Zaun des Kinder-und Familienzentrums, einen zauberhaften „Mai- Baum“ der mit Beuteln voll mit Informationsmaterial und Bastelideen bestückt ist, und einen Brettspiel-Verleih. Schließlich sind nicht alle Familien digital unterwegs. So hoffen wir, ganz viele unterschiedliche Familien auf ganz unterschiedlichen Wegen zu erreichen. Dabei vermissen wir das Lachen und Singen der Familien, die guten Gespräche, das Plaudern der Eltern auf unseren Fluren, vor Ort Anregungen unserer Kooperationspartner und den Austausch mit den Kursleiterinnen und Leitern.
Wie geht es Erzieherinnen und Erziehern in der Notbetreuung? Mit welchen Gefühlen tritt ein Krankenhausseelsorger seinen Dienst an? Was macht ein Kirchenmusiker, wenn Chorproben und Gottesdienste ausfallen? Und wie organisieren Seelsorgerinnen und Seelsorger die Pastoral vor Ort? Das Bistum Limburg will mit einer neuen Reihe von Kurzinterviews einen Einblick in den Alltag von Menschen in Zeiten von Corona eröffnen. Alle Beiträge finden Sie auf unserer Themenseite: bistumlimburg.de/thema/drei-fragen/