Limburg, 20.09.2020
High Five mit dem Dundu

Vor dem Dom sind Gebete im Angebot. Ein klassischer Kaugummiautomat mit himmelblauer Rückwand ist umfunktioniert worden. Adelheid Krebs zögert nicht lange. Sie steckt ein Geldstück in den Schlitz und betätigt energisch den silbernen Hebel. Eine kleine Plastikkugel fällt heraus, gefüllt mit einem Gebet und einem Teelicht. „Die Kirche muss moderner werden und für die Frauen muss sich etwas ändern“, sagt die 80-Jährige entschieden. Sie ist mit ihrer Tochter und dem Schwiegersohn aus Meudt zum Kreuzfest angereist und war gerade beim Eröffnungsgottesdienst. Gleich wollen alle drei zur Lesung mit Samuel Koch. Sie habe die Sendung gesehen, in der der junge Mann verunglückt sei, sagt sie noch, bevor sie mit ihrer Familie gen Bischofsgarten zieht.

Gleich daneben steht Christopher Campbell von der Katholischen Erwachsenenbildung, vor sich auf dem Tisch eine alte Olympia-Schreibmaschine. „Wir tippen ein Gebet für dich“ ist auf dem Banner zu lesen. Ein junges Paar beäugt ein wenig unentschlossen das Arrangement. Der Mann gibt sich einen Ruck und tritt nach vorne, „Tommy“ stellt er sich vor und bittet um ein Gebet für seine Freundin Ivana. Sie lächelt und stellt sich neben ihn. Campbell wechselt noch ein paar Worte mit den zweien und haut dann kräftig in die Tasten. Sichtlich glücklich nehmen die beiden das Gebet mit. Er habe geschrieben, dass der Heilige Geist sie in ihrer Liebe begleiten möge, sagt der Referent der Erwachsenenbildung, der von den dankbaren Reaktionen der Menschen erzählt. Manche breiteten ihre ganze Lebensgeschichte vor ihm aus. Wer einen Seelsorger zum Zuhören braucht, ist hier auf dem Domplatz noch an anderer Stelle richtig. „Ich höre dir zu“ ist an zwei Klapptischen zu lesen, an denen später Seelsorger zum Gespräch unter vier Augen bereit stehen.

Drinnen im Dom ist es ruhig. „Bitte Stille! Silentium“ ist auf einem Schild am Eingang zu lesen. In den Bänken verteilt sitzen Menschen, den Blick auf die Kreuzreliquie gerichtet, die in der kostbaren Staurothek vorne auf dem Altar steht. Bis um Mitternacht gestalten an diesem Kreuzfestsamstag verschiedene Gruppen aus dem Bistum Gebetszeiten. Unter anderem bietet Thorsten Klug vom Amt für Katholische Religionspädagogik Wiesbaden einen Bibliolog an. Unter dem Titel „Frauen unter dem Kreuz“ gibt es Stimmen der Ermutigung, in der letzten Stunde des Tages lädt das Team Kirchenentwicklung zum Nachtgebet „Durchkreuzungen“ ein – und dazu begegnen sich Gregorianik und Elektromusik.

„Auf dem Weg zum Kreuz“: So ist eine Stunde in der Stadtkirche überschrieben mit Meditationen in Zeiten der Corona-Pandemie. Auf einer großen Leinwand sind einige der eindrücklichen Bilder zu sehen, die die Krise hervorgebracht hat. Erschöpfte Pflegende und Ärzte, Schwerkranke, Zelte, die zu Krankenhäusern werden. Die Bänke sind gut besetzt, unter den Menschen, die hier konzentriert lauschen, hat sich auch Bischof Bätzing eingefunden. Unterbrochen von meditativer Musik werden Gedanken zum Kreuzweg vorgetragen. „Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz zu tragen“: Einem anderen das Kreuz zu tragen, sei eine schreckliche Art zu helfen, aber Simon sei der Letzte gewesen, der menschlich an Jesus gehandelt habe, sagt Susanne Nordhofen. In allen Beziehungen sei Gott der imaginäre Dritte: Im Sinne dieser ethischen Mathematik ergebe eins plus eins drei. Das gelte auch unter den fürchterlichen Bedingungen des Sterbens unter Corona. Eckhard Nordhofen spricht über das Schweißtuch der Veronika. Solche schönen Legenden würden in Schubladen knapp unter der Realität abgelegt. Es gebe aber Wahrheiten, „für die wir die Grenze des Sichtbaren verlassen müssen.“ Ohne sie seien wir ärmer.

Später ist eine kleine Gruppe junger Leute in der Stadt unterwegs. Mit dabei: ein kleines weißes Einhorn als Maskottchen. Der queere Stammtisch der Kolpingjugend ist diesmal zum „Lauftisch“ geworden. „Wir treffen uns jeden 19. eines Monats um 19 Uhr“, erzählt Diözesanleiter Erik Wittmund. Im Blick ist die LGBTQ- Community. Mit ihrer Initiative möchten sie queere Menschen wahrnehmen und zum Austausch über entsprechende Themen kommen. Die positive Resonanz motiviere und bestärke sie, weiterzumachen, sagt Jugendbildungsreferentin Tabea Eberl.

Im ausverkauften Bischofsgarten vor rund 250 Gästen geben am Abend der Pianist und Komponist Matthias Frey zusammen mit internationalen Solisten der Hoffnung einen unvergesslichen Klang. Ungewöhnliche Instrumente wie eine Rahmentrommel oder eine Pferdekopfgeige aus der Mongolei, indischer Tanz, ein Gebärden-Sing-Chor, starke Stimmen und Texte von Hölderlin, Lenz, Rosa Luxemburg, John Lennon und anderen verschmelzen zu einem außergewöhnlichen Ereignis. Bischof Georg Bätzing trägt Psalm 22 in einer eindrücklichen Version des Dichters Arnold Stadler vor. Das Publikum bedankt sich zum Schluss mit langanhaltendem, begeistertem Applaus.

Danach wird es magisch: Büsche und Sträucher sind in geheimnisvolles Licht getaucht, als wie von weither eine große beleuchtete Marionette auftaucht. Animiert wird der fünf Meter hohe sogenannte Dundu von fünf professionellen Puppenspielern. In geradezu menschlich anmutenden Bewegungen lockt die Puppe die Gäste aus dem Garten. Fasziniert folgen ihr Groß und Klein, sehen zu, wie sie ein Haus umarmt, ins Laufen kommt, sich zur Musik dreht und wendet, die Nähe zu den Schaulustigen sucht. Als sich der Dundu zu einem kleinen Kind neigt und dessen Kopf in beide Hände nimmt, klatschen die Umstehenden: „Wie rührend“, ist mehrfach zu hören. Abschließend gibt es ein High Five mit dem Bischof, bevor dieser vor dem stimmungsvoll beleuchteten Dom den Abendsegen spricht und die Menschen mit einem „Der Herr segne Dich und behüte Dich“ in die Nacht entlässt.
Hier geht es zu einem ausführlichen Bericht über die Konzertlesung von Samuel Koch und Samuel Harfst. Das komplette Kreuzfestprogramm gibt es unter kreuzfest.bistumlimburg.de.
