Suchwort eingeben

LIMBURG.-, 12.02.2020

Mehr als eine Fußnote! Querida Amazonia

Die Ergebnisse der Amazonas-Synode hat Papst Franziskus in einem Nachsynodalen Schreiben bewertet. Eine Einschätzung von Holger Dörnemann, Leiter der Abteilung Familie und Generationen im Bistum Limburg.

In seinem nachsynodalen Schreiben „Querida Amazonia“ hat Papst Franziskus am Mittwoch, 12. Februar, die Eindrücke der Amazonas-Synode veröffentlicht. Holger Dörnemann, promovierter Theologe und Leiter der Abteilung Familie und Generationen im Bistum Limburg, hat die Synode im Oktober 2019 in Rom aus theologischer Perspektive begleitet. Im Folgenden gibt er seine Einschätzung wieder.

Holger Dörnemann zu "Querida Amazonia"

Papst Franziskus richtet sein nachsynodales Schreiben Querida Amazonia (Geliebtes Amazonien) „an das Volk Gottes und an alle Menschen guten Willens“ und damit zugleich an eine ,Kirche mit amazonischem Gesicht“. Darin stellt Papst Franziskus das bereits im Oktober 2019 angenommene Schlussdokument der Amazoniensynode offiziell vor und bietet in seinem Schreiben dafür einen „groben Rahmen für die Reflexion“ […], „die eine Hilfe und Orientierung für eine harmonische, schöpferische und fruchtbare Rezeption des ganzen synodalen Weges sein kann.“ (QA 2)

Zwei Dokumente: Das Nachsynodale Schreiben und das Schlussdokument

Entsprechend der am 15. September 2018 in Kraft getretenen Apostolischen Konstitution Episcopalis communio (Art. 18 § 1) hat bereits das Schlussdokument der Amazonassynode mit seiner Annahme durch Papst Franziskus am 27. Oktober 2019 Teil am ordentlichen Lehramt des Nachfolgers Petri. Beide Dokumente zusammen sind deshalb am 12. Februar 2020 offiziell vorgestellt worden. Ausdrücklich unterstreicht Papst Franziskus diese Arbeit echter Synodalität:

„Es bietet uns die Folgerungen der Synode, an der viele Menschen mitgearbeitet haben, die die Problematik Amazoniens besser kennen als ich und die Römische Kurie, da sie dort leben, mit ihm leiden und es leidenschaftlich lieben. Ich habe es daher vorgezogen, das Schlussdokument in diesem Apostolischen Schreiben nicht zu zitieren, weil ich vielmehr dazu einlade, es ganz zu lesen.“  (QA 3)

Von vier Arten der Bekehrung zu vier Visionen für eine Kirche mit amazonischem Gesicht

Das veröffentlichte Schlussdokument spricht von vier Arten der Bekehrung: pastoral, ökologisch, kulturell und synodal, die Papst Franziskus als „vier große Visionen“ weiterführt, in denen die „Verkündigung […] und die Strukturen der Kirche […] Fleisch und Blut“ annehmen. Sie gliedern zugleich das nachsynodale Schreiben Querida Amazonia:

Ich träume von einem Amazonien, das für die Rechte der Ärmsten, der ursprünglichen (autochthonen) Völker, der Geringsten kämpft, wo ihre Stimme gehört und ihre Würde gefördert wird. (QA 7)

Die erste Vision beschreibt eine soziale Vision Amazoniens (QA 8-27), „das alle seine Bewohner integriert und fördert, damit sie das ‚buen vivir‘ – das ‚Gute Leben‘ – dauerhaft verwirklichen können […] Denn obschon Amazonien vor einer ökologischen Katastrophe steht, muss darauf hingewiesen werden, dass »ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde«“ (QA 8; vgl. Laudato Si‘ 49) Der Verurteilung sozialer Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Ungleichheit und das Werben für Gemeinschaftssinn und sozialen Dialog sieht Papst Franziskus unmittelbar verbunden mit einer kulturellen Vision. (QA 28-40)

Ich träume von einem Amazonien, das seinen charakteristischen kulturellen Reichtum bewahrt, wo auf so unterschiedliche Weise die Schönheit der Menschheit erstrahlt.  (QA 7)

In dieser Vision spricht Papst Franziskus vom „Polyeder Amazoniens“,  das viele Völker und Nationalitäten und mehr als einhundertzehn indigene Völker umfasst.  Wider eine „postmoderne Kolonialisierung“ unterstreicht Papst Franziskus ihre je „eigene kulturelle Identität und einen einzigartigen Reichtum in einem plurikulturellen Universum aufgrund der engen Beziehung, die die Bewohner zu ihrer Umwelt aufbauen.“ (QA 31) Da diese „Kulturen der ursprünglichen Völker im engen Kontakt mit der natürlichen Umwelt entstanden sind und sich entwickelt haben, so können sie schwer unversehrt bleiben, wenn diese Umwelt Schaden erleidet.“ Eine Überleitung einer ökologischen Vision, in der eine „kosmische Dimension“ (QA 41) zum Tragen kommt.

Ich träume von einem Amazonien, das die überwältigende Schönheit der Natur, die sein Schmuck ist, eifersüchtig hütet, das überbordende Leben, das seine Flüsse und Wälder erfüllt. (QA 7)

Anknüpfend an die vorausgegangenen Visionen unterstreicht Papst Franziskus in dieser ökologischen Vision (QA 41-60), wie die „Weisheit der ursprünglichen Völker Amazoniens dazu [inspiriert], sorgsam und respektvoll mit der Schöpfung zu leben, im klaren Bewusstsein ihrer Grenzen, das jeden Missbrauch verbietet. Die Natur missbrauchen bedeutet, die Vorfahren, die Brüder und Schwestern, die Schöpfung und den Schöpfer zu missbrauchen und dadurch die Zukunft aufs Spiel zu setzen.“ (QA 42) Dem „Schrei der Erde“ Amazoniens stellt Papst Franziskus die „Prophetie der Kontemplation“, „Erziehung und ökologische Haltungen“ zur Seite und plädiert für ein „erneuertes Bewusstsein über den Wert der Schöpfung“ (QA 60).

Ich träume von christlichen Gemeinschaften, die in Amazonien sich dermaßen einzusetzen und Fleisch und Blut anzunehmen vermögen, dass sie der Kirche neue Gesichter mit amazonischen Zügen schenken. (QA 7)

In dieser explizit kirchlichen und die meisten Absätze umfassenden Vision (QA 61-110) träumt Papst Franziskus von einer „Kirche mit einem amazonischen Gesicht“ (QA 61). Die Verkündung und Wege der Inkulturation werden bis zu Ansatzpunkten für eine Heiligkeit amazonischer Prägung weitergeführt. Eine besondere Aufmerksamkeit legt Papst Franziskus dabei – Evangelii gaudium 123 – zitierend auf „religiöse Ausdrucksformen, die sich spontan aus dem Leben der Völker ergeben, [...] denn in der Volksfrömmigkeit kann man die Art und Weise wahrnehmen, wie der empfangene Glaube in einer Kultur Gestalt angenommen hat und ständig weitergegeben wird.“ (QA 78; vgl. EG 123)

Die Inkulturation der Liturgie

Unter der Überschrift „Inkulturation der Liturgie“ (QA 81) findet sich eine sehr schöne schöpfungstheologische Herleitung der Sakramente, in denen ,,das Göttliche und das Kosmische, die Gnade und die Schöpfung vereint sind.“ Seine ebenfalls an alle Menschen guten Willens gerichtete Enzyklika Laudato Si‘ (LS 235) sie „eine bevorzugte Weise, in der die Natur von Gott angenommen wird und sich in Vermittlung des übernatürlichen Lebens verwandelt.“ (QA 81) Es ist für Papst Franziskus zugleich die Einladung „in der Liturgie viele Elemente der intensiven Naturerfahrung der Indigenen aufzugreifen“ (QA 82).

Inkulturation der Dienste und Ämter und die offene Frage der viri probati

Unter der Überschrift "Inkulturation der Dienste und Ämter" (QA 85-90) nimmt Papst Franziskus auch Bezug auf die Entwicklung der „kirchlichen Organisationsformen und in den kirchlichen Ämtern“, wie sie auch in Deutschland in zwei Foren des Synodalen Weges diskutiert werden. Ohne die im heute ja ebenfalls offiziell vorgestellten Abschlussdokument aufgeführte Möglichkeit „anerkannte Männer, die ein fruchtbares Ständiges Diakonat innehaben, zu Priestern zu weihen“ (Abschlussdokument 111) zu zitieren, belässt es Papst Franziskus auf den Hinweis hinsichtlich der Art und Weise, „wie kirchliche Dienste strukturiert und gelebt werden, an Inkulturation zu denken.“ (QA 85) Ob und wie an dieser Stelle der  Wunsch der Synodenmehrheit für die Kirche Amazoniens Wirklichkeit werden kann, ist an dieser Stelle weder vorentschieden noch abschlägig beschieden: vielmehr ein Verweis auf den Prozess, der zwar alles an der "Feier der Eucharistie" (QA 89) als "Quelle und Höhepunkt (QA 92) orientieren will und dennoch nicht der Versuchung verfällt, alles an der "Präsenz der geweihten Amtsträger" (QA 93) festzumachen. Der kirchenrechtlich mögliche Einsatz von Gemeindeleiter/innen (QA 94) – auch in den deutschen Ortkirchen bislang eher die Ausnahme – wird ebenso hervorgehoben wie der Einsatz und Befähigung von Laien (QA 89) im Leben einer „Kirche mit amazonischen Gesichtszügen“ (QU 94). 

Frauen in Diensten und Ämtern

Dabei wird die Kraft und die Gabe der Frauen (99-103) zwar besonders hervorgehoben, allerdings ihre Möglichkeit „zu den heiligen Weihen zugelassen“ zu werden ausdrücklich im nachsynodalen Schreiben in die Grenzen verwiesen: Ohne sie auszuschließen, stellt für ihn die Weihe von Frauen „eine Begrenzung der Perspektiven“ dar: „Sie würde uns auf eine Klerikalisierung der Frauen hinlenken und den großen Wert dessen, was sie schon gegeben haben, schmälern als auch auf subtile Weise zu einer Verarmung ihres unverzichtbaren Beitrags führen.“ (QA 100) Umgekehrt sollten Frauen „in einer synodalen Kirche […] eine zentrale Rolle in den Amazonasgemeinden spielen, Zugang zu Aufgaben und auch kirchlichen Diensten […] einen echten und effektiven Einfluss in der Organisation, bei den wichtigsten Entscheidungen und bei der Leitung von Gemeinschaften haben.“ (QA 103)

Eine Einschätzung zum Schluss

Auch wenn viele Kommentare anlässlich des nachsynodalen Schreibens Querida Amazonia im Blick auf das Aussparen der Möglichkeiten der Weihe verheirateter Männer und Frauen enttäuschend ausfallen werden, könnten sie ebenso im Blick auf das zugleich „offiziell“ veröffentlichte – wenn auch nur in italienischer Sprache vorliegende – Schlussdokument den Prozess darin weiter offen sehen. Die Ausgestaltung der Möglichkeiten in der Pastoral vor Ort – in Amazonien, weltweit, wie hier vor Ort auf dem Synodalen Weg– ist zusammen zu sehen mit der in Kürze erwarteten Konstitution der Kurienreform Praedicate evangelium und der Möglichkeit der Teil- und Ortskirchen, ihre Verantwortung am ordentlichen Lehramt verantwortlich wahrzunehmen. Das offizielle Abschussdokument mitsamt dem nachsynodalen Schreiben Querida Amazonia machen es möglich und sie rufen in der Zusammenschau sogar dazu auf! (QA 2-4)

Zum Anfang der Seite springen