Frankfurt, 18.08.2020
Mittendrin statt nur dabei
Ein Stehtisch, eine Schreibmaschine und ein Mönch in brauner Kutte – mitten auf der geschäftigen Zeil in Frankfurt. Ein kleiner Junge fragt den Kapuzinermönch sofort: „Was machst du da?“ Feuer und Flamme ist der Kleine, als P. Stefan Maria Huppertz, Kirchenrektor der Liebfrauenkirche antwortet, dass er einen Wunsch für ihn tippen kann. Sofort platzt es aus dem Kind heraus: Gesundheit für Mama, Papa, Oma und Opa wünscht sich der Knirps. Das haut der Kirchenmann direkt in die Tasten und gibt seinem „Kunden“ die Zeilen als kurzes Gebet in Postkartengröße mit. Der faltet das Papier sorgfältig und verwahrt es in der Hosentasche. „Dankeschön!“ ruft er noch im Wegrennen.
Viele Dutzend Menschen ließen sich am Wochenende berühren von der Aktion BITTEN UND TIPPEN der Katholischen Erwachsenenbildung Frankfurt (KEB). Die geht zurück auf ein Konzept für Fresh Expressions of Church (Fresh X) und wurde von der Aktionskunst britischer Poeten inspiriert. Was es damit genau auf sich hat, erfahren Sie hier.
„Außerhalb von Kirchen und Gotteshäusern geben wir den Frankfurtern etwas zurück. Wir sind ganz einfach da, wo Menschen sind!“, sagt Dr. Markus Breuer, Leiter der KEB Frankfurt. Mitten in der geschäftigen und rastlosen Metropole entstehen so Momente des Miteinanders.
Ideengeber für BITTEN UND TIPPEN ist Christopher Campbell, der auch mit an der Schreibmaschine stand.
Herr Campbell, was war der bemerkenswerteste Gebetswunsch, den Sie tippen durften?
Naja. Alle Gebete sind ja in sich schon bemerkenswert. Die Leute sind mit großen und kleinen Dingen beschäftigt - da sucht jemand zum Studienstart verzweifelt eine Wohnung, da bittet jemand für die Enkelin, weil die Tochter gerade das Sorgerecht verloren hat.
Die Schreibmaschine ist dabei eine schöne Brücke zwischen zwei Menschen. Sie macht das Gespräch etwas wunderlich und sonderbar. Es ist von vornherein mit einer gewissen Ironie belegt, die alles etwas weniger ernst und nahbarer macht. Und zwar für alle. Die Ordensleute, Priester oder andere Seelsorger sind ja meist deshalb so gefragte Gesprächspartner, weil sie alles gehört haben und alles kennen. Das ist auf der Zeil an einem Samstagnachmittag natürlich noch virulenter, weil noch mehr unterschiedliche Menschen vorübergehen.
Wie fassen Sie Ihre Erlebnisse zusammen?
Es ist wichtig, im öffentlichen Raum zu sein. Wir kommunizieren ja ständig mit getippten Botschaften: Die Schreibmaschine macht das sehr laut…und ein gutes Gebet macht Krach! Manchmal muss man mit der Maschine ringen, bis das Gebet dasteht. Menschen schätzen es, dass ausgerechnet die katholische Kirche auf der Straße steht - nicht vornehm in einem Kirchenportal, nicht exklusiv auf dem Sektempfang eines Museums, nicht "am Rand der Gesellschaft“, sondern in der Mitte und im Ungefähr des Lebens - dort wo es wuselt, wo es ambivalent und unentschieden ist, auch dort wo man ja und (wichtiger vielleicht noch) nein zu der Präsenz sagen kann. Die Aktion hat uns aber gezeigt: Die Leute sind hungrig danach. Sie sind hungrig danach, dass wir Katholiken für sie da sind. Ich glaube, sie vermissen uns sogar manchmal, wenn sie die Mormonen, die Yoga-Buch und Koranverteiler sehen. Da wünschen sie sich sogar, auch Kapuziner und katholische Christen stünden dabei, um ihr Stück von der Öffentlichkeit auszufüllen.
Was hat BITTEN UND TIPPEN mit Ihnen persönlich gemacht?
Es hat mir die Möglichkeit gegeben, mit Menschen direkt über Glauben zu sprechen sowie über den Motor des Glaubens, nämlich das Gebet. Es hat mich auch etwas relativiert, weil daneben jemand Yoga-Bücher verteilt, etwas weiter entfernt eine Demo stattfindet und nur wenige Meter weiter jemand von einer Freikirche den Menschen eine Predigt entgegenkreischt. Da war ich stolz darauf, dabei zu sein mit dem, was ich glaube. Denn ich weiß, das katholisch sein, das gehört auch dazu. Nicht allen Priestern, die wir dabei hatten, fiel es übrigens leicht, sich dahin zu stellen. Sie mussten sich überwinden. Aber: Diesen Mut hatten sie und das ist nicht selbstverständlich. So haben wir zwar Gebete geschrieben für Menschen auf der Frankfurter Zeil, aber verändert hat die Aktion auch uns. Denn das „zu-den-Menschen-Gehen“ ist eine hohle rhetorische Formel, die alle Theologen und Theologinnen verwenden, unaufhörlich und mit großer Selbstgerechtigkeit manchmal. Bloß, wirklich dazustehen, um Gehör zu werben, wenn rings die religiöse Konkurrenz und die Sonderangebote dröhnen - das zu können, das tatsächlich zu machen, damit erfolgreich zu sein - das ist schon etwas mehr als ein bequemes Lippenbekenntnis.