Suchwort eingeben

LIMBURG.-, 02.04.2021

Vom Rand in die Mitte gerückt

Für Bischof Georg ist das Kreuz der Spiegel, der die heillosen Zustände in der Welt erkennen lässt. Der Karfreitag ist daher ein Tag, um genau hinzuschauen.

Wie ein Störenfried und Gesetzesbrecher wird Jesus am Karfreitag aus der Stadt getrieben, an den Rand gedrängt und am Kreuz gehängt. Man wollte ihn nicht mehr sehen und seine Botschaft vom Reich Gottes nicht mehr hören. Für Bischof Dr. Georg Bätzing ist dieses Verhalten psychologisch nachvollziehbar. „Hier findet kollektive Verdrängung auf dem Rücken eines armen Sündenbockes statt“, sagte der Bischof von Limburg und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz am Karfreitag, 2. April, in seiner Predigt im Limburger Dom. Um 15 Uhr feierte er dort die Liturgie vom Leiden und Sterben Jesu. Der Gottesdienst wurde live im Internet übertragen.

Verdrängung habe als psychologischer Schutzmechanismus durchaus eine gute Seite, denn er helfe, belastende, unangenehme, schmerzliche Erinnerungen und Erlebnisse aus dem Bewusstsein zu verbannen und gesund zu bleiben. Doch gebe es auch eine dunkle Seite des Verdrängens, wenn nämlich ausgeblendete und unterdrückte traumatische Erfahrungen im Untergrund der Seele arbeiteten und krank machten. Es brauche das rechte Maß von Erinnern und Vergessen, Festhalten und Loslassen. Dies gelte für Einzelne wie auch für die Gesellschaft.

Verdrängung löst keine echten Probleme

Der Mensch habe gelernt, Schreckensmeldungen zu verdrängen und Nachrichten von menschenverachtenden Kriegen, die über Jahre wüteten, von Hungerkatastrophen und Vertreibungen oder auch die klaren Anzeichen einer Klimakatastrophe aus dem Bewusstsein zu verdrängen. Man blende die Schattenseiten des Fortschritts, des Liberalismus und des hochgeschätzten Gutes individueller Selbstbestimmung aus, denn wer übernehme schon gerne die Verantwortung für die klaffende Schere zwischen Armen und Reichen? Wer wolle die absehbaren Folgen tragen, wenn eine auf die Spitze getriebene Autonomie das Recht auf Unterstützung beim Suizid einfordere und absehbar der Druck auf ältere und kranke Menschen wachse, sich einem unausgesprochenen Diktat zu beugen? Und wer spreche vom Lebensrecht der ungeborenen Kinder, denen die Tür zum Leben durch Abtreibung endgültig verschlossen bleibe? „Wir verdrängen, was das Zeug hält, aber die Rechnung zahlen allzu oft andere“, so der Bischof. Verdrängung löse echte Probleme nicht und nach aller Erfahrung kämen sie mit Wucht zurück. 

Jesus zahlt die Rechnung mit seinem Leben

Jesus hänge stellvertretend für alle, die die Rechnung zu zahlen haben, am Kreuz. „Nach menschlichen Maßstäben ist er der große Sündenbock, in den Augen Gottes aber der leidende Gerechte. Für uns wirkt das Kreuz draußen vor den Toren der Stadt wie ein Spiegel“, sagte Bätzing.  Wer es wage hinzuschauen, der erkenne die heillosen Zustände, das Elend und Unrecht, die ausgeblendeten Seiten der Wirklichkeit einer Welt, in der Menschen leben und Verantwortung tragen und aneinander schuldig würden. „Auch wir können versuchen, die Augen zu schließen, um die Konsequenzen unseres Lebensstils, unserer Ansprüche und unserer Gleichgültigkeit Gott und anderen Menschen gegenüber auszublenden. Es wird nichts ändern. Denn verdrängte Probleme schlagen oft mit Wucht zurück wie ein Bumerang“, so der Bischof von Limburg. 
Vor den Toren der Stadt auf dem Hügel Golgota am Kreuz zu enden, sei keine günstige Ausgangslage für einen, der vorhabe, die Welt neu zu schaffen. Es sei denn, er wird vom Rand in die Mitte gerückt, zugelassen mit seinem irritierenden Anspruch, Zeuge der Wahrheit und König einer neuen Welt zu sein. „Jeder Karfreitag mit seinem so eindrucksvoll schlichten Gottesdienst bietet Gelegenheit, den am Kreuz in unser Leben einzulassen. Dazu braucht es Mut zur Umkehr, herzliche Liebe zu Jesus und das Vertrauen, dass wir durch seine Wunden heil werden“, sagte Bätzing. 

Predigt von Bischof Dr. Georg Bätzing

Stephan Schnelle

Pressesprecher

Zum Anfang der Seite springen