FRANKFURT, 18.02.2021
Bischof Bätzing: „Wir werden uns viel zu verzeihen haben“
Eindringliche Klänge von Violine und Kontrabass steigen an und werden wieder leiser, verbinden sich mit den Tönen von Blockflöte und Orgel zu einem improvisierten Tongefüge. Dazu immer wieder die ernsten Worte, ein Murmeln, das den Dom erfüllt: „Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehrst.“
Der diesjährige Aschermittwoch der Künstlerinnen und Künstler musste wegen der Corona-Pandemie deutlich kleiner ausfallen als in anderen Jahren – die traditionelle Begegnung, zu der Prof. Dr. Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom, und Dr. Bettina Schmitt, Direktorin des Dommuseums Frankfurt, normalerweise einladen, konnte nicht stattfinden. Doch der Gottesdienst im Bartholomäusdom, der von Bischof Georg Bätzing gefeiert und live gestreamt wurde, war für die vorwiegend digital zugeschalteten Gläubigen ein in diesen Zeiten selten gewordener Kunstgenuss.

Das Improvisationsensemble der KunstKulturKirche Allerheiligen bot anspruchsvolle musikalische Akzente, die einen ganz eigenen Beitrag zum Thema des Gottesdienstes („Verborgenes“) leisteten. Dass dies manchmal ungewohnt klang, blieb nicht unerklärt: Die Musiker Yuri Jang (Violine), Nefeli Galani (Viola), Jakob Krupp (Kontrabass), Camilo Bornstein (Querflöte) und Richard Millig (Orgel-Improvisationen und Leitung) sowie Andreas Boltz (Orgel und liturgischer Gesang) lieferten Erläuterungen zu den Musiktechniken im Programmheft zum Gottesdienst. Ein Beispiel zum Stück „Vorklang“: „Es deuten sich immer wieder Elemente eines Klanges an, bis dieser aus dem Verborgenen heraus vollkommen in Erscheinung tritt.“
Alles vorbei? Schön wär’s!
Bischof Bätzing ging in seiner Predigt auf die in diesem Jahr ausgefallenen Karnevalsumzüge und Sitzungen ein. „Alles vorbei? Schön wäre es, liebe Schwestern und Brüder, der bekannte Fastnachtsschlager könnte sich in doppelter Hinsicht bewahrheiten“, sagte Bätzing. „Doch die seit einem Jahr andauernde Fastenzeit, die uns allen Verzicht und Abstand, Einschränkungen und Beschneidung unserer Freiheiten abverlangt, ist noch nicht vorbei und ihr Ende ist nicht absehbar.“ Der Bischof fragte: „Braucht es überhaupt eine Bußzeit und Fastenvorsätze, wo wir aus Solidarität mit anderen und um uns selbst zu schützen jeden Tag kleine und große Opfer bringen?“
Prüfen, ob eine Kehrtwende Not tut
Selten sei so klar wie in diesem Jahr, dass der Aschermittwoch keinen Schlussakkord setze, sondern einen Startpunkt markiere: „Heute fängt etwas an. Heute beginnt eine neue Zeit. Heute vergewissern wir uns darüber, in welche Richtung wir unterwegs sind und ob nicht doch vielleicht eine Kehrtwende Not tut. Denn wir fassen den ,Tag der Tage‘ ins Auge, für den wir gerüstet sein wollen: Ostern, das Fest der Auferstehung; den Anfang einer neuen Zeit und einer neuen Welt, in der der Tod und alles, was zu ihm hinführt, bereits der Vergangenheit angehört.“
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Doch was tun, um sich zu rüsten? „Mir kommt in den Sinn, was der Bundesgesundheitsminister während einer Regierungsbefragung bereits im April selbstkritisch vermutet hat: Noch nie in der Geschichte unseres Landes hätten Politiker mit so vielen Unwägbarkeiten so tiefgehende Entscheidungen treffen müssen. Deshalb würden wir ,in ein paar Monaten wahrscheinlich viel einander verzeihen müssen‘. Vielleicht ist das ein angemessener Vorsatz für diese Fastenzeit: Verzeihen üben.“ Verzeihen und um Verzeihung bitten: „für gereizte Stimmung, ein unbedachtes Wort, die Unausgeglichenheit, Antriebslosigkeit, mangelnde Aufmerksamkeit, Rückzugstendenzen, ungebührliche Gedanken – und alles, was sich so eingestellt hat. Heute könnten wir damit anfangen, wenn wir es nicht schon versuchen“, ermutigte der Bischof. Gott sei groß im Verzeihen, und doch sei auch der einzelne Mensch gefragt: „Wer es ernst meint damit, der wird bei sich selbst anfangen und die Einsicht reifen lassen, die den Dichter Rainer Maria Rilke beim Anblick eines Kunstwerkes im Louvre geradezu überfallen hat: ,Du musst dein Leben ändern.‘“
Immer wieder ins Wort bringen
Bischof Bätzing erinnerte an die schwierige Lage von überforderten Familien, von Menschen, die seit Monaten pausenlos in Pflege- und Betreuungsdiensten am Anschlag arbeiteten, sowie an jene, die nicht arbeiten dürften und um ihre Existenz bangen müssten, darunter auch freischaffende Künstlerinnen und Künstler. „Der Abstand, der hier das Leben schützt, hat woanders gravierende Auswirkungen auf Zukunft und Perspektiven. Darauf müssen wir hinweisen. Wir müssen es immer wieder ins Wort bringen und Brücken bauen, die zusammenführen, damit wir mehr zusammenhalten hier und in der Einen Welt.“