HOCHTAUNUS/NEU ANSPACH, 22.01.2021
Abschied mit Dankbarkeit und Zuversicht
1978 zum Priester geweiht, nach vielen Stationen im Bistum über 30 Jahre als Pfarrer im Hochtaunus tätig, davon 15 Jahre als Bezirksdekan: Ende Januar wird Pfarrer Paul Lawatsch in den Ruhestand verabschiedet. Im Interview zieht er Bilanz und spricht über das, was ihm besonders am Herzen lag.
Sie werden Ende Januar in den Ruhestand verabschiedet: Wie ist Ihnen wenige Tage vorher zumute?
Paul Lawatsch: Es sind gemischte Gefühle: Einerseits die normalen Gottesdienstvorbereitungen und Gespräche im Pfarrbüro und mehr und mehr „letzte“ Gottesdienste in den Kirchorten, andererseits Umzugsvorbereitung, Bücher aussortieren und entsorgen. Heute noch ganz im Dienst mit allen dazu gehörenden Anforderungen. Ab Februar dann Mieter in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Kelkheim. Aber ich schaue mit Dankbarkeit zurück und mit Zuversicht nach vorne auf das, was kommen mag.
Das vergangene Jahr stand unter dem Vorzeichen der Corona-Pandemie und auch Ihr Abschied wird unter diesen Corona-Bedingungen stattfinden: Wie haben Sie das erlebt?
Paul Lawatsch: Corona hat viel Flexibilität und Umdenken von unserer Pfarrei gefordert: Wie kann man Kontakt halten mit Menschen, die man sonst in Gruppen einfach gemeinsam auch nach dem Gottesdienst sieht. Wie im Pastoral- oder Sekretariatsteam arbeiten und die Hygienebedingungen erfüllen und Ansteckung vermeiden. Wie Erstkommunion, Firmung, Taufen und Trauungen feiern oder mit den abgesagten Feiern umgehen. Wie und wo und wie viele Gottesdienste oder Möglichkeiten, um zum Beispiel der Weihnachtsbotschaft zu begegnen, schaffen?
Es zeigten sich viel Kreativität und viele gute neue Ideen: Waldgottesdienste im Advent und zu Weihnachten – Kantoren statt untersagtem Gemeindegesang – Youtube-Gottesdienste in Grävenwiesbach – Briefe an verschiedene Gruppen in der Gemeinde – Konferenzen, Dienstgespräche, Sitzungen auf Online-Plattformen.
Nach vielen Stationen im ganzen Bistum waren Sie über 30 Jahre Pfarrer im Taunus: Was waren die Highlights in dieser Zeit?
Paul Lawatsch: Zu den Höhepunkten zählen für mich die Primiz von Stefan Salzmann in Wehrheim ebenso wie die Anstellung eines Verwaltungsleiters und einer Kita-Koordinatorin oder, vor vielen Jahren bereits, die Kirchen-Innenrenovierung und Pfarrsaalrenovierung in Königstein. Auch die Pfarreiwerdung St. Franziskus und Klara – Usinger Land und all die verschiedenen Kirchenjubiläen gehören dazu. Gerne erinnere ich mich auch an den Besuch in Tanzania mit der Kolpingsfamilie Mammolshain.
Als Bezirksdekan hatte ich vor allem das Glück, mit einem ausgezeichneten Bezirksreferenten, Christoph Diringer, an der Seite zu arbeiten. Höhepunkte auf Bezirksebene waren unter anderem 2011 der Hessentag in Oberursel, zwei Jahre später das Kreuzfest in Königstein und die beiden Visitationen mit Weihbischof Dr. Löhr, wobei die im vergangenen Jahr durch Corona sehr eingeschränkt worden ist.
Was lag Ihnen besonders am Herzen – auch im Blick auf die Entwicklung hin zur Pfarrei neuen Typs?
Paul Lawatsch: Christusnähe und Menschennähe! Es ist mir ein Herzensanliegen, dass Menschen mit dem menschgewordenen, uns liebenden Gott in Kontakt kommen, ihm vertrauen, ihn als Wegbegleiter für ihr Leben schätzen lernen und so trotz aller Anforderungen des Alltags gelöster und zuversichtlicher leben können. Dass lebendige Gemeinschaften vor Ort ihren Glauben leben und als Kirchorte wieder zusammenkommen: Pfarrei neuen Typs verstehe ich als „Gemeinschaft von Gemeinschaften“.
Dass lebendige Gemeinschaften vor Ort ihren Glauben leben
Nähe zu Christus zu ermöglichen: Das habe ich durch meine Predigten versucht, durch die Gottesdienste, eine Initiative zum Bibel teilen, Glaubenskurse. Auch wenn Letzteres, zugegeben, nicht so hoch im Kurs stand, wie ich es mir gewünscht hätte.
Kirche muss den Menschen nah sein – dazu haben wir unter anderem gemeinsames Essen unter dem Motto „gemeinsam statt einsam“, Seniorennachmittage und das neue Café Schnaufpause für Mütter und deren Kinder angeboten. Für die Nach-Corona-Zeit gibt es schon weitere Ideen: Treffen vor oder nach den Gottesdiensten mit Predigtgespräch, Kirchenkaffee, Stammtisch oder auch Besuchsaktionen.
Warum sind Sie überhaupt Priester geworden – und nicht Lehrer oder Arzt, Berufe, die Sie ja wohl auch im Blick hatten?
Paul Lawatsch: Auch ohne „Damaskuserlebnis“ wie bei meinem Namenspatron: Weil ich mich dazu gerufen fühlte. Durch so manche Prüfungen und Fragen hindurch und mit immer wieder guten Begleitern und Ratgebern. Gewiss auch aus einer gläubigen, aber einfachen Familie heraus und meiner Messdienerzeit in der Diaspora Norddeutschlands
Sie wurden vor über 42 Jahren geweiht: Wie haben sich die Anforderungen seitdem geändert, wie muss ein guter Pfarrer heute sein?
Paul Lawatsch: Wie ein „guter“ Pfarrer sein muss, darüber gibt es sicher x-mal mehr Wünsche und Vorstellungen als Gemeindemitglieder. Ob ich je ein einigermaßen „guter“ Pfarrer war? Das kann ich mir nur wünschen. Auch in der Zeit der Weihe hat Bischof Wilhelm uns schon deutlich gemacht, dass wir einmal für mehr als eine Pfarrgemeinde da sein werden. Flächendiaspora kannte ich schon von meiner Heimat Niedersachsen her.
Lange haben die Menschen am Ort darauf gehört, was sie nach Meinung des Pfarrers tun und machen sollen. Das sitzt noch ganz tief. Die Einsicht, dass wir durch die Taufe und Firmung gerufen und gefordert sind, „unsere“ Gemeinde mitzugestalten und aufzubauen, je nach den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten, hat sich noch nicht sehr weit verbreitet. Früher ehrenamtliches Tun ist heute stärker einem bezahlten Dienst gewichen.
Ob ich je ein einigermaßen „guter“ Pfarrer war? Das kann ich mir nur wünschen.
Heute muss der Pfarrer, gerade bei einer Pfarrei neuen Typs, auch ein zum Teil großes Team an unterschiedlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen leiten und inspirieren können. Dafür gibt es freilich Weiterbildung und es gibt verwaltungstechnische Hilfe durch das Sekretariatsteam, den Verwaltungsleiter, die Kita-Koordinatorin. In den großen Einheiten muss der Priester versuchen, den Überblick zu behalten, ohne alles wissen zu können. Und er muss wichtige Dinge anstoßen
Welche Aufgabe hat Ihrer Meinung nach die Kirche heute – für wen ist sie da?
Paul Lawatsch: Kirche ist nach wie vor für die Förderung des Glaubens ihrer Mitglieder da, um Glauben zu stärken und miteinander diesen Glauben auch zu feiern. Sie muss für Menschen da sein, die nach Sinn suchen, die Orientierung haben möchten. Sie muss über den „Tellerrand“ schauen: Menschen in der Ortsgemeinde und ihre Sorgen und Nöte wahrnehmen und ihnen eine Stimme geben. Die Sozialraumerhebung Usinger Land und zum Beispiel unsere Interview-Aktion nach der Pfarreiwerdung dienen dazu, diese Menschen in den Blick zu nehmen.Nicht zuletzt muss sie auch mal gegen den Trend der herkömmlichen Meinung schwimmen, wenn das vom Evangelium her gefordert ist
Als Bibelvers, der Ihnen viel bedeutet, nennen Sie "Ob ihr esst oder trinkt oder etwas anderes tut, tut alles zur Verherrlichung Gottes (1 Kor 10,31). Was verbinden Sie damit?
Paul Lawatsch: „ad majorem dei gloriam“ ist der Wahlspruch des hl. Ignatius von Loyola, des Gründers der Jesuiten, bei denen ich in Frankfurt und Innsbruck studiert habe. Es geht doch in der Arbeit nicht um mich und nicht darum, dass Gemeinde prima läuft und viel los ist, sondern es geht darum, dass die Menschen die Liebe und Nähe Gottes in all unserem Tun entdecken. Sich von diesem Gott ansprechen lassen, und sich an dieser Liebe erfreuen. Der Priester ist also vielleicht so etwas wie ein Katalysator, der die Erfahrung von Gottes Nähe möglich macht. Glaube ist und bleibt Geschenk, für das man sich allerdings öffnen kann.
Es geht doch in der Arbeit nicht um mich
Gibt es Ziele, die Sie nicht erreicht haben? Was bleibt an „Baustellen“?
Paul Lawatsch: Ja, eine ganze Menge – vielleicht mehr als ich erreicht habe? Corona hat uns bei den konkreten Überlegungen zum Umgang mit unseren Immobilien leider ebenso ausgebremst wie bei den Überlegungen für die Zeit danach. Die Kirchorte tun sich teilweise schwer mit ihrer eigenen Lebendigkeit und dem Blick über den Kirchturm hinaus
Das Werden der Pfarrei neuen Typs ist strukturell gut gelungen, inhaltlich muss sie aber noch mit viel Leben gefüllt werden – und es gibt schon noch eine Anzahl von Gemeindemitgliedern, die diese Großpfarrei nicht wollen
Ich hätte mir gewünscht, die Kirchorte sorgen sich um ihre Lebendigkeit und überlegen dann miteinander, wie Kirche im Usinger Land - und nicht nur hier oder dort - lebendig und einladend erfahrbar sein kann
Die Mitglieder der früheren Verwaltungsräte haben all ihr früher gemeinsames Mühen vor Ort auf die eine gewählte Person abgegeben und sich weitgehend zurückgezogen. Ich hätte mich gefreut, es gäbe an jedem Ort diese Gruppe mit ihrer spezifischen Kompetenz, die damit das gewählte Mitglied unterstützt.
Für was sind Sie in der Rückschau besonders dankbar? Was stimmt Sie für die Zukunft möglicherweise zuversichtlich?
Paul Lawatsch: Ich bin dankbar dafür, dass es in allen Kirchorten Menschen gibt, die sich mit Herzblut engagieren. Pfarrgemeinderat, Verwaltungsrat und die Lenkungsgruppe „Kirchenentwicklung“ sind sehr lebendig und aktiv und nach vorne schauend. Wir haben ein sehr engagiertes Pfarrsekretariat und ein funktionierendes Zentrales Pfarrbüro als Ansprechort für viele Gemeindemitglieder.
Dankbar bin ich für Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen in Gemeinde – Krankenhaus oder Kommune – in Familie oder Kindergarten mit weitgehend großer Offenheit. Dankbar natürlich für den Verwaltungsleiter und die Kita-Koordinatorin, weil dadurch nicht nur große Entlastung des Pfarrers zu erfahren ist, sondern auch eine viel größere Professionalisierung.
Dankbar und zuversichtlich stimmt mich, dass wir im Bistum einen wirklich guten Bischof haben, der Probleme sieht, benennt und anpackt. Und die Pfarrei bekommt einen guten jungen Pfarrer mit Freude und Elan für den Einsatz im Usinger Land.
Pfarrer Paul Lawatsch im Ruhestand: Und jetzt?
Paul Lawatsch: Ja, es wird eine große Umstellung sein: von einem für Entscheidungen und Unterschriften gefragten Menschen hin zu einem einfachen Mitbewohner in einem Kelkheimer Mietshaus.Falls vor Ort oder vom Bistum gewünscht, bin ich natürlich zu Aushilfen bereit. Vielleicht gibt es auch Felder, in denen ich mich ehrenamtlich engagieren kann. Und ich hoffe, dass ich noch ein wenig Kraft und Zeit habe zum Wandern und Lesen – und auch dazu, wieder Freundschaften zu pflegen.