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FRANKFURT, 17.06.2021

Wie Tora und Koran zum Livestream stehen

Von unmöglichen Gebeten, mitgebrachten Teppichen und dem, was die Kirche in der Pandemie nicht war: Bei der Abschlussveranstaltung der Frankfurter Hausgespräche ging es um Religiöse Gemeinden in der Corona-Pandemie und die Frage, was von dem Erlebten bleiben wird.

Religiöse Gemeinschaften haben in der Pandemie viele ähnliche Erfahrungen gemacht, waren aber zum Teil mit ganz unterschiedlichen Problemen konfrontiert. Zum Beispiel muslimische Gemeinden: „Moscheen sind mit Teppichen ausgelegt“, so Imam Talha Tashkinsoy. „Die Stoffoberfläche ist schwierig zu reinigen, viel schwerer als bei Parkett oder Fliesen.“ Die Lösung: Die Moschee-Besucherinnen und Besucher mussten sich angewöhnen, eigene Gebetsteppiche mitzubringen – und mit Abstand und Maske zu beten.

Hinter den Glaubensgemeinschaften liegen anstrengende, aber auch lehrreiche Monate. Das wurde bei der Abschlussveranstaltung der Frankfurter Hausgespräche deutlich, die unter dem Titel „Religiöse Gemeinden in der Corona-Krise: Was uns fehlte – was bleiben wird“ am Mittwochabend im Haus am Dom stattfand und über YouTube gestreamt wurde. Auf dem Podium saßen neben Moderator Prof. Dr. Joachim Valentin vier Vertreter unterschiedlicher Glaubensrichtungen: Prof. Dr. Ilona Nord, Professorin für evangelische Theologie an der Universität Würzburg, Steve Landau, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde in Wiesbaden, Talha Tashkinsoy, Theologe, Pädagoge und Imam sowie der katholische Frankfurter Stadtdekan Dr. Johannes zu Eltz. Die vier Veranstaltungen der Frankfurter Hausgespräche beschäftigten sich mit der Faszination des Zusammenkommens, einer alten Sehnsucht, die in der Pandemie-Zeit neu entdeckt wurde.

Technische und theologische Fragen

Das gut zweistündige Gespräch drehte sich unter anderem um die Frage, wie es gelungen ist, Glaubensrituale von jetzt auf gleich in den digitalen Raum zu verlagern. Dabei stellten sich zunächst technische Fragen. Steve Landau von der Jüdischen Gemeinde schilderte zum Beispiel, dass die Synagoge in Wiesbaden bis kurz vor dem ersten Lockdown kein W-Lan gehabt habe, dies aber zum Glück – und ohne zu ahnen, wie dringend es gebraucht würde – kurz vorher eingerichtet wurde. Doch für Juden und Muslime stellten sich mit Beginn der Pandemie nicht nur technische Fragen: „Der jüdische Gottesdienst kann nur stattfinden, wenn zehn erwachsene Männer zusammenkommen, das nennt man Minjan“, erklärte Steve Landau. „Es steht sogar geschrieben, dass auch wenn die zehn erwachsenen Männer in zwei nebeneinanderliegenden Räumen sind und die Verbindungstür zwischen den beiden Räumen geöffnet ist, der Minjan nicht vollständig ist, obwohl sie sich sehen und auch hören können. Damit ist klar: Der jüdische Gottesdienst kann aus theologischer Sicht online nicht vollständig stattfinden, wir brauchen die körperliche Anwesenheit im gleichen Raum.“

Lachen, bis das Gesicht weh tut

Das, was drumherum möglich war, wurde ab dem Freitag nach Beginn des ersten Lockdowns am 13. März 2020 mit gutem Erfolg online angeboten. „Der Schabbat-Gottesdienst fiel jedoch ganz aus, denn am Schabbat herrscht im Judentum ein Werksverbot, die Nutzung von digitalen Geräten ist nicht gestattet“, erklärte Landau weiter. Doch auch hier fand die Gemeinde eine Möglichkeit: „Wir haben uns zum Abschluss des Schabbat wieder digital getroffen, im Rahmen der Hawdala, das ist die kurze Zeremonie, die die Trennung zwischen Schabbat und Woche markiert.“ Diese dauere normalerweise nur wenige Minuten. „Aber im Digitalen hat es Male gegeben, wo wir uns über eine Stunde unterhalten und so viele Witze erzählt haben, dass mir danach das Gesicht weh getan hat vom Lachen“, so Landau. So sei eine neue Form des Austauschs entstanden.

Per Flyer predigen

Auch im Islam wird eine bestimmte Anzahl an Personen benötigt, damit das Gebet „funktioniert“; mindestens drei Personen müssen zusammenkommen. Da das nicht möglich war, hätten viele Gemeinden, die schon vor der Pandemie mit Flyern zum Freitagsgebet eingeladen hätten, sich anders beholfen, berichtete Talha Tashkinsoy: Sie druckten die Predigten, die aufgrund der ausfallenden Gottesdienste nicht in der Moschee gehalten werden konnten, einfach auf Flyer und verteilten sie – als wertvollen Kommentar zu gesellschaftlichen Themen, der zum Lesen einlud. Das sei gut angenommen worden, hat der Imam beobachtet. Viele Gebetspraktiken seien für die Dauer des Lockdowns ins häusliche Umfeld verlegt worden – und später, als gemeinsame Gebete in der Moschee wieder möglich waren, wurde deutlich mehr Abstand gehalten als beim muslimischen Beten eigentlich üblich. Diese Freitagsgebete seien so gut angenommen worden, dass man schließlich dazu übergegangen sei, zwei direkt hintereinander anzubieten, da durch den Abstand weniger Menschen teilnehmen konnten, so Talha Tashkinsoy.

Privaten Raum für Gottesdienst entdecken

Der katholische Stadtdekan Dr. Johannes zu Eltz sagte, er habe erlebt, dass die Akteure in den Pfarreien gut im Stande gewesen wären, digital und analog zweigleisig zu fahren. An den hohen Feiertagen seien gestreamte Live-Gottesdienste gut angekommen, außerdem gibt es zeitunabhängige Aufzeichnungen, die gut geklickt werden. Auch der Stadtdekan selbst ist mittlerweile ein versierter YouTuber, er begann am 19. März 2020 mehr oder weniger spontan damit, einen täglichen Geistlichen Impuls auf der Videoplattform der Dompfarrei hochzuladen, der bis heute läuft und der mittlerweile viele Fans auch über Frankfurt hinaus hat. „Außerdem haben wir Gottesdienstangebote zu den Leuten nach Hause gebracht in Form von Hausgottesdiensten“, berichtete er. Christliche Familien hätten ihren privaten Lebensraum als Gottesdienstort wiederentdecken können und das dankbar angenommen.

Kirche ist kein Notnagel

Der Stadtdekan fand aber auch deutliche Worte für etwas, das in der Pandemie nicht passiert sei: „Auch wenn der Dom durchgehend offen gewesen ist fürs persönliche Gebet, sind die Bänke überwiegend leer geblieben. Daraus habe ich geschlossen, dass wir kein Notnagel, kein Notbehelf von eine von der Seuche verunsicherte Gesellschaft sind. Es ist nicht passiert, dass Menschen die Kirchen gestürmt hätten, um dort für eine Abwendung der Seuche zu beten.“ Er kritisierte, die Kirche habe sich zudem als nicht-erprobt erwiesen in der Verteidigung von Grundrechten wie dem Recht auf Religionsfreiheit.

Die evangelische Theologin Prof. Ilona Nord hat mit Kollegen in der sogenannten Contoc-Studie (Churches online in Times of Corona) die Auswirkungen und Möglichkeiten des Lockdowns im kirchlichen Umfeld untersucht. Wie sie bei der Veranstaltung im Haus am Dom berichtete, zeigte sich unter anderem, dass es in der Pandemie insgesamt sehr viel mehr gottesdienstliche Formen gegeben habe und die Zahl der geistlichen Begegnungen digital zugenommen habe – auch wenn die plötzliche Notwendigkeit, diese zu digitalisieren, von den Akteuren als irritierend wahrgenommen worden sei. Gut ein Viertel der Befragten gab an, dass ihnen vor allem die Interaktion mit einem Gegenüber im seelsorgerischen Kontext schmerzlich fehle. Weitere Informationen zu Studienergebnissen gibt es auf https://contoc.org/de/contoc.

Die Wonne des Handgebens

Was also wird bleiben von den Erlebnissen und Erkenntnissen aus der Pandemie? Natürlich, dass man mit digitalen Angeboten mehr Menschen erreichen kann, als in Kirche, Synagoge oder Moschee Platz hätten. Steve Landau zum Beispiel kann sich gut vorstellen, den jüdischen Freitagabend-Gottesdienst auch weiterhin hybrid anzubieten. Das unterstützt sein muslimischer Kollege Talha Tashkinsoy für die Moschee, da so auch Menschen, die mobil eingeschränkt seien, teilnehmen könnten.

Johannes zu Eltz erwartet, dass dort, wo es einfach und möglich sei, Team- und Synodalkonferenzen hybrid bleiben werden, so dass „auch jemand, der auf Geschäftsreise ist, sich digital aus dem Hotel zuschalten kann.“ Ansonsten freue er sich aber auch sehr darauf, wenn körperliche Begegnungen wieder besser möglich sein werden: „Denn was für eine Wonne ist es, jemandem die Hand zu geben!“

Unten finden Sie alle vier Veranstaltungen der Frankfurter Hausgespräche 2021 im Video. Weitere Informationen: www.frankfurterhausgespraeche.de.

Die vier Veranstaltungen der Frankfurter Hausgespräche im Video

Wie wollen wir einander begegnen? 19. Mai, Stiftung Polytechnische Gesellschaft

Salons zwischen Aufklärung und Romantik und ihr Nachleben. 26. Mai, Freies Deutsches Hochstift

Gemeinschaft in der jüdischen Tradition. 9. Juni, Jüdisches Museum

Religiöse Gemeinschaften in der Corona-Krise. 16. Juni, Haus am Dom

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