FRANKFURT, 10.03.2021
Dem "Kaltstart" folgten heftige Monate
Es war der klassische Sprung ins kalte Wasser: Bevor Marianne Brandt, Personalleiterin und Mutter von zwei Töchtern, vor genau einem Jahr zur Vorsitzenden der Stadtversammlung der Frankfurter Katholikinnen und Katholiken gewählt wurde, musste sie sich erst einmal in die Synodalordnung des Bistums einlesen.
„Die vorherige Vorsitzende Frau Dr. Daniela Marschall-Kehrel, die mit Elan und herausragendem Engagement die Rolle ausgefüllt hatte, kandidierte nicht nochmal, und ich wurde angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, mich zur Wahl zu stellen“, erinnert sich die 54-Jährige, die mit ihrer Familie im Nordend lebt und zum Kirchort St. Bernhard in der Dompfarrei gehört. Brandt engagierte sich zu diesem Zeitpunkt zwar im Pfarrgemeinderat der Dompfarrei, hatte aber mit der Stadtversammlung bislang nicht viel zu tun. Doch die Idee, aus dem Stand deren Vorsitzende zu werden, reizte sie aus einem bestimmten Grund. „Ich bin aktiv bei Maria 2.0 in Frankfurt und es ist mir wichtig, dass unsere Anliegen an wichtigen Stellen gehört werden“, sagt sie. Eines der prominentesten Anliegen von Maria 2.0 ist, Frauen in der katholischen Kirche gleiche Rechte zu ermöglichen (www.mariazweipunktnull.de).
Eine Woche später begann der Lockdown
Also recherchierte sie, informierte sich, führte Gespräche. Sie kandidierte – und wurde am 10. März mit großer Mehrheit zur Vorsitzenden gewählt. Mehr oder weniger zeitgleich verschärfte sich die Corona-Lage in Frankfurt. „Die Wahl fand noch persönlich statt, eine Woche später waren die Schulen zu und der Lockdown begann bereits“, erinnert sich die Vorsitzende.
Der im März 2020 frisch gewählte Vorstand, dem als Brandts Stellvertreterin die Kommunikationsberaterin Christiane Leonhardt vom Kirchort St. Antonius im Westend sowie die Polizeibeamtin Rebekka Rammé und der Volkswirt Kevin Herrmann angehören, musste seine Arbeit also ohne Aufwärmphase ins Digitale verlegen. „Das war schon eine Herausforderung, weil der Vorstand nicht nur neu zusammengesetzt war, sondern auch aus vier Personen bestand, die vorher nicht in der Stadtversammlung vertreten waren“, so die Vorsitzende. „Wir kannten uns ja untereinander gar nicht.“
Neugierig und offen
Dass alle vier Vorstandsmitglieder neu waren, habe Vor- und Nachteile gehabt. „Natürlich konnten wir unbedarfter und offener an die Themen herangehen. Zum Glück hatten wir den Bezirksreferenten Michael Thurn an unserer Seite, der uns viel erklärt und als Lotse fungiert hat“, erinnert sich Marianne Brandt. „Frau Dr. Marschall-Kehrel lag die Übergabe am Herzen und sie war für Fragen da. Das hat uns sehr geholfen.“
Die große Verantwortung ihres Ehrenamtes ist zugleich die größte Chance für sie, etwas zu verändern. Denn die Stadtversammlung will nicht nur einen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs leisten, sondern ganz konkret arbeiten. „Wir wollen die Themen der Stadtgesellschaft aufgreifen und den Menschen Angebote machen“, erklärt Marianne Brandt.
Aktuell sind brennende Themen zum Beispiel die Wohnungsnot und Arbeitsverhältnisse, die Lage von Kindern in der Pandemie oder die Situation von Migranten und Geflüchteten in Frankfurt. Bei vielen Problemen kann die katholische Kirche Hilfe anbieten oder einen Ansprechpartner vermitteln. Außerdem gibt die Stadtversammlung eigenständige Stellungnahmen heraus und mischt sich auch bei politischen oder kirchenpolitischen Themen ein. Die mehr als 50 gewählten Mitglieder werden aus den Kirchorten von acht katholischen Pfarreien, einem Pastoralen Raum und 13 Gemeinderäten der Gemeinden anderer Muttersprache sowie aus katholischen Einrichtungen und Verbänden in Frankfurt entsandt.
Corona sei natürlich einerseits ein Hemmschuh für den Start des neu gewählten Vorstands gewesen, aber zugleich habe die Pandemie auch neue Möglichkeiten eröffnet, resümiert Brandt. Nachdem die erste von zwei jährlich öffentlich stattfindenden Sitzungen ausfiel, entschied man sich, die zweite Sitzung im November als Zoom-Meeting stattfinden zu lassen. „So konnten auch Interessierte bequem von zu Hause aus teilnehmen. Natürlich müssen solche Sitzungen anders gedacht und vorbereitet werden“, sagt die Vorsitzende rückblickend. Also entschied man sich für ein Plenum und anschließend für Kleingruppen, in denen Fachleute dazu informierten, mit welchen Problemen Jugendliche, Familien, vom Arbeitsplatzverlust Betroffene, Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten oder Krankenhauspatientinnen und – patienten, aber auch Gemeinden in der Pandemie kämpfen.
Sehr konkrete Maßnahmen
Von diesen Kleingruppen ausgehend entwickelten die Mitglieder dann Hilfsvorschläge, die aktuell konkret ausgearbeitet werden. In den Gruppen war immer wieder die Frage gestellt worden, wo Hilfsangebote zu finden seien. So sollen diese Angebote nun übersichtlich zusammen- und zur Verfügung gestellt werden. Auch die Angebote für Jugendliche werden zusammengetragen und bekannter gemacht, außerdem werden die Jugendlichen gefragt, was sie benötigen. Auch andere Hilfsangebote für Corona-Betroffene sind angedacht.
Wichtig sei es, zuzuhören und Angebote dort zu machen, wo sie benötigt werden, sagt Marianne Brandt. Dazu gehört, Lücken zu schließen und sich konkret anzubieten. Weitere Themen sind die Unterstützung des Ökumenischen Kirchentags mit Angeboten vor Ort, die Flüchtlingshilfe und die Unterstützung von Aktionen zur Bewahrung der Schöpfung. So lädt die Stadtversammlung zur Teilnahme an der Fridays-for-future-Demo am 19. März ein. Fest steht schon jetzt: Auch in den nächsten drei Jahren ihrer Wahlperiode dürfte Marianne Brandt nicht langweilig werden.
Einladung zur nächsten öffentlichen Sitzung
Die Frage nach genug bezahlbarem Wohnraum und der Rolle der Kirche beschäftigt die Stadtversammlung momentan intensiv, daher steht die nächste öffentliche Stadtversammlung am 25. März 2021, 18.30 bis 21.30 Uhr, unter diesem Thema. Konkret wird dort die Situation am Frankfurter Wohnungsmarkt besprochen, der „Leitfaden Wohnen“ vorgestellt und so die Leitlinie z.B. von sozialen Gesichtspunkte bei der Vermietung in die Pfarreien hineingetragen. Und es wird in einem Streitgespräch um die Frage gehen, wie die Situation zu verbessern ist. Die Zoom-Sitzung ist öffentlich, Interessierte können sich unter synodal@stadtkirche-ffm.de anmelden und erhalten dann die Zugangsdaten.