Suchwort eingeben

NEU ANSPACH / USINGER LAND, 16.03.2021

Von Zuversicht und großen Herausforderungen

Die Kirche muss Gemeindeleitung anders denken, sagt der neue Pfarrer von St. Franziskus und Klara im Usinger Land, Tobias Blechschmidt, der nicht "die Pfarrerkarte" ausspielen will.

Pfarrer Tobias Blechschmidt (35) hat zum 1. März die Pfarrei Franziskus und Klara im Usinger Land übernommen. Am 7. März wurde er vom kommissarischen Bezirksdekan Andreas Unfried in sein Amt eingeführt. Wir haben mit ihm über einen Anfang unter schwierigen Bedingungen und über kommende Herausforderungen gesprochen.

Eine Start in Corona-Zeiten: Wie war das für Sie?

Blechschmidt: Bei diesem Anfang war vieles anders, und ja, es war schon merkwürdig. Das Gespräch mit den Gremien vorab fand auf Zoom statt und zum Einführungsgottesdienst war die Kirche wegen der beschränkten Teilnehmerzahlen halbleer. Wir haben deswegen bereits geplant, dass ich zeitnah in unseren elf Kirchorten einen Gottesdienst feiern werde, damit ich den Gemeindemitgliedern vor Ort begegnen kann, soweit das möglich ist. Trotzdem können wir diesen ungewöhnlichen Neuanfang als Chance nutzen.

Inwiefern?

Blechschmidt: Für eine Bestandsaufnahme. Um genau jetzt zu fragen, was Bestand hat und was sich ändern muss. Das Leben an den Kirchorten ist herunter gefahren, sehr vieles ruht. Wie geht es danach weiter? Was müssen und können wir wieder aufbauen, um in die Zukunft zu gehen? In was stecken wir all unsere Energie? Es macht mir große Sorgen, dass in der Jugendarbeit die mittleren Jahrgänge weggebrochen sind, da fehlt nach Corona der Nachwuchs. Die Familien haben sich fast komplett zurückgezogen, belastet durch Homeoffice, Homeschooling, Kinderbetreuung. Wie können wir sie wieder motivieren und begeistern? Da geht es um die Generation, die in Zukunft Kirche gestalten wird.

Kinder, Jugend und Familie besonders in den Blick nehmen

Wir haben im Pastoralteam bereits beschlossen, Kinder, Jugend und Familie zum Schwerpunkt zu machen und besonders in den Blick zu nehmen. Darüber hinaus gilt, dass sich das Bild von Kirche sehr geändert hat. Durch Corona ist dieser Prozess noch einmal beschleunigt worden. Für die Zeit danach wird unter anderem ein heftiger Einbruch bei den Zahlen der Gottesdienstbesucher erwartet. Die Familien haben festgestellt, dass es am Sonntag auch anders geht. Andere haben die Fernsehgottesdienste schätzen gelernt. Ich rechne damit, dass nur die Hälfte wieder kommt.

Was wollen Sie tun, um dagegen zu steuern?

Blechschmidt: Was den letzten Punkt angeht: Wir müssen an der Qualität etwas ändern und attraktive Gottesdienstangebote machen. Ein guter Gottesdienst ist einer, der mich anspricht und nicht an mir vorbeigeht, der verstanden werden kann. Es hat keinen Sinn, in liturgischen Formen zu verharren, die die Menschen nicht mehr verstehen. Das führt zur Entfremdung. Wird es noch an allen Kirchorten Eucharistiefeiern geben? Elf Sonntagsgottesdienste? Das geht derzeit, weil wir vier Priester sind. Es wird aber nicht so bleiben, das ist absehbar. Weniger, aber besser, muss es wohl heißen. Wir müssen andere Formen denken, wie sich Gemeinde versammeln kann, aber es wird sich einfach etwas verändern und wir müssen einen Weg des Trauerprozesses gehen und Menschen dabei begleiten.

Da wird nichts gemauschelt, da ist nichts vorentschieden.

Diese Veränderungen betreffen ja auch den Immobilienbestand, gibt es da schon Entscheidungen?

Blechschmidt: Das ist die große Herausforderung, die vor uns liegt. Ich will wahrhaftig nicht der Insolvenzverwalter Gottes sein, aber wir müssen uns von Gebäuden trennen. Dafür gibt es finanzielle und auch gute pastorale Gründe. Fest steht: Wir haben keine andere Möglichkeit, als jetzt zu handeln. Ab nächstem Jahr schreiben wir in unserem Haushaltsplan rote Zahlen, die Rücklagen schmelzen weg, die Zahl der Katholiken geht gravierend zurück, gleichzeitig sind die Kosten für Instandhaltung immens. Im Rahmen der Kirchlichen Immobilien Strategie (KIS) des Bistums Limburg ist eine Liste entstanden, die wir prüfen werden. Was zugemacht wird, kann ich derzeit nicht sagen, weil ich es selbst noch nicht weiß.

Keine Alibianhörung

Es ist ein Prozess. Aber ich gebe die Zusage: Da wird nichts gemauschelt, da ist nichts vorentschieden. Wir treten miteinander in einen guten Dialog und die Gemeindemitglieder vor Ort werden Gelegenheit haben, ihren Teil beizutragen. Und das nicht im Sinne einer Alibianhörung. Gleichzeitig gilt es hinzunehmen, dass nicht alles bleibt, wie es war. So hart das ist. Es werden einschneidende Entscheidungen getroffen. Mein Versprechen ist, dass das im Dialog geschieht und transparent kommuniziert wird.

Sie leiten die Gemeinde, Sie entscheiden, oder?

Blechschmidt: Ich will gerade nicht die Pfarrerkarte ausspielen, der Pfarrherr sein, der nachher alles im Alleingang über den Haufen wirft. Wir müssen so früh im Dialog sein, dass gemeinsam Wege und Kompromisse gefunden werden. Das Leitungsbild von früher funktioniert nicht mehr in den Pfarreien neuen Typs, ein autoritäres und klerikales Pfarrerbild erst recht nicht. Die Kirche muss lernen, Gemeindeleitung anders zu denken. Sie geht nur im Miteinander! Ein Pfarrer kann nicht alles leisten, wissen, und überall präsent sein. Viele stehen für Kirche, wir sind kooperativ unterwegs, mit einem Team von Haupt- und Ehrenamtlichen. In den Gremien habe ich in unseren Begegnungen einen großen Respekt voreinander gespürt, eine Ernsthaftigkeit und die Überzeugung, dass wir dieselbe Sache wollen.

Ich will nicht die Pfarrerkarte ausspielen.

Sie haben ihre erste Stelle angetreten in einer Zeit, in der die Kirche schwer in der Kritik steht, wie beurteilen Sie die Situation? Wie gehen Sie damit um?

Blechschmidt: Die Situation der Kirche ist aus vielen Gründen desolat. Der synodale Weg zeigt enormen Reformbedarf, angefangen bei der Frage danach, wer Priester sein kann bis zur Rolle der Frauen. Menschen finden sich bei uns nicht mehr wieder, sie zweifeln und verzweifeln. Wenn ich anfangs von Chance gesprochen habe, meine ich damit auf die ganze Kirche bezogen unsere letzte Chance, alte Zöpfe abzuschneiden und neue Akzente zu setzen, eine offene Kirche zu sein, in der sich Menschen mit den Fragen ihres Lebens zuhause fühlen.

Mit einem jungen Pfarrer neu aufbrechen

Meine Aufgabe sehe ich darin, hier vor Ort als Seelsorger glaubwürdiges Zeugnis abzulegen und offenherzig auf die Menschen zuzugehen. Mit unserem Team, mit Haupt- und Ehrenamtlichen, möchte ich Menschen für den Glauben begeistern. Ich freue mich wirklich sehr auf diese Aufgabe und bin sehr zuversichtlich, dass es vielfältige Möglichkeiten gibt, Kirche zu gestalten und lebendig zu halten. Und ich erlebe bei den Gemeindemitgliedern viel Offenheit und die Freude, mit einem jungen Pfarrer neu aufzubrechen.

Auf einem neuen Pfarrer ruhen viele Erwartungen. Wünschen Sie sich umgekehrt auch etwas von Ihren Gemeindemitgliedern?

Blechschmidt: Dass sie mich als Menschen sehen, mir Luft zum Atmen lassen, dass sie mir zugestehen, Fehler zu machen. Was ich nicht will, ist in drei Jahren ausgebrannt und kaputt am Boden zu liegen. Eines ist mir selbst klar: Wenn ich als junger Mensch Pfarrer einer so großen Pfarrei werde, brauche ich Unterstützung von außen. Das Bistum ermöglicht mir dankenswerterweise, mit einem Coach Schwierigkeiten, Herausforderungen und Konflikte zu reflektieren. Außerdem habe ich seit vielen Jahren einen guten geistlichen Begleiter.

Auf was freuen Sie sich besonders nach Corona?

Blechschmidt: Ohne Angst und Bedenken mit anderen Menschen zusammen zu sein. Sich mal auf ein Bierchen oder ein Glas Wein zu treffen, ohne Abstand und Maske. Die Sehnsucht, sich entspannt zu begegnen, ist groß. Wir sind inzwischen ja alle an der Belastungsgrenze angelangt.

Zum Anfang der Seite springen