FRANKFURT, 04.11.2021
Sinn vor Gewinn - Was Sozialunternehmertum leisten kann
Gute Ideen junger Unternehmen scheitern allzu oft an der Starrheit etablierter Strukturen. Das sagte Gaby Hagmans, Direktorin des Caritasverbandes Frankfurt, bei der Veranstaltung „Social Entrepreneurship – mehr als Unternehmertum“ im Haus am Dom. Ihr Beispiel: Eine App, in der Menschen mit Behinderung, die zu Veranstaltungen gehen möchten, mit interessierten Begleitpersonen zusammengebracht werden. „Kongenial“ findet Gaby Hagmans diese Idee – doch weil die Finanzierung nicht gesichert ist und das Programm den Weg ins Sozialsystem nicht findet, ist die App bislang nicht durchgestartet. Schade, findet Hagmans – und forderte: „Das, was wir an Ressourcen zur Verfügung haben, muss sinnvoll eingesetzt werden und darf nicht an fehlender Flexibilität scheitern. Innovationskraft muss bei etablierten Systemen gesehen werden, damit Unterstützung laufen kann!“
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Beim Forum Wirtschaft 2021 kamen am Donnerstagabend innovative Unternehmerinnen und Unternehmer zu Wort – und mit hochrangigen Akteuren ins Gespräch. So diskutierte neben jungen und erfahrenen Gründerinnen und Gründern und der Caritas-Direktorin auch Bischof Georg Bätzing mit. Diese interessante Zusammensetzung führte dazu, dass gute Ideen direkt an den richtigen Stellen platziert werden konnten. Zum Beispiel das Konzept der „Digitalen Helden“, einer Organisation, die Jugendliche und Eltern darin schult, Mobbing und Sexting in sozialen Medien zu erkennen und zu benennen. „Warum holen Sie sich nicht die Religionslehrerinnen und Lehrer mit ins Boot?“, frage ein Mann aus dem Publikum den „Digitalen Helden“ Jörg Schüler. „Sie könnten als Multiplikatoren wirken.“ Eine Idee, die Bischof Bätzing spontan gefiel. „Gerne würde ich die Lehrerinnen und Lehrer mit Ihnen ins Gespräch bringen“, sagte er zu Schüler.
Wirkung in die Gesellschaft hinein
Die temporeiche Veranstaltung, die von Akademie-Studienleiter Georg Horntrich moderiert wurde, lebte von den zahlreichen Berichten aktiver Gründerinnen und Gründer, die aus ihrem Geschäftsalltag erzählten. Anhand ganz konkreter Beispiele wurde deutlich, was Social Entrepreneurship von gewinnorientierten Unternehmen unterscheidet: Das Sozialunternehmertum, wie die deutsche Entsprechung lautet, orientiert sich klar am Bedarf des Kunden, aber mit einer nachhaltigen Wirkung in die Gesellschaft hinein – Gewinn spielt dabei keine vorrangige Rolle.
Einer derer, die aus eigener Erfahrung berichteten, war Patrick Mijnals, der mit Bettervest einst ein Unternehmen schuf, in dem Bürger kleine Beträge in Umweltprojekte investieren können. Heute arbeitet er für die Villa Gründergeist, einen katholischen Co-Working-Space des Bistums im Frankfurter Westend, der sich als Ideen-Labor begreift. „Im Silicon Valley haben wir gesehen, dass einzelne Startups es durchaus schaffen können, vom Garagenunternehmen bis in den Weltraum vorzudringen – und dass es ihnen irgendwann gelingt, alles zu beeinflussen, sogar die Art, wie wir denken“, spielte er auf Google und Facebook an. Diese von klein zu riesig gewachsenen Unternehmen hätten eine unglaubliche Macht, aber es fehle eine Wertebasis.
Die große Chance der Sozialunternehmen
Hier könnten sozial orientierte Start-ups punkten. Denn Kundinnen und Kunden fragten heute bereits stark nach dem gesellschaftlichen Engagement von Unternehmen und machten Kaufentscheidungen mitunter davon abhängig, wie ein Unternehmen sozial agiere. Das sagte Jule Bosch, Zukunftsforscherin und Buchautorin: „Das Kundenbedürfnis, die Welt zu retten, lässt sich aber nicht dadurch erfüllen, hier und da ein bisschen Spenden zu verteilen, sondern nur, indem ich mein Geschäftsmodell darauf ausrichte, reale Probleme zu lösen.“
Das versucht auch Nicole von Alvensleben mit ihrem Unternehmen „Stitch by Stitch“, in dem geflüchtete professionelle Schneiderinnen für Modelabels lokal Kleinstauflagen produzieren. Global, aber zugleich auch mit Blick auf die Mikroebene ist indes das mittlerweile millionenschwere Unternehmen „Pasticbank“ aufgestellt, das Menschen auf den Philippinen und in anderen Ländern dafür bezahlt, dass sie Plastikflaschen sammeln und diese so gar nicht erst ins Meer gelangen. Das Konzept läuft so gut, dass aus dem Plastik mittlerweile eine eigene Währung geworden ist, mit der Familien sogar das Schulgeld ihrer Kinder bezahlen können. Mit einem Jahresumsatz von 20 Millionen Euro und 34 Millionen gesammelten Kilo Plastik sind die Zahlen eindrucksvoll. Für Zukunftsforscherin Jule Bosch ist das kein Widerspruch: „Sinn und Gewinn schließen sich nicht aus“, betonte sie.
Zugleich wurde aber auch klar: Wachstum ist für die meisten Sozialunternehmen kein Ziel, das sie aktiv verfolgen. Vielmehr geht es um etwas anderes: „Wir müssen nicht der Platzhirsch werden, sondern die Sache voranbringen: Wenn wir kooperieren, können wir etwas erreichen und verändern“, brachte Jörg Schüler von den „Digitalen Helden“ auf den Punkt. Und auch Nicole von Alvensleben betonte, sie bekomme immer wieder Anfragen von Menschen, die ihr Projekt auf andere Städte übertragen wollten, und freue sich darüber.
Respekt und Hoffnung
Bischof Georg Bätzing dankte denen, die an diesem Abend im Haus am Dom so begeistert von ihren Unternehmen berichteten: „Ich habe Respekt vor Ihren Lebenswerken, weil Sie sich selbst dort hinein investieren.“ Die Beispiele machten ihm Hoffnung, dass die Menschen nicht in den Problemen der globalen Welt ersticken müssten, sondern dass es Möglichkeiten für Veränderung gebe, sagte der Bischof. Der Gemeinschaftsgedanke lasse sich zudem sehr gut auf die Kirche übertragen, die, um ihr Überleben zu sichern, nicht auf die Unterschiede schauen dürfe, sondern Partner suchen müsse, die eine ähnliche Idee von der Welt haben, um gemeinsame Ziele voranzutreiben. „Wenn wir diese Möglichkeit nutzen, zusammenzuarbeiten, steckt darin die Möglichkeit von Wachstum für die Kirche.“
Über das Forum Wirtschaft
Das "Forum Wirtschaft" findet alle zwei Jahre im Wechsel mit einem sogenannten "Forum Arbeit" statt, doch Corona hat diesen Rhythmus aktuell durcheinander gebracht. Das Forum wird von der Katholischen Akademie organisiert, ist aber eine Veranstaltung des Sozialpolitischen Arbeitskreises des Bistums, der als Bischöflicher Arbeitskreis unter dem Vorsitz des Caritasdirektors die sozialpolitischen Akteure des Bistums vernetzt und den Bischof sowie die kuriale und synodale Bistumsleitung in sozialpolitischen Angelegenheiten berät. Eines der Projekte, die aus dem AK Sozialpolitik entstanden sind, ist die Wohnraumoffensive.