WIESBADEN, 04.09.2021
"Ihre Arbeit hat jede Unterstützung verdient"

Nur der kleine Liam zeigte sich mit seinen fünf Monaten unbeeindruckt von dem Trubel: Während seine Mutter Bischof Georg Bätzing durch das Mutter/Vater-Kind-Haus führte, schaute der kleine Mann auf ihrem Arm gleichbleibend freundlich und neugierig in die Runde und amüsierte mit seiner Gelassenheit auch den besonderen Gast an diesem Tag. Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und das Jugendhilfezentrum Johannesstift standen an diesem Freitagmorgen, 3. September, auf dem Programm der bischöflichen Visitation. Angesichts der Vielfalt der hier und an anderen Standorten realisierten Angebote musste es trotz der angesetzten drei Stunden „bei einem kurz aufgerissenen Türspalt“ bleiben, wie es die Geschäftsführerin des SkF, Marina Schmitt, formulierte.
Wenn Mutter ohne ihr Kind gehen müssen
Alleine die Geschichten der jungen Frauen und Männer, die hier im geschützten Rahmen lernen und trainieren, Mütter und Väter zu sein, würden wohl für einige Besuche reichen. Und nicht alle haben ein im landläufigen Sinne glückliches Ende. Wenn sich bei sogenannten Clearing-Fällen herausstelle, dass die Mutter nicht erziehungsfähig und das Kindeswohl gefährdet sei, „verlassen uns auch Mütter ohne ihr Kind,“, berichtete Erziehungsleiterin Uta Basting. Gründe dafür könne es viele geben, psychische Erkrankungen ebenso wie Traumatisierungen oder Drogenkonsum. Für alle Beteiligten sei das herausfordernd und belastend. „Da muss man innerlich stark sein“, pflichtete ihr der Bischof bei. Aber Basting erzählte auch von unerwarteten Erfolgserlebnissen. Dieser Tage erst habe sie eine Mutter kontaktiert, das Kind inzwischen acht Jahre alt, die jetzt selbst im sozialpädagogischen Bereich arbeite.

Beide Elternteile können einziehen
Auch die junge Frau, die dem Bischof das Haus zeigen durfte, hat größere Pläne. Die 18-Jährige, die von den anderen Bewohnern zur Gruppensprecherin gewählt worden ist, will jetzt ihren Realschulabschluss machen und am liebsten in einem Anwaltsbüro tätig sein. Sie ist eine der 15 Frauen, die mit insgesamt 17 Kindern in der Einrichtung des Johannesstiftes in der Platter Straße leben. Als einziger Mann wohnt hier derzeit der Vater des 18 Tage alten Felix mit seiner Partnerin. Hin und wieder waren auch in der Vergangenheit schon aufgrund von Sondervereinbarungen Väter mit dabei, aber jetzt macht es eine Gesetzesänderung unkomplizierter möglich, dass grundsätzlich beide Elternteile einziehen können, wie Kerstin Fuchs erklärte. Zusammen mit Ralf Gisi hat sie die Geschäftsführung des Johannesstiftes inne.
Der Altersdurchschnitt der Mütter reicht von 14 bis 21, die meisten sind minderjährig. „Schwierige Teenager, die selbst wieder Kinder haben“, brachten das die Gruppenleiterinnen Sandra Behrendt und Martina Klose auf den Punkt, die gleichzeitig beteuerten: „In der Jugendhilfe ist das der schönste Job, den es gibt.“ Einen anschaulichen Eindruck in den fröhlichen Teil davon vermittelte der Sing- und Spielkreis auf der großen Wiese, an dem Bischof Bätzing inmitten der jungen Leute mit ihren Kindern gut gelaunt teilnahm.

Informationen darüber, wie viel Beratung und Hilfen der SkF vor, während und nach der Schwangerschaft bietet, gab es im ausführlichen Gespräch mit Mitarbeiterinnen. 80 Prozent der rund 600 bis 650 Klientinnen, die im Jahr zur Schwangerenberatung kommen – der einzigen katholischen in Wiesbaden - haben einen Migrationshintergrund. Seit 2015 sind rund ein Viertel der Frauen Geflüchtete. Auf sie und ihre besonderen Bedarfe wurde flexibel reagiert mit der Entwicklung niederschwelliger Angebote, unter anderem einem Mütter-Sprech-Treff, der aufgrund der großen Nachfrage schnell regelrecht „explodierte“. Geflüchtete Frauen, meist aus großen Familienverbünden, seien es nicht gewohnt, allein für ein Kind zuständig zu sein, sie erlebten ohne familiären Hintergrund große Unsicherheit, so die erfahrenen Beraterinnen. Darüber hinaus schilderten sie die Nöte der Schwangeren als sehr individuell. Dazu gehören Bindungsabbrüche in der eigenen Biographie, Konflikte in der Beziehung oder im Elternhaus. In manchen muslimischen Familien könne eine ungeplante Schwangerschaft als so problematisch empfunden werden, dass sie den Auszug der werdenden Mutter nach sich ziehe.

Die Abwicklung von finanzieller Unterstützung unter anderem aus Mitteln der Bundesstiftung „Mutter und Kind“, dem Bischöflichen Hilfsfond und Spenden waren ebenso Thema wie die gute Kooperation mit den anderen Schwangerschaftsberatungsstellen in der Stadt, darunter Donum Vitae: „Wir haben alle unsere je eigenen Schwerpunkte entwickelt“. Deutlich wurde, wie sehr den Hauptamtlichen das große Engagement der rund hundert Ehrenamtlichen am Herzen liegt, die als Familienpaten, im Mama+Me-Mentoring-Angebot, im Anzieh-Treff oder bei einem anderen Projekt mitwirken. „Ohne sie könnten wir viele Angebote nicht aufrecht erhalten“, war die einhellige Ansage.

Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl entwickeln
Ein nicht nur handfester, sondern auch schmackhafter Einblick in die Ausbildungs-, Beschäftigungs- und Qualifizierungsangebote im Johannesstift begleitete Bischof Bätzing während seines ganzen Aufenthaltes. Die jungen Auszubildenden aus dem Trainingsbistro, der Bäckerei und dem Restaurant Gabel hatten appetitlich angerichtetes Finger-Food und leckere Kuchen vorbereitet. Anders als bei den entsprechenden Maßnahmen des Jobcenters stehe hier nicht allein der Abschluss im Mittelpunkt, erläuterte Kerstin Fuchs, die die Ausbildung leitet. Zuvörderst müsse das Selbstbewusstsein der Jugendlichen gestärkt werden, die vielfach auf der Straße gelebt hätten und gar nicht zur Schule gegangen seien. „Sie kommen hierher in dem Gefühl, dass sie nichts können und nichts wert sind.“
Viel Liebe und hohe Professionalität
Das Image der katholischen Kirche war zum Abschluss des Besuchs Thema. Von ihm hänge es auch ab, inwieweit Menschen in einer kirchlichen Einrichtung arbeiten wollten, gab Kerstin Fuchs im Blick auf den Fachkräftemangel zu bedenken. Der Aussage von Marina Schmitt: „Wir repräsentieren als soziale Einrichtung auch Kirche“, schloss sich der Bischof mit Überzeugung an. Dass dies mit den Mitarbeiterinnen gelebt werde, unterstrich die SkF-Vorstandsvorsitzende Dorothea Gruß, die eingangs schon in einem launigen kurzen Vortrag die erstaunliche Erfolgsgeschichte der von katholischen Frauen 1906 gegründeten Zufluchtsstätte für Frauen und Kinder zu einer modernen Jugendhilfeeinrichtung skizziert hatte. Ihren Appell an den Bischof, seinen wertschätzenden Blick „auf uns“ beizubehalten, beantwortete er umgehend mit einer entsprechenden Zusage und viel Lob für den selbstlosen Dienst, in dem er viel Liebe und hohe Professionalität erkenne. Diese Arbeit habe jede Unterstützung verdient.
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