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FRANKFURT, 01.04.2022

Ein Gefühl von Es-geschafft-haben

Die mit der Goetheplakette ausgezeichnete Fotografin Sandra Mann hat fünf Frauen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea, Somalia und Burkina Faso dabei begleitet, wie sie in Deutschland Fuß fassen. In einer Ausstellung im Haus am Dom (3. April bis 29. Mai) zeigt sie intensive Fotografien, aus denen Schmerz und Lebenslust sprechen.

Das weiße Spitzenkleid hat für Wend-Yiida eine ganz besondere Bedeutung. „Es war das erste Kleidungsstück, das ich mir selbst hier kaufen konnte“, sagt die junge Frau, die 2014 aus Burkina Faso nach Deutschland gekommen war, um einen viel älteren Landsmann zu heiraten. Nach einem ersten Trennungsversuch flüchtete sie 2018 vor dem aggressiven Mann mit ihrem kleinen Sohn ins Frauenhaus. Das Kleid symbolisiert Unabhängigkeit für sie, Stärke, ein Gefühl von Es-geschafft-haben. Trotz allem.

Wend-Yiida ist eine von fünf Frauen, die ab dem 4. April in der Fotoausstellung „Extreme Veränderung“ auf drei Stockwerken im Haus am Dom zu sehen sind. Fotografiert wurden sie von der Frankfurter Künstlerin Sandra Mann, die 2021 mit der Goetheplakette der Stadt geehrt wurde. Die FAZ schrieb damals über sie: „Die Künstlerin und Fotografin, Jahrgang 1970, gilt mit ihren zwischen Dokumentation und Inszenierung wechselnden Arbeiten als eine der wichtigsten zeitgenössischen Fotografinnen.“

Fotografie stößt an Grenzen

Was Sandra Mann neben ihrer beeindruckenden Arbeit auszeichnet – mit ihren Fotografien ist sie in etlichen nationalen und internationalen Sammlungen und Museen vertreten – ist ihre Fähigkeit, uneitel den Protagonistinnen und Protagonisten ihrer Bilder den Vortritt zu lassen. „Für mich hatten die Fotos bei diesem Projekt nicht den höchsten Stellenwert, sondern die Geschichten der Frauen“, sagt sie klar. „Für mich kam die Fotografie dabei an ihre Grenze, denn sie kann kaum die Komplexität dieser Lebensgeschichten darstellen.“ Und sie fügt an, ihr Projekt sei deshalb fast eher ein poetisches als ein fotografisches.

Initiiert und gefördert wurde das Projekt vom Frauenreferat der Stadt Frankfurt. Sandra Mann fotografierte und dokumentierte die Lebens- und Leidensgeschichten von Maryam aus Afghanistan, Heba aus Syrien, Wend-Yiida aus Burkina Faso, Ayan aus Somalia und Helen aus Eritrea. Daraus entstand das beeindruckende Buch „Ich will mein Leben extrem verändern“, das auch bei der Vernissage am 3. April erhältlich sein wird – und nun die Ausstellung im Haus am Dom. Das Projekt ist im Rahmen der Kampagne „Klischeefreie Zone Frankfurt“ des Frauenreferats entstanden, entwickelt und gefördert worden. Die Idee dazu entstand, nachdem das 2015 zunächst in der Gesellschaft deutlich spürbare Mitgefühl mit Flüchtlingen abgenommen hatte. „Damals gab es einen Rechtsruck“, sagt Gabriele Wenner, Leiterin des Frauenreferats Frankfurt, das daraufhin das Fotoprojekt anstieß. „Uns ging es darum, zu zeigen: Wer sind diese Menschen, was machen sie, welche Geschichten bringen sie mit?“

Wie ein kleines Paradies

Die Vorbereitung auf das Projekt sei sehr langwierig gewesen, berichtet Sandra Mann, und hätte wesentlich länger gedauert als das Anfertigen der Fotos. Denn bei den Portraitierten handelte es sich um Frauen, die Traumatisches erlebt haben. Für sie war der Schritt in die Öffentlichkeit eine Überwindung; sind doch einige von ihnen auch vor Gewalt innerhalb der Familie geflohen und möchten nicht gefunden werden. Doch Sandra Mann bedrängte sie nicht, sondern begleitete die Frauen über viele Monate hinweg im Alltagsleben und ihrer privaten Umgebung. So entstand ein Vertrauensverhältnis, das man den Fotos auch ansieht: Auf vielen Bildern strahlen die Frauen.

Beim Anblick der Bilder wird klar, dass sie trotz der harten Zeit, die sie durchgemacht haben, um nach Deutschland zu kommen und hier Fuß zu fassen, einfach froh sind, es geschafft zu haben. „Nach dem, was ich erlebt habe, hat es sich angefühlt wie im Paradies, meine eigene kleine Wohnung zu haben“, sagt Wend-Yiida aus Burkina Faso. Sie habe die Wände in strahlenden Farben gestrichen, weil die für sie Hoffnung, Freude, Liebe signalisieren. Von Hoffnung erzählt auch die Notiz von Ayan aus Somalia, die im Buch zu sehen ist: „Ich will schaffen, meine Träume zu erreichen. Ich vergleiche mich nicht mit anderen. Ich will mein Leben extrem verändern – Inschallah!“ Wie Sandra Mann berichtet, sind alle fünf Frauen aus dem Projekt entweder zurück in der Schule oder machen eine Ausbildung. Auch Wend-Yiida: Ihren Hauptschulabschluss hat sie bereits geschafft, macht nun den Realschulabschluss und plant, wenn ihr Sohn ein bisschen älter ist, eine Ausbildung zur Hebamme.

In traditioneller Kleidung

Neben Fotos aus dem realen Leben der Frauen und Texte zu ihren Geschichten beinhaltet die Ausstellung auch inszenierte Aufnahmen, die im Studio entstanden sind, dem sogenannten White Room. Bei der Auswahl der Fotomotive und Darstellungen durften die Frauen mitentscheiden. „Einigen der Frauen war es wichtig, sich auch in der traditionellen Kleidung ihres Heimatlandes zu zeigen“, berichtet Sandra Mann. So auch Wend-Yiida, die in der Ausstellung nicht nur in ihrem weißen Kleid, sondern auch in traditioneller, leuchtend orangefarbener Tracht zu sehen ist.

Sandra Mann ist dem Haus am Dom schon seit 2017 verbunden. Damals zeigte sie die vielbeachtete Ausstellung „The German Way of Life“, deren Thema 2019 in einer zweiten Ausstellung im Haus am Dom von anderen zeitgenössischen Fotografinnen und Fotografen interpretiert wurde.

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Rahmenprogramm:

Zur Eröffnung am 3. April um 13 Uhr gibt die Künstlerin Sandra Mann eine dialogische Führung mit Ayan und Wend-Yiida. Rosemarie Heilig, Stadträtin und Dezernentin für Klima, Umwelt und Frauen, hält eine Einführung, außerdem spricht Elke Voitl, Stadträtin und Dezernentin für Soziales, Jugend, Familie und Senior:innen. Pushan Mousavi Malvani spielt Violine- und Klavier-Interpretationen von Clara Schumann und Fanny Hensel, geborene Mendelssohn. Die Ausstellung läuft bis 29. Mai im Haus am Dom, die Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag 9 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 17 Uhr, bei Abendveranstaltungen auch länger. Der Eintritt ist frei. Am 29. Mai gibt es um 12 Uhr eine Finissage.

Bitte beachten: Das Haus am Dom macht ab dem 2. April 2022 von seinem Hausrecht Gebrauch. Im gesamten Haus besteht nach wie vor die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes. Diese Maßnahme dient dem Schutz unserer Gäste und dem unserer Mitarbeiter.

Der Bildband „Ich will mein Leben extram verändern“ ist im Buchhandel (mit der ISBN 978 3940 599 094) zum Preis von 18 Euro oder direkt bei Nizza Verlag erhältlich: per Mail unter frankfurt@nizzaverlag.de oder online unter Nizza-Bestellung.

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