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STREITHAUSEN, 14.08.2022

Ein heilsamer Ort

Insektenparadies und Dufttraum: Gabriele Fischer kümmert sich liebevoll um den Kräutergarten der Abtei Marienstatt. Ein besonderer Ort im Bistum Limburg!

Das zarte Summen der Bienen ist schon vor der mittelalterlichen Mauer zu hören, die den Garten der Abtei Marienstatt umgibt. Das Insektenkonzert wird immer lauter, sobald man durch das Eisentor geht und den mehr als 300 Kräutern näher kommt. Mit Wasser aus zwei blauen Gießkannen werden die Heilpflanzen heute von Gabriele Fischer verwöhnt. Durch die Fürsorge der Ehrenamtlichen und der kräftigen Vormittagssonne wachsen und gedeihen sie und machen diesen Ort im Westerwald zu einem kleinen Paradies, nicht nur für Insekten.

Pfefferminze, Ringelblume, Beifuß, Schafgarbe, Lavendel aber auch Eukalyptus und Aloe Vera finden neugierige Besucherinnen und Besucher in den durch Schieferplatten abgetrennten Feldern. Die Einteilung des Kräutergartens orientiert sich an der Heilkraft der Pflanzen: in einer Ecke sind Pflanzen, die bei Atemwegerkrankungen helfen, an der nächsten stehen Kräuter für Magenbeschwerden. Weiße Schilder stecken in der Erde und verraten, um welche Pflanze es sich handelt und auch wofür man sie anwenden kann. Ein kleines Symbol gibt zudem Hinweis darauf, ob die Pflanze Erwähnung bei der Heiligen Hildegard von Bingen oder in der Bibel findet. Bei giftigen Pflanzen warnt ein Totenkopf auf dem Schild: besser nicht anfassen!

Mit Löwenzahn fing alles an

Für Gabriele Fischer ist der Kräutergarten ein Zufluchtsort. Sie hegt und pflegt ihn seit seiner Fertigstellung 2007. Das zehnköpfige Team der Ehrenamtlichen, zu dem sie gehört, gießt die Pflanzen, jätet Unkraut, fertigt die Infoschilder an und gibt Führungen durch den Garten. „Für mich war Marienstatt schon immer ein Ort der Heilung, auch bevor es den Kräutergarten gab. Man geht durch das Eingangstor und ist wie in einer anderen Welt“, beschreibt Fischer. Die Klosteranlage ist nicht der einzige Grund, warum sie hier tatkräftig mitanfasst. Sie ist seit 2007 Kräuterpädagogin, ihre Begeisterung für Heilpflanzen begann schon viel früher, erzählt die gebürtige Saarländerin, die seit über 30 Jahren im Westerwald lebt. „Im Saarland gab es im Frühjahr traditionell immer Löwenzahn-Salat. Der soll nach dem Winter das Immunsystem stärken. Bei Spaziergängen mit meinem Großvater habe ich den Löwenzahn eingesammelt. Und jedes Jahr kamen andere Pflanzen dazu, die ich aufsammelte“, erzählt Fischer. So habe sich ihr Interesse für Kräuter entwickelt.

Gegen Krankheit und Unheil

Den Brauch des Krautwischs, so nennt man die Kräutersträuße hier, lernte sie erst im Westerwald kennen: „Einige Nachbarinnen liefen mit Sträußchen in die Kirche und ich wusste gar nicht, was es damit auf sich hat. Da habe ich einfach nachgefragt.“ Traditionell werden an Mariä Himmelfahrt Kräutersträuße gebunden, die im Gottesdienst gesegnet werden. Die Heilpflanzen sollen vor Krankheiten und Unheil schützen. Dabei hat auch die Anzahl der Kräuter eine Bedeutung: Sieben Kräuter stehen zum Beispiel für die Tage, an denen Gott die Welt erschuf und somit für Vollkommenheit. Die Zahl Neun ist ein Zeichen der Dreifaltigkeit, weil sie ein Vielfaches von Drei ist, zwölf Kräuter stehen für die Apostel und 14 für die Nothelfer. Heute gehört diese Tradition an Mariä Himmelfahrt für Gabriele Fischer dazu. „Mir persönlich geht es zwar weniger um die Anzahl der Kräuter, aber um die Heilkraft der Pflanzen, die ich mir fürs nächste Jahr erbitte und gleichzeitig geht es darum dankbar zu sein“, sagt sie. Im Marienstatter Kräutergarten bietet sie zu Mariä Himmelfahrt Workshops an, bei denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst Sträuße binden und gemeinsam Meditationsübungen machen.

Wenn Gabriele Fischer durch den Kräutergarten läuft, reibt sie immer wieder Blätter der Heilpflanzen zwischen Daumen und Zeigefinger und riecht daran. Ganz am Ende des Gartens, nicht etwa in den säuberlich angelegten Feldern, sondern an der Mauer, wächst eine zwei Meter hohe Pflanze mit flauschigen Blättern und kleinen gelben Blüten, die wie eine Kerze den Stiel bekrönen. Fischer nascht eine der Blüten. Die Königskerze, wie sie passenderweise heißt, sei ein Symbol für die Gottesmutter Maria und für einen Krautwisch unverzichtbar, erklärt sie. „Eine eigensinnige Pflanze, die sich immer ihren eigenen Platz sucht. Wenn wir sie umpflanzen, geht sie uns meistens ein. Deswegen darf sie hier jetzt auf dem Weg wachsen.“ Sie hilft bei Husten und Halsschmerzen, die heilige Hildegard von Bingen empfiehlt sie auch für ein trauriges Herz.

Nach alter Tradition

Vor 30 Jahren begann Zisterzienserpater Martin Pfeiffer sich mit Hildegard von Bingens Aufzeichnungen auseinanderzusetzen. Er nutzt seitdem Kräuter für Tinkturen und Tees und backt auch Brot mit Heilpflanzen. „Mir gefiel die Idee schon lange, hier in der Abtei einen Kräutergarten anzulegen.“ Bis Ende der 1970er Jahre standen dort, wo heute der Kräutergarten liegt, noch Gewächshäuser, die der Orden nutze. 2007 realisierte er dann seinen Wunsch: Zusammen mit einer befreundeten Ärztin plante er den Garten nach alter Klostertradition. „Für manche Kräuter bin ich quer durch die Republik gefahren, weil sie in ihrer Urform nur noch in wenigen Gärtnereien gezüchtet werden. Zum Beispiel der Teufelsabbiss. Die Wurzeln sehen wie abgebissen aus, deshalb der Name“, erzählt Pater Martin. In der Abtei Marienstatt im Westerwald leben aktuell elf Ordensmitglieder. Alleine könnten sie sich gar nicht um den Kräutergarten kümmern. Deshalb seien er und seine Mitbrüder sehr dankbar für Gabriele Fischer und das Team von Ehrenamtlichen, die sie unterstützen, sagt er lächelnd.

In der Abtei Marienstatt gibt es viel zu erleben: die Basilika, den Barockgarten, ein Spaziergang über das Gelände, das Brauhaus mit Marienstatter Klosterbräu. Aber der Kräutergarten ist ein ganz besonderer Ort. „Er wird sehr gut angenommen und wir haben schon viel Lob bekommen“, sagt Fischer eher bescheiden. Am liebsten komme sie früh morgens her, wenn noch nicht so viele Menschen hier sind. „Am Anfang ist es hier dann sehr still und es fliegen nur vereinzelt Insekten von Blüte zu Blüte. Aber je höher die Sonne steigt, desto aktiver werden sie. Das kann man toll beobachten“, sagt Fischer. Und dann erklingt zwischen den würzig riechenden Sträuchern im Kräutergarten ein kleines Insektenkonzert.

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