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RÜDESHEIM EIBINGEN, 07.08.2022

Eine Extraportion Herzlichkeit im Klostercafé

Sektfrühstück, Dinkelbrot, Kuchen aus der Klosterbäckerei und ein inklusives Team mit Charme: Wir besuchen im Rahmen der Sommerreihe das besondere Café der Abtei St. Hildegard in Rüdesheim-Eibingen.

In diesen Sommertagen werden die Besucher zuallererst von einem heiteren Blau begrüßt: Üppig blüht rings um die Benediktinerinnenabtei St. Hildegard die Wegwarte. Dass es ausgerechnet eine Heilpflanze ist, die dem Himmelsblau Konkurrenz macht, passt perfekt zu dem Ort, an dem die Heilige Hildegard von Bingen überall präsent ist. Auf dem nach ihr benannten Pilgerweg von Rüdesheim her kommend, sind die mächtigen Türme des Klosters früh im Blick und weisen beim Weg durch die Reben den Weg. Stille umfängt den Wanderer bergan bis ans Ziel. Dort klingen aus einer einladend geöffneten Tür fröhliche Stimmen.

Klosterteller und Käsesahne

Willkommen – Welcome – Bienvenue steht auf dem roten Rahmen über dem Eingang des Klostercafés. Auf einem großen Holzaufsteller ist auf Schiefer eine kleine Speisenauswahl aufgeschrieben: Es gibt einen Klosterteller, Spundekäs, Flammkuchen und Dinkelbratlinge. Die Tagessuppe ist heute eine kalte Gurkensuppe. Doch die zwei älteren Damen, die gerade von den Mitarbeiterinnen hinter der rot lackierten Theke mit einem herzlichen „Guten Tag“ begrüßt werden, begutachten stattdessen die Kuchenauswahl. Frisch gebackene Schwarzwälder Kirsch oder lieber Käsesahne? Sie entscheiden sich für das Altbewährte und bestellen zu ihrem Kaffee die über die engere Umgebung hinaus berühmten Dinkelnussecken. Wo es mit dem Tablett lang geht, muss ihnen keiner sagen: „Mir sinn Stammgäst“, meint lachend eine der beiden.

Pilgertrunk im lauschigen Innenhof

Das trifft offensichtlich auch auf die muntere Vierergruppe zu, die zu ihrem Riesling Klosterbrot und Hildegard-Dip ordert. Die zwei Paare balancieren ihre vier Gläser „Pilgertrunk“ zielsicher durch die Räume des Cafés nach draußen in den lauschigen Innenhof. Die Sitzgarnituren aus hellem Holz stehen am Rande eines kleinen Teiches, auf dem weiße Seerosen blühen. Früh am Morgen hat Stefan Kindl die blauen Sonnenschirme aufgestellt und die Tische und Bänke abgewischt. Jetzt kommt er gerade mit einem Transportwagen aus der gegenüberliegenden Küche, um Waren ins Café zu befördern, und bringt den  Duft von frisch gebackenem Dinkelbrot mit.

Mal was anderes sehen

Dass Kindl als Mitarbeiter des Café-Teams so vielfältige Aufgaben übernimmt, zu denen das Bestücken der Theke ebenso wie das Belegen von Brötchen gehört, ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Bis vor fünf Jahren noch arbeitete der 44-Jährige in einer Verpackungsgruppe der Rheingau-Werkstätten Rüdesheim für Menschen mit Behinderung. Im Jahr 2017 startete auf Initiative der Benediktinerinnen eine Kooperation mit dem Sankt Vincenzstift und Kindl und ein paar weitere Beschäftigte der Werkstätten wechselten die Anhöhe hinauf in die Abtei, wo das Klostercafé mit entsprechenden Arbeitsplätzen aufgebaut wurde. Er habe „mal was anderes sehen wollen“, begründet Kindl selbst den Stellenwechsel, mit dem er sich hoch zufrieden zeigt. Was ihm hier besonders Spaß macht? Über die Antwort auf diese Frage muss er nicht lange nachdenken: „Frau Meyer!“ sagt er, wie aus der Pistole geschossen.

Gemeint ist Kathrin Meyer, die nicht nur die Chefin, sondern – unverkennbar – auch die Seele des Betriebs ist. Die herzlich-resolute Köchin mit sonderpädagogischer Zusatzausbildung, deren Herkunft aus Lutherstadt Wittenberg bei der Sprachmelodie immer ein wenig mitschwingt, arbeitet seit 19 Jahren mit Menschen mit Beeinträchtigung. „Das muss man wollen und können“, stellt die 57-Jährige fest und Katarina Ilic, die gerade an ihrem Arbeitsplatz eingetroffen ist, nickt energisch. Ilic ist eine der drei Anleiterinnen, die gemeinsam mit der Leiterin und sieben unterschiedlich beeinträchtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Café am Laufen halten. Von Beginn an werden sie dabei unterstützt und begleitet von der Benediktinerschwester Gisela Happ. „Mit Herzblut dabei sein“, beschreibt Meyer die Grundeinstellung, die hier offenbar von allen geteilt wird. Der Zusammenhalt sei groß, betonen beide und sagen unisono: „Wie in einer Familie.“ 

Bikerbüfett und Muttertag

Die besondere Atmosphäre ist eines der Pfunde, mit denen das integrative Gastronomieangebot in der Abtei wuchern kann. Die Akzeptanz bei den Gästen ist nach den Worten von Meyer groß, wobei Pilgerer, Wanderer, Touristen und die Nachbarn aus der Umgebung und dem Rheingau sicher gleichermaßen die handgemachten Produkte aus der Klosterküche und der Klosterbäckerei schätzen. Hier oben werden Geburtstage gefeiert, Mutter- oder Vatertag begangen und ab September gibt es nach den heißen Tagen wieder ein großes Büfett zum Brunch. Bis dahin wird ein Sektfrühstück liebevoll am Tisch serviert. Neue Besucher sind stets willkommen: Als in diesem Frühjahr in Rüdesheim wieder Magic Bike veranstaltet wurde, stärkte sich manch einer der Motorradfahrer im Klostercafé am appetitlich arrangierten und mit Route 66 Schildern dekorierten Bikerbüfett.

Kekse gebacken und Rechnen gelernt

Corona war natürlich auch hier „Mist“, wie die Leiterin kurz und knapp kommentiert. Just zu Beginn des Jahres 2020 hat das Café nämlich eine entscheidende Änderung in der Struktur erfahren. Seit dem 1. April ist es jetzt ein Inklusionsbetrieb der Abtei Sankt Hildegard und wirtschaftet als gemeinnützige GmbH. Mit im Boot sind die Aktion Mensch und der Landeswohlfahrtsverband, außerdem handelt es sich um Förderarbeitsplätze, „so dass wir noch ein bisschen Geld in der Hinterhand haben“. Dennoch war in den letzten beiden Jahren viel Kreativität angesagt, in jeder Hinsicht. Nur drei Wochen war tatsächlich geschlossen, darauf ist Kerstin Meyer immer noch stolz. Danach gab es Essen „to go“ und einen umfangreichen Lieferdienst. Wenn mal Leerlauf entstand, wurde der gut genutzt. „Dann haben wir Kekse gebacken, Rechnen gelernt oder gemalert“.

Wertschätzung erfahren

Dass auch die Teammitglieder mit Beeinträchtigung ganz normale Arbeitnehmer sind, mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverträgen und Gehalt, ist ihr sehr wichtig. „Die machen hier alle eine Toparbeit!“ Zugetraut habe man ihnen das vorher nicht immer, weiß sie. Zum Beispiel Eva Denzer, die in einer Werkstätte in der Aktenvernichtung arbeitete und dort als „fast stumm“ wahrgenommen worden sei. „Und hier steht sie strahlend hinter der Theke und geht herzlich auf die Gäste zu!“, schwärmt Meyer. „Die machen sich alle!“, ist sie überzeugt und nennt auch den Grund dafür: „Sie erfahren Wertschätzung, auch durch die Gäste, werden in ihren Fähigkeiten und Fertigkeiten gefordert.“ Ob sie die Kasse nach den darauf angebrachten farbigen Symbolen bedienen,  Schreiben und Lesen können, das Herrichten von Frühstücksplatten für sich entdeckt haben oder sich sogar künstlerisch betätigen wie Stefan de Craene, der unter anderem das Klosterlogo für das Café gezeichnet hat: „Sie haben alle hier das Richtige für sich gefunden“, sagt Kathrin Meyer. Und lässt keinen Zweifel daran, dass das gleichermaßen für sie zutrifft: „Das hier ist mein Baby."

Öffnungszeiten: 

Das Klostercafé ist täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Im August ist an allen Montagen aus betriebstechnischen Gründen geschlossen. Weitere Informationen gibt es auf der Homepage unter https://www.klostercafe-st-hildegard.de/ und auf dem eigenen Facebook-Account: Klostercafe St. Hildegard Rüdesheim. 

Informationen zur Abtei St. Hildegard finden sich hier. 

Informationen zu touristischen Attraktionen in der Umgebung finden sich hier

Hier geht es zu einer Reportage zum Hildegardweg

Im Domradio: Interview mit Leiterin Kathrin Meyer

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