FRANKFURT, 28.08.2022
„Hart in der Mitte der Gesellschaft“
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Eigentlich habe sie die Bartholomäusplakette gar nicht annehmen wollen, sagte Brigitte Weber bei der Verleihung am Sonntagnachmittag im Dom. Schon beim Lesen der Begründung sei ihr nämlich schwindlig geworden – und sie habe im Spaß ihren Ehemann gebeten, schon einmal ihren Heiligenschein zu polieren. Aber Spaß beiseite: „Ich sehe Ehrungen dieser Art kritisch, denn das hat ein bisschen was von Personenkult“, findet Weber, die sich seit mehr als 30 Jahren ehrenamtlich beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Frankfurt und seit über 50 Jahren in der Kirchengemeinde St. Bernhard (heute Dompfarrei) engagiert. Immerhin hätten diese Anerkennung auch viele andere verdient. Und überhaupt falle es ihr schwer, ihre ehrenamtliche Arbeit in Verhältnis zu den Taten der mutigen Menschen zu setzen, die den SkF einst gegen viele Widerstände als Anlaufstelle für „gefallene Mädchen und Frauen“ gegründet haben. Dass sie sich dann doch entschieden habe, den Preis entgegenzunehmen, liege vor allem daran, dass sie für ein Thema stehe, auf das sie aufmerksam machen wolle: „Der Name ,Sozialdienst katholischer Frauen‘ mag vielleicht altmodisch klingen, doch ich versichere Ihnen, die herausfordernde Arbeit ist hochzeitgemäß. Wir sind kein Strümpfe strickender Kuschelverein, sondern arbeiten hart in der Mitte der Gesellschaft!“
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„Lasst uns den Spaß nicht verlieren!“
Neben Brigitte Weber erhielt auch Gabriele Fengler die Bartholomäusplakette für jahrzehntelanges ehrenamtliches Engagement. Sie ist seit 1993 ins Gemeindeleben eingebunden und seit 1995 in diversen Gremien. Sie kam 1992 zur Kirche, als sie betreten von den rechtsradikalen Anschlägen, dort Antworten suchte. Seit 1995 saß sie im Pfarrgemeinderat und arbeitete von diesem Zeitpunkt an in praktisch allen Gremien der Gemeinde mit, seit 1998 ist sie durchgehend im Vorstand. Die Nachricht über die Ehrung habe sie sprachlos gemacht, und das sei nicht allzu oft der Fall. Natürlich gibt es auch in ihrem Leben viele, die dazu beigetragen haben, dass so viel Engagement möglich war. „Ich hatte das große Glück, dass ich eine Familie habe, die mir den Rücken stärkt, und dass ich immer auf Menschen getroffen bin, mit denen es eine Freude war, zusammenzuarbeiten“, sagte Fengler, die laut Laudator Günter Broschart auch als „Eventmanagerin von St. Josef“ bekannt ist. Bewahrt hat sie sich bis heute eine gewisse Leichtigkeit: „Es ist schön, etwas zu bewegen – lasst uns den Spaß nicht verlieren!“ Eine ausführliche Würdigung der umfassenden Tätigkeiten der beiden Geehrten gibt es hier.
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Die Verleihung der Bartholomäusplakette war der Höhepunkt des Stadtkirchenfestes, das nach zwei Jahren Pause erstmals wieder auf dem Domplatz stattfinden konnte. Der Tag begann mit einem Festgottesdienst im Dom, bei dem die Reliquie des Heiligen Bartholomäus gezeigt wurde. Stadtdekan Johannes zu Eltz und sein Stellvertreter Rolf Glaser leiteten die Messe. Die Predigt hielt Marianne Brandt, Vorsitzende der Stadtversammlung der Frankfurter Katholikinnen und Katholiken, gemeinsam mit Stadtdekan zu Eltz. Dabei fand Marianne Brandt deutliche Worte: „Die katholische Kirche in Deutschland steckt in einer Krise. Der Missbrauch hat die Kirche und viele Glaubende tief erschüttert. Es ist kaum zu glauben, dass diese Institution, die für die Begegnung mit Gott steht, Heil verspricht, Menschen so zusetzen und zerstören kann.“ Die gesamte Dialogpredigt kann unten nachgelesen werden.
Eine kritische Tiefe
Nach dem Gottesdienst wurde auf dem Domplatz gefeiert – und auch zahlreiche Gruppen nutzten die Gelegenheit, sich zu präsentieren. Darunter war erstmals auch Maria 2.0. Der Stand der Frauen war mit Auszügen aus den Handlungstexten des Synodalen Weges geschmückt, außerdem konnte, wer wollte, einen Segenswunsch notieren. Der Synodale Weg sei eine „tolle, wichtige, aber auch fragile Sache“, sage Monika Humpert, Gründungsmitglied von Maria 2.0 Frankfurt. Den Frauen sei es wichtig, zu zeigen, dass sie aus der Mitte der Gesellschaft und der Mitte der Kirche kommen. Entsprechend suchten sie beim Stadtkirchenfest offen das Gespräch mit den Besucherinnen und Besuchern. Viele, die am Stand stehen blieben, freuten sich, dass durch die kritischen Stimmen von Maria 2.0 das Fest auch eine kirchenpolitische Tiefe bekam.
Segne uns mit deinem Mut zum Aufbruch
Predigt zum Bartholomäusfest von Marianne Brandt, Vorsitzende der Stadtversammlung Frankfurter Katholikinnen und Katholiken, und Stadtdekan Johannes zu Eltz
Marianne Brandt: Von Begegnungen, die unter die Haut gehen, und vom Aufbruch des Natanael ist im heutigen Evangelium die Rede.
Direkt vor dieser Stelle berichtet der Evangelist Johannes von den Berufungen der ersten Jünger Jesu: Sie hören, sehen und folgen Jesus. Fertig. Bei der Berufung des Natanael wird dieses Muster durchbrochen. Philippus‘ Fingerzeig folgt Natanael zunächst nicht. Er zweifelt: Kann denn aus Nazareth etwas Gutes kommen? Was bewegt ihn, den Kenner der Schrift, der seinen Platz unter den großen, schützenden Blättern des Feigenbaums wählte, schließlich doch, diese Sicherheit und seine Position aufzugeben, um aufzubrechen?
Erstens: Be-Gegnung. In diesem Wort steckt das, was notwendig ist, um aus einem beiläufigen, belanglosen Treffen mehr zu machen: Ein Gegenüber. Gegenseitiges Sehen, Hören und Interesse sind Voraussetzungen, um sich zu erkennen und miteinander verbunden zu wissen. Wir nehmen einander wahr, gehen aufeinander zu und gelangen zu inniger Begegnung.
Zu dieser Erfahrung lädt Philippus Natanael ein: Komm und sieh. Überzeug dich selbst.
Natanael sei ein „echter Israelit“ und „ohne Falschheit“, so wendet sich Jesus ihm zu. Natanael wird angesehen und erkannt.
Zur Begegnung kommt ein Zweites hinzu. Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann lehre die Menschen die Sehnsucht nach dem weiten Meer, so heißt es frei nach Saint-Exupéry. Diese Sehnsucht ist der Impuls für den Aufbruch. Natanael ist auf der Suche und sehnt sich nach einer Gottesbeziehung. Der echte Israelit, der sich mit Gott heftig auseinandersetzt, möchte tiefer in die Gottesbeziehung hinein, vom Studium der Schrift zum Leben.
Stadtdekan zu Eltz: Natanael Bar-Tolmai. Sohn des Furchenziehers. Unser Bartholomäus ist ein Bauernsohn, ein Mann für jede Jahreszeit, vertraut mit den Gesetzen des Wachstums, an schwere Arbeit gewöhnt. Er hat sich dann entwickelt, vielleicht gegen Widerstände, hat sich das Reich des Geistes erschlossen, ist schriftkundig geworden. Aber die Prägung in jungen Jahren, der tiefe Eindruck des ländlichen Lebens, die wird man nicht einfach los. Wenn für Bauern eines klar ist, dann das: Wie man sät, so erntet man. Von nichts kommt nichts. Ich stelle mir vor, Natanael ist mit dieser harten Lehre von zuhause bei seiner Suche nach Gott ein gutes Stück weit gekommen. Energisch und tüchtig, klarsichtig und skeptisch. Aber irgendwann merkt er: es geht nicht weiter. Gott ist kein Preis für Fleiß. Man kann ihn sich nicht verdienen. Er gibt sich aus Gnaden. Das Erkanntwerden, das leuchtende Ansehen, die Wertschätzung, mit der Jesus den Natanael mitten ins Herz trifft, das gibt es alles gratis. Und nicht nur einmal, sondern als tägliches Brot für immer. Wenn ich das glauben kann, dann bricht Angst weg, dann wird etwas frei in mir und ich kann mich auf Wandlung einlassen.
Marianne Brandt: Jesus prophezeit Natanael, dass er den Himmel offen sehen werde und Engel Gottes auf- und niedersteigen auf den Sohn des Menschen. Von einer Verbindung zwischen Himmel und Erde hören wir. Im Hinblick darauf reicht es nicht, sich in der Bequemlichkeit der Gewissheiten, der Gewöhnung und des Alltags - oder unter dem Feigenbaum – einzurichten. Die Nächsten- und die Gottesliebe führen zur Himmel und Erde verbindende Leiter. Gleichzeitig im Dienst der Menschen - mitten in der Welt – und offen für Gottes lebendige Gegenwart. Diese Bewegung, dieses Balancieren erfordern immer wieder neues Sehen und Anfangen. Wir haben uns auf Jesus eingelassen. Mit ihm auf dem Weg zu sein, der viele Ansichten und Selbstverständlichkeiten gegen den Strich bürstet, heißt im ständigen Aufbruch zu sein.
Natanael und Madeleine Delbrel verbindet diese Sehnsucht und der Aufbruch. „Wir sind zu jedem Aufbruch bereit“, sagt Madeleine Delbrel.
Hier ihr Steckbrief.
Ihr familiärer Background: wenig religiös
In ihrer Jugend: erklärte Atheistin
Immer die Sinnfrage: Philospohiestudium
Nach einer persönlichen Krise begegnet sie Christen. Sie beschließt zu beten und begegnet Gott.
Studium der Sozialarbeit: Für die Menschen in einer kommunistisch regierten Vorstadt von Paris.
Madeleine Delbrel empfiehlt, sich jeden Tag neu „Ohne Bescheidwissen“, ohne „innere Landkarte“ einzulassen.
Das ist auch, wie wir der Stadt und Gesellschaft wirken können: Neben unserem sozialen und karitativen Engagement als Christen in Frankfurt weist unser Handeln über uns hinaus auf die Himmelsleiter. Wir können in einer säkularer werdenden Welt den „unbekannten Geschmack Gottes“ vermitteln, „als Fleisch gewordenes Scharnier“ zwischen Himmel und Erde.„Wir sind zu jedem Aufbruch bereit“. Eine mit allen ihren Gliedern lebendige Kirche muss immer wieder neu aufbrechen. Ecclesia semper reformanda est.
Die katholische Kirche in Deutschland steckt in einer Krise. Der Missbrauch hat die Kirche und viele Glaubende tief erschüttert. Es ist kaum zu glauben, dass diese Institution, die für die Begegnung mit Gott steht, Heil verspricht, Menschen so zusetzen und zerstören kann. Als Folge davon verlassen Viele die Kirche und weite Teile der Gesellschaft wenden sich ab.
Können wir die Kirche kurieren? Ist der mit dem Synodalen Weg eingeschlagene Pfad aus der Glaubwürdigkeitskrise der richtige? Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen und öffentliche Positionierungen und leider auch Verletzungen. Im Sinn der Kirche wünsche ich mir, was wir eben als Beschreibung der Begegnung fanden, das Hören, das Sehen, das Zugewandtsein der Teilnehmenden.
Der Synodale Weg ist ein Aufbruch, der aus vielen weiteren Aufbrüchen in den Foren besteht. Es kommen Hirten, Lehrende, Laien zusammen und suchen den gemeinsamen Weg. Sie benennen, was ist. Sie machen Vorschläge, die vor Ort umsetzbar sind und solche, die weltweit besprochen werden. Vom guten Geist von Frankfurt war die Rede.
Der Synodale Weg geht am 08. September in Frankfurt weiter. Ich wünsche, dass die Teilnehmer des Synodalen Wegs, dass wir in Frankfurt, Jeder und Jede von uns sagen kann: „Wir sind zu jedem Aufbruch bereit“.
Stadtdekan zu Eltz: Ja, das wünsche ich mir. Auch wenn ich das nicht so leichterdings sagen kann. Mit den Jahren kommt so vieles zusammen, was an mir hängt, und woran ich hänge. Die Wohnung, die Stellung, die Meinung, die Beziehung, die Erfahrung, das Ansehen. Die Skepsis, wenn man schon viele Prozesse und Projekte und Pläne und Initiativen gesehen hat, und sich dann fragt: „Ob´s diesmal klappt? Und wenn ja: Ob´s dann besser wird?“ Das ist Schwerkraft, und die hemmt den Schritt und trübt den Sinn. Da kann ich nur sagen: Natanael, Sohn des Furchenziehers, Du weißt, wie sich das anfühlt, wenn man Acker an den Schuhen kleben hat und Argwohn im Herzen. Bleib uns in Frankfurt zugetan. Segne uns mit Deinem Mut zum Aufbruch. Und bitte den Herrn, dass er uns - dass ER uns - zum Ziel führt. Amen.