LIMBURG/HADAMAR, 02.12.2022
Leichte Sprache nutzt allen
Jeder Mensch ist einzigartig, jeder Mensch ist in seinem Anderssein normal. Daran erinnert der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Jedes Jahr am 3. Dezember soll weltweit das Bewusstsein für die Belange dieser Menschen geschärft und der Einsatz für ihre Würde und ihre Rechte gefördert werden. Fast jeder zehnte Mensch in Deutschland hat eine schwere Behinderung. Noch immer gibt es Defizite bei der gleichberechtigten Teilhabe.
Anne Badmann von der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) ist Expertin für Leichte Sprache. Was ist das und welche Rolle spielt die Leichte Sprache für Teilhabe?
Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung verstehen unsere Alltagssprache – vor allem in Schriftform – häufig nicht. Deswegen wurde die Leichte Sprache als alternatives Angebot entwickelt. Leichte Sprache ist dank kurzer Sätze und einfacher Wörter leichter zu verstehen als unsere Alltagssprache. Auch die Optik spielt eine wichtige Rolle. Daher sind Texte in Leichter Sprache übersichtlich gestaltet und die Schriftart ist einfach lesbar. Ich persönlich mag besonders diese Gestaltungsregeln, denn es ist auch für mich angenehmer, wenn ich dank angemessener Schriftgröße und hoher Kontraste meine Lesebrille in der Tasche lassen kann.
Leichte Sprache ist eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe möglichst vieler Menschen. Unsere demokratische Grundordnung lebt davon, dass möglichst viele mitreden und mitentscheiden können. In vielen Bereichen des Lebens ist es darüber hinaus auch einfach wichtig, dass möglichst viele Leute mitmachen. Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass viele ihren Müll nur deswegen nicht richtig trennen, weil sie das System nicht verstehen. Einige Mitmenschen brauchen die dafür notwendigen Infos in Leichter Sprache. Übrigens betrifft das nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern zum Beispiel auch solche, die schlecht lesen können oder deren Muttersprache nicht Deutsch ist.
Sie haben jetzt ein Kartenset mit Tipps für nachhaltiges Leben entwickelt. Um was geht es dabei und was kann man mit den Karten machen?
Wir haben einen Workshop in Leichter Sprache zum Thema Nachhaltigkeit durchgeführt. Die Teilnehmenden aus einer Einrichtung der Behindertenhilfe waren sehr interessiert und wollten vor allem wissen, was sie selbst tun können, also wie sie ihren Alltag mit einfachen Mitteln so gestalten können, dass sie Energie sparen, Ressourcen schonen und Müll reduzieren. Aus dieser Fragestellung heraus habe ich 52 Karten mit Tipps entwickelt. Es gibt auf jeder Karte ein Bild mit einer kurzen Botschaft wie zum Beispiel „Ich koche mit Deckel“. Auf der Rückseite der Karte gibt es dann weitere Infos in Leichter Sprache, warum das gut ist und für wen. Denn nachhaltiges Verhalten ist nicht nur gut für die Umwelt, sondern häufig auch für den eigenen Geldbeutel oder die Gesundheit. Deswegen heißt das Kartenset „gut für mich – gut für die Welt“.
Das Kartenset ermöglicht es Gruppen unterschiedlichster Art, miteinander ins Gespräch zu kommen über das Thema Nachhaltigkeit. Sie können sich ihre Lieblingskarten raussuchen oder ein Jahr lang jede Woche einen Tipp gemeinsam ausprobieren. Sie können die Karten auf Stapel sortieren: „Das machen wir schon“, „Das wollen wir machen“ und „Das wollen wir auf keinen Fall machen“. Die Freiwilligkeit des Handelns spielt in meinen Augen eine große Rolle. Alle Tipps sind nur Gedankenanstöße. Wir können darüber nachdenken, miteinander sprechen und uns selbst entscheiden, was für uns gut ist und wie weit wir bereit sind zu gehen. Ich persönlich setze zum Beispiel den Tipp, abends das WLAN auszustellen, nicht um, denn das würden meine fast erwachsenen Töchter mir echt übelnehmen (lacht).
An wen richten sich diese Karten?
Ich habe die Karten konzipiert und erprobt für die Bildungsarbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung. Dabei hatte ich schon im Hinterkopf, dass die Karten vermutlich auch gut für bestimmte Schulformen geeignet sind. Jetzt merke ich, dass auch viele Institutionen, Organisationen und Verbände, die eigentlich nicht auf Leichte Sprache angewiesen sind, die Kartensets bestellen.
Funktioniert Teilhabe sozusagen wechselseitig?
Ja, denn auch Menschen ohne Behinderung profitieren von Leichter Sprache. Wir alle sind tagtäglich mit vielen Nachrichten konfrontiert und verarbeiten eine wahre Flut von Informationen. Wir erleben außerdem, dass unsere Welt zunehmend komplexer und vielschichtiger wird. Da sind viele froh, wenn Sachverhalte einfach und klar dargestellt werden. Damit kann man direkt etwas anfangen, man kann es im Alltag einfach umsetzen. Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis, die wir noch viel tiefer verankern müssen: Wir alle lernen gemeinsam, miteinander und voneinander.
Die Kartensets sind für die Arbeit mit Gruppen kostenlos zu bestellen auf der Webseite https://www.leichte-sprache.online.