FRANKFURT, 27.01.2022
Das Lamm Gottes ist kein Schaf
Gebärdensprache zu lernen kann für Hörende eine Herausforderung sein. Und geht es um religiöse Begriffe, kommt es manchmal zu wunderlichen Missverständnissen. Davon kann Pfarrer Christian Enke, der hört, spricht, fließend gebärdet und im Bistum seit 25 Jahren für die Gehörlosenseelsorge zuständig ist, so einiges erzählen. Wie dieses Erlebnis: „Ich gebärdete ,das Lamm Gottes‘. Ein Gehörloser kicherte, weil er verstand, dass Jesu Tiere sehr lieb hatte“, sagt er schmunzelnd. Situationen wie diese bleiben in Erinnerung und haben bei Christian Enke über die Jahre die Überzeugung gefestigt, dass Gehörlose am besten einen eigenen Gottesdienst in Gebärdensprache brauchen – und nicht nur einen, der sprechend gehalten und gebärdend übersetzt wird.
Als Gehörlosenpfarrer ist Christian Enke im ganzen Bistum bekannt, viele Frankfurter kennen ihn außerdem als Pfarrer der englischsprachigen Gemeinde und früheren Kooperator in St. Margareta in Höchst. Auch als Pfadfinderpfarrer ist er unterwegs, allerdings eher im Hintergrund. Nun steht Pfarrer Enke – zumindest, was die eine Hälfte seiner Tätigkeit betrifft – vor einer großen Veränderung: Er verlässt die Gehörlosenseelsorge nach 25 Jahren, um zum 1. März das Team der Klinikseelsorge an der Lahn-Dill-Klinik in Wetzlar zu verstärken. Für ihn ist das praktisch, denn der 54-Jährige wohnt dort ganz in der Nähe – und er freut sich auch inhaltlich auf die neue Stelle.
Der Moment ist gekommen
Zugleich fällt es ihm nicht leicht, sich aus der Gehörlosenseelsorge zu verabschieden. Doch für ihn sei immer klar gewesen, dass er die Verantwortung irgendwann an die nächste Generation übergeben möchte, betont er – und zwar nicht erst mit dem Abschied in die Rente. „Es ist ein Moment gekommen, an dem ich gut gehen kann“, sagt er. Das hat vor allem mit der gut geregelten Nachfolge zu tun: Magdalena Schmidt, pastorale Mitarbeiterin und Sozialarbeiterin, ist bereits seit zwei Jahren Teil seines Teams und wird die 50 Prozent, mit denen Enke für die Gehörlosenseelsorge zuständig ist, übernehmen. Mit einem zweiten Stellenanteil von 50 Prozent ist sie im Bistum für Sozialarbeit zuständig, was praktisch ist, wie Enke findet – denn sicher gibt es auch Überschneidungen der beiden Bereiche. Verstärkt wird sie durch Pfarrer Michael Pauly aus dem Rheingau, der die Gehörlosenseelsorge künftig zusätzlich mit 10 Prozent Stellenanteil vertreten wird. Das Team der Hörgeschädigten-Seelsorge wird von Jochen Straub geleitet, dem Limburger Referent der „Seelsorge für Menschen mit Behinderung“. Außerdem ist mit 50 Prozent Sozialarbeit noch Eva Tappeiner für den Raum Limburg mit dabei.
Inspirierende Begegnung mit Pater Amandus
Christian Enke kam 1988 als Theologiestudent zum ersten Mal mit der Gehörlosenseelsorge in Kontakt. Damals setzte sich Kapuzinerpater Amandus Hasselbach in Liebfrauen für Gehörlose ein (damals unter dem Titel PAX, heute Integrations- und Kulturverein „Lukas 14“). Enke war tief beeindruckt von der Arbeit des Paters – und fasziniert von der Kommunikation durch Gebärden. So sammelte er erste Erfahrungen im Sprechen mit den Händen. Als 1996 der für den Raum Limburg zuständige Gehörlosenpfarrer starb, wurde Enke, damals Kaplan in Bad Homburg, sein Nachfolger. Seit 2007 ist er für das gesamte Bistum zuständig und feiert regelmäßig Gottesdienste mit Gehörlosengemeinschaften in Frankfurt, Wiesbaden, Limburg, Wetzlar, Herborn und Biedenkopf.
Seit 1988 und auch 1996, als Enke Kurse belegte, um die Gebärden zu lernen, hat sich die Gebärdensprache weiterentwickelt. Ganz zu Anfang lernte er Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG), also Gebärden, die simultan zu jedem gesprochenen Wort ausgeführt werden, was mühsam sein kann, da dabei die Grammatik der Lautsprache verwendet wird. Später lernte Enke die bis richtige – und, wie er findet: wunderschöne - Gebärdensprache (DGS). Wie lange es dauerte, bis er fließend gebärden konnte, kann er nicht sagen: „Man muss, wie bei jeder anderen Sprache auch, Grammatik und Vokabeln lernen. Und, ebenfalls wie bei jeder anderen Sprache, gilt: Je mehr Lust man darauf hat, desto schneller geht es.“ Apropos schnell: Enke, der auch beim Sprechen auf Zack ist, stellt immer wieder fest: „Man kann auch zu schnell gebärden, da muss ich mich manchmal etwas bremsen.“
Lebendige Sprache
Lernen – und manchmal auch erfinden – musste Enke am Anfang auch theologische Gebärden. Ein Vorreiter war hier ebenfalls Pater Amandus, der schon früh ein großes Projekt startete, um religiöse Gebärden zu sammeln und zu entwickeln. Manches hat sich mittlerweile verändert, denn wie bei jeder lebendigen Sprache werden auch die Gebärden über die Jahre ganz von selbst modernisiert und angepasst.
Christian Enke hat die Entwicklung der Gebärdensprache und der Gehörlosenseelsorge über Jahrzehnte begleitet und gesehen, wie sich mit der Sprache auch die Herausforderungen änderten. Kämpfte Pater Amandus noch dafür, dass die Gehörlosen eigene Angebote bekamen, war das für Pfarrer Enke schon mehr oder weniger selbstverständlich. Eine Herausforderung seiner Zeit war zum Beispiel die Inklusion. Nun gibt es wieder neue Themen, neue Fragen und Perspektiven – und genau deshalb ist der Zeitpunkt des Abschieds trotz Wehmut richtig, sagt er.
Die vielen Erfahrungen nimmt er mit in die Klinikseelsorge. Und natürlich wird er auch künftig gebärden, wenn gehörlose Patienten oder Angehörige Übersetzung brauchen. Gefragt nach seinen Lieblingserinnerungen aus der langen Zeit in der Gehörlosenarbeit muss er nicht lange überlegen: „Es gab tolle Wallfahrten nach Rom und Lourdes und Reisen zum Weltjugendtag nach Toronto, Krakau, Madrid …“
Für die Zukunft der Gebärdenseelsorge wünscht sich Christian Enke gehörlose Priester, Seelsorger und Seelsorgerinnen. Ein Ansatz wäre, zum Beispiel in St. Georgen auch Gehörlosen explizit ein Studienangebot zu machen.
Verabschiedet wird Christian Enke am Sonntag, 12. Februar, mit einem Gottesdienst in Frankfurt-Höchst, am 20. Februar folgt noch ein Gottesdienst in Herborn.
Hier ist ein Video mit Abschiedsgruß an seine Gehörlosengemeinde zu finden (mit Text zum Lesen):