LIMBURG, 14.07.2022
Tinder, Tanztee und die Suche nach der große Liebe
Paare lernen sich heute oft im Internet kennen. Waren früher Tanzkurse, Discos und Zeitungsanzeigen bewährte Hilfsmittel, eine Beziehung zu beginnen, so sind das heute zahlreiche digitale Dating-Apps. Und Facebook sei dabei „der digitale Tanztee für Senioren“, erklärt Professor Robert Lehmann bei einem vom Bistum Limburg und dem Caritasverband für die Diözese Limburg organisierten Fachtag für Mitarbeitende in Beratung und Seelsorge. Jugendliche seien heute auf anderen Plattformen zu finden. Der Online-Fachtag am Dienstag, 12. Juli, trug den Titel „Lost in Space. Paare in digitalen Welten“.
Referenten waren Professor Robert Lehmann von der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der TH Nürnberg und Ana Souto Miebach vom Kompetenzzentrum digitale religiöse Kommunikation am ZAP Bochum. Die Referenten nahmen die mehr als 25 zugeschalteten Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit auf eine kurzweilige und erhellende Reise nach „Digitalien“. Ein Land, was bei genauerer Betrachtung gar nicht so verschieden ist von der „echten“ Welt und für jüngere Generationen ganz selbstverständlich Teil ihres Lebens.
Hoher Qualitätsanspruch an Beziehungen
Natürlich führten die neuen Interaktionsformen bei Social Media zu Veränderungen, am offensichtlichsten wohl beim „Anbahnen“ einer Beziehung, so Lehmann. Dabei gehe es bei diesen Dating-Apps vorrangig nicht um Seitensprünge oder Sex-Dates wie einige Apps suggerieren, sondern um die Suche nach der Liebe. Denn laut Studien räumen auch die „digital natives“, also die jüngeren Generationen, glücklichen Paarbeziehung eine sehr hohe Priorität in ihrem Leben ein. Allen Kritikern zum Trotz sei ihnen dabei an einer langanhaltenden Paarbeziehung gelegen. „Wir alten weißen Männer sind ja immer am Nörgeln und verfallen in ein kulturpessimistisches Gejammer, dass der Wert der Ehe, der langfristigen Beziehung, schwindet. Aber, was wir beobachten, ist ein sehr hoher Anspruch an Paarbeziehung, an Passungen und Harmonie in der Beziehung“, führt Lehmann aus. Und die Jüngeren stellten einen höheren Qualitätsanspruch an ihre Beziehung, so Lehmann. Da beende man vielleicht auch eher mal eine Beziehung, wenn die Vorstellungen sich nicht erfüllten, aber das sei doch ein Qualitätsaspekt im Vergleich zu früheren Generationen, die mitunter zu große Kompromisse gemacht hatten oder machen mussten. Das Konzept der Paarbeziehung habe also Bestand. Die Digitalisierung mit Einfluss auf nahezu alle Lebensbereiche führe demnach nicht dazu, dass dieses Konzept aufgegeben wird.
Tinder mag digital sein, das Treffen selbst ist real
Ein Problem, das auch in den Paarberatungen immer wieder auftaucht, sei Untreue und Eifersucht. „Wenn der Partner Tinder installiert hat, was bedeutet das? Das müssen Paare, verhandeln“, so Lehmann. Wenn der Partner dann fremdgehe, sei das natürlich nicht virtuell, sondern ganz real. Aber auch Cyberstalking oder Rachepornos können als Spielarten einer gestörten Persönlichkeit in der digitalen Welt Thema sein. Das sei aber der gestörten Persönlichkeit geschuldet und nicht der digitalen Welt.
Zuvor hatte Ana Souto Miebach ausführlich erläutert, wie Social Media überhaupt funktioniert. Bei ihrem Vortrag wurde auch deutlich, dass die Kultur der Digitalität nicht mehr zu trennen ist vom Alltag. Wie sich Menschen und Paare im Internet präsentieren, gehöre heute mit zur Identitätsfindung und -bildung. Das führe, so Miebach, zu unterschiedlichen Herausforderungen. Gruppen oder Communities gebe es aber genauso im Internet wie in der analogen Welt, und nicht nur das: Das gesamte Menschsein fände in seiner ganzen Breite in Social Media statt. „Jedes analoge Thema wird in die digitale Welt hineintransportiert. Dabei entfalten manche Bewegungen oder Kampagnen wie die #Me too- Bewegung erst digital ihre Sprengkraft“, erklärt Miebach. Den Mitarbeitenden in Beratung und Pastoral legte sie an Herz, in einem ersten Schritt diese digitale Wirklichkeit, die eben nicht „virtuell“ sei, zumindest wahrzunehmen und in ihrer Bedeutung für das Gegenüber ernst zu nehmen. Kirche dürfe sich aus diesen Kommunikations- und Kulturräumen nicht heraushalten, wolle sie Menschen und ihren Lebensformen gerecht werden.
Konzepte in Beratung und Seelsorge müssen sich weiterentwickeln
Organisiert wurde die Veranstaltung von Elmar Honemann und Dr. Holger Dörnemann vom Bistum Limburg sowie von Eva Hannöver-Meurer vom Caritasverband für die Diözese Limburg. „Gesellschaftliche Entwicklungen - egal ob digital oder analog - müssen uns in der Beratung, in der Seelsorge, aber auch in der Erwachsenen- und Familienbildung interessieren und wir sind gefordert, unsere Konzepte entsprechend weiterzuentwickeln. Auch ist es bereichernd, dass hier Teilnehmende aus verschiedenen kirchlichen Bereichen gemeinsam an diesen aktuellen Fragestellungen arbeiten und sich vernetzen können“, erklärten Honemann und Hannöver-Meurer.