WIESBADEN, 09.03.2022
Die Kirche öffnet alle Türen
Pfarrer Dr. Peter Šoltés, Kooperator der Pfarrei St. Bonifatius Wiesbaden, stammt aus dem Erzbistum Košice, das an die Ukraine angrenzt. Er steht in enger Verbindung mit seiner Heimat und bekommt täglich aktuelle Informationen über die Lage und die Hilfe, die die Katholische Kirche leistet.
Wie ist die Situation vor Ort?
Peter Šoltés: Täglich kommen mehr Menschen an der Grenze an, derzeit sind es über 10000 am Tag. Die Leute sind tagelang unterwegs gewesen, sie sind erschöpft, ausgehungert, völlig durchgefroren, weil es eisig kalt ist und schneit. Es sind vor allem Frauen mit Kindern und sie haben nur leichtes Gepäck dabei, anders geht es nicht, wenn man lange laufen muss. Aber auch diejenigen, die mit dem Auto kommen, haben die Autos nur mit Menschen voll.
Wie werden sie empfangen?
Peter Šoltés: Mit offenen Armen und offenen Händen. Und mit so viel Herzlichkeit, dass manche Ankömmlinge erst einmal weinen müssen. Alles, was Beine hat, ist dort, um zu helfen. Das Mitleid mit den Flüchtlingen ist riesengroß und die Kirche macht alles, was irgendwie nur geht. Das Erzbistum kommt über viele Aufrufe und eigene Beiträge allen aus der Ukraine flüchtenden Menschen zu Hilfe.
Wie sieht das konkret aus, was brauchen die Menschen?
Peter Šoltés: Zuerst eine heiße Suppe, etwas Warmes zu trinken. Und dann ein warmes Bett. Und Wohnraum für die, die nicht weiter wollen. Viele Menschen möchten in der Nähe ihrer Heimat bleiben und so schnell wie möglich zurück. Erzbischof Bernard Bober hat sofort alle Gläubigen aufgefordert, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Das Erzbistum selbst hat überall seine Türen geöffnet. Im Priesterseminar sind Flüchtlinge untergebracht, um die sich die Seminaristen kümmern, ebenso wie in großen Pfarrhäusern oder bei Ordensgemeinschaften. Viele Pilgerherbergen in Wallfahrtsstätten sind ebenfalls bereits besetzt. Die Gemeinden haben so viele Sachspenden gesammelt, von Spielzeug über Hygieneartikel bis zu haltbaren Lebensmitteln. Täglich werden vom Erzbischof gesammelte Hilfen an die Grenze gebracht. Dabei gibt es bei uns auch viel Armut. Aber wie die Menschen in dieser Krise zusammenhalten, ist unglaublich. Es ist zu spüren, was Glaube heißt, was spirituelle und menschliche Werte sind.
Woher kommt die große Anteilnahme?
Peter Šoltés: Der kriegerische Konflikt in der Ukraine spielt sich direkt vor der Tür des Erzbistums Košice ab. Das Erzbistum grenzt im östlichen Teil direkt an der Ukraine und die Bevölkerung der beiden Staaten ist schon seit Jahrzehnten über die Grenze hinaus eng zusammengewachsen. Beide Kirchen, die Katholische und die Ukrainische Orthodoxe, leben seit Jahrzehnten im Frieden und familiärer Harmonie. In größeren Städten wie auch in kleinen Dörfern der Ostslowakei stehen sie mit ihren Kirchengebäuden eng nebeneinander, bereichern einander mit ihren Schätzen des Glaubens und des menschlichen Zusammenlebens. Daher ist es leicht nachvollziehbar, dass das große Leid der Ukrainer auch das slowakische Volk sehr erschüttert.
Wie geht es den Menschen in Ihrer Heimat?
Peter Šoltés: Die Leute haben Angst. Es ist so nah. Sie sehen, wie ernst diese Gefahr ist, sie haben Angst, dass der Krieg übergreift. Und sie trauen Putin das zu, schließlich haben sie selbst sowjetische Herrschaft und Unterdrückung erlebt. Als der Brand bei Tschernobyl gemeldet wurde, hat das auch große Angst ausgelöst. Ich kann mich selbst noch sehr genau an die Katastrophe von Tschernobyl erinnern, 1986, da war ich 16 Jahre alt. Das ist nur 600 Kilometer Luftlinie entfernt. Meine Nichte, die Tochter meines Bruders, erwartet im April ihr erstes Kind. Meine Familie, meine Mutter, sie alle haben große Sorgen. Und sie erleben auf vielen Ebenen die Auswirkungen der Situation. Rund 200 ukrainische Ärzte sind in die Ukraine zurückgerufen worden. Sie haben in Krankenhäusern in der Umgebung gearbeitet. Jetzt müssen sie mit der Kalaschnikow in der Hand kämpfen.
Am kommenden Sonntag wird es eine Sonderkollekte in Wiesbaden geben. Wie soll das Geld verwendet werden?
Peter Šoltés: Es wird für die Menschen gebraucht, die jetzt in kirchlichen und anderen Häusern untergebracht sind. Damit können zum Beispiel Medikamente und ärztliche Behandlungen ohne größere Bürokratie und Anträge bezahlt werden. Aber sie benötigen auch sonst Unterstützung, weil sie ja nichts mitbringen konnten. Vor Ort ist einfach schnell sichtbar, was am Dringendsten gebraucht wird. Auch Erzbischof Bober besucht die Familien und macht sich ein Bild.