WIESBADEN, 21.03.2022
Drei Kinderzimmer und elf Flüchtlinge
Astrid Lauter und ihr Mann haben elf ukrainische Flüchtlinge bei sich zuhause aufgenommen. Die Übersetzerin und Dolmetscherin ist im Pfarrgemeinderat von St. Peter und Paul vertreten und engagiertes Gemeindemitglied am Kirchort Mariä Heimsuchung. Sie erzählt im Interview, wie es läuft und was sie motiviert.
Sie haben elf geflüchtete Menschen aus der Ukraine bei sich aufgenommen. Wie ist es dazu gekommen?
Lauter: Wir kennen eine ukrainische Familie hier in Wiesbaden und wollten ihren geflüchteten Verwandten und Freunden helfen: Damit hat es angefangen. Unsere drei Kinder sind erwachsen und studieren andernorts. Also haben wir die Kinderzimmer frei geräumt. Mit ihrem Einverständnis. Dienstag vor einer Woche ist zuerst eine dreiköpfige Familie mit dem 14-jährigen Sohn eingezogen, zwei Stunden später folgten eine Mutter und ihre Tochter mit den zwei- und siebenjährigen Enkeln. Zwei weitere Töchter und ein Sohn sind mit einem Zweijährigen zuerst in Gensingen untergekommen, dann aber ebenfalls zu uns gewechselt. Und damit waren es auf einmal elf Personen bei uns.
Von jetzt auf gleich so viele Leute mehr im Haus, wie funktioniert das?
Lauter: Dass so viele Menschen dann doch auf einigermaßen engen Raum wohnen, merkt man gar nicht so. Es geht überraschend gut, wir bekommen das hin. Unsere Gäste sind auch sehr bemüht, mitzuwirken. Sie haben schon Pizza für alle zubereitet, wir haben zusammen im Garten gearbeitet und die Frauen haben Blümchen gesetzt. Es ist natürlich ein großer Vorteil, dass ich Russisch spreche. Auch mein Mann kann etwas Russisch. Ich kann daher auch bei den Ämtern mitgehen und übersetzen. Inzwischen sind alle unsere Gäste registriert. Ich weiß, was zu tun ist und kenne mich aus mit den behördlichen Anforderungen, weil wir 2015 vier syrische Familien intensiv unterstützt haben. Zu ihnen haben wir übrigens bis heute einen sehr guten Kontakt und laden uns zum Beispiel gegenseitig zum Geburtstag ein.
Bekommen Sie denn Ihrerseits Unterstützung?
Lauter: Von der Gemeinde sind alle da und fragen: Wie können wir euch helfen? Die Hilfsbereitschaft ist riesengroß. Dieser Tage habe ich drei Leute nach einem Buggy gefragt. Innerhalb von zwölf Stunden war nicht nur einer da, sondern gleich drei. Ich könnte hier ein Kleiderlager aufmachen, wenn ich alle Angebote wahrnehmen würde. Gebraucht wird schon einiges. Eine der Frauen hatte nur zwei Pullover und ein T-Shirt dabei. Und nur Winterschuhe. Aber da frage ich gezielt nach, alles andere funktioniert nicht. Eine Frau aus der Gemeinde backt jeden zweiten Tag einen Kuchen und bringt ihn hier vorbei. Außerdem holt sie die Ukrainer zu Ausflügen ab, damit wir mal etwas Ruhe haben. Sie geht mit ihnen am Rhein spazieren, ist mit der achtköpfigen Familie in der Fasanerie gewesen. Dafür hat sie sie in zwei Fuhren mit dem Auto abgeholt und wieder gebracht.
Wie geht es denn Ihren Gästen, wie ist insgesamt die Stimmung bei Ihnen?
Lauter: Es sind gemischte Gefühle. Die Menschen sind hier in Sicherheit, das ist gut. Wir lachen und haben auch Spaß miteinander. In Gedanken aber sind sie immer in ihrer Heimat. Für die Mütter und Töchter ist es schwierig, dass sie ihre Männer dort lassen mussten, auch wenn von diesen beruhigende Signale kommen. Zwei von ihnen sitzen in einem kleinen Dorf, das sie verteidigen müssen. Es liegt viele Kilometer westlich von Kiew und derzeit ist dort noch alles ruhig. Alle telefonieren natürlich täglich mit ihren Leuten. Die einen skypen regelmäßig mit der Mutter. Dann sieht man, wie sie im Keller sitzt. Die Fenster sind verbarrikadiert, damit kein Lichtschein nach außen dringt und außerdem die Scheiben nicht platzen, wenn es Einschläge gibt. Das ist schon gruselig und macht einfach auf erschreckende Weise deutlich, in was für zwei Welten wir da gleichzeitig leben. Da ist auch für uns der Krieg sehr nah.
Wie erleben Sie die Kinder?
Lauter: Sie sind im Großen und Ganzen fröhlich. Flugzeuge finden sie aber schrecklich. Wenn sie ein Flugzeug hören, macht ihnen das große Angst. Wir leben hier in einer Einflugschneise und die Flieger sind ziemlich niedrig unterwegs. Ich versuche es positiv darzustellen und habe ihnen erklärt, dass dort Menschen drin sitzen, die in den Urlaub fliegen. Die Siebenjährige hat vor kurzem ein Bild gemalt. Zwei Panzer sind auf einer Straße zu sehen, der eine russisch mit russischer Flagge und Putin am Steuer, der andere ukrainisch. Dazwischen stehen zwei Kinder, die mit erhobenen Händen jeweils die Panzer aufhalten. Dazu hat sie geschrieben: „Kinder sind gegen den Krieg.“ Als ich das gesehen habe, hatte ich eine Gänsehaut.
Wie geht es weiter?
Lauter: Wir suchen nach Wohnraum. Ich strecke da überall meine Fühler aus. Möglicherweise kann die achtköpfige Familie alsbald eine Unterkunft finden. Wenn das so ist, haben wir wieder zwei freie Zimmer. Dann könnten wir wieder Flüchtlinge aufnehmen. Wenn ich die Menschen im Fernsehen sehe, wie sie dort stehen, aus dem Krieg geflüchtet, mit nichts als einem Koffer an der Hand, nicht wissen, wohin...
Was motiviert Sie, warum machen Sie das?
Lauter: Wir haben hier den Platz, wir haben die Zeit, uns um die Menschen zu kümmern, und ich kann mich mit ihnen problemlos verständigen, kann ihnen bei der Registrierung, bei Schulanmeldung, bei Kontoeröffnung und allem anderen helfen. Und wir können miteinander einfach reden. Es sind alles Gründe, die meinen Mann und mich dazu gebracht haben, diese Menschen bei uns aufzunehmen. Und man bekommt so viel zurück, wenn man spürt, dass sie sich hier sicher fühlen.