FRANKFURT, 28.03.2022
Ein Trotzdem angesichts der Zerstörung
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Eins stellte Björn Jager, Leiter des Hessischen Literaturforums im Mousonturm, gleich zu Anfang klar: Natürlich dürfe an einem solchen Abend auch gelacht werden. Weil manche der Texte ukrainischer Autorinnen und Autoren, die am Sonntagabend im Haus am Dom vorgetragen wurden, wunderbar lustig waren, das auch – aber vor allem aus Trotz. „Das Tröstliche der großen Kunstwerke liegt weniger in dem, was sie aussprechen, als darin, dass es ihnen gelang, dem Dasein sich abzutrotzen“, zitierte Jager den Frankfurter Philosophen Theodor W. Adorno. Und fügte an: „Die Kraft dieser Texte liegt in der Geste des Trotzes. Sie sind entstanden trotz der Umstände – und in diesem Trotz findet sich Trost.“
Jager war der Hauptorganisator des Abends, für den sich 30 Institutionen wie die Börsenvereinsgruppe des Deutschen Buchhandels, die Frankfurter Buchmesse, die Deutsche Nationalbibliothek, Katholische und Evangelische Akademie sowie Verlage, Buchhandlungen und weitere zusammengeschlossen hatten (eine detaillierte Liste der Veranstalter findet sich unten). Zu hören waren Texte unter anderem von Oksana Sabuschko, Yevgenia Belorusets, Serhij Zhadan, Andrij Lubka und Halyna Kruk, ukrainische Literatur aus den letzten 100 Jahren, die stellvertretend für die Literatur des Landes stehen sollte. Die Frankfurter Autorinnen und Autoren, darunter Henning Ahrens, Zsuzsa Bánk, Yevgeniy Breyger, Eva Demski, Saskia Hennig von Lange und Bodo Kirchhoff, lasen Lyrik und Prosa, mal auf Ukrainisch mit anschließend deutscher Übersetzung, oft mit Tränen in den Augen und der Stimme.
Was wir tun können, ist nicht nichts
„Dieser Abend wird keine Bombe weniger fallen lassen. Er wird die Toten nicht mehr lebendig machen. Im schlimmsten Fall vergewissern wir uns gegenseitig unserer Betroffenheit und es geht uns besser, weil wir etwas getan haben“, sagte Björn Jager vor Beginn der Lesung. Benefizabend, Friedenskundgebung, das Weiterteilen von Friedensposts auf Social Media - natürlich dürfe man die Frage stellen, was all das überhaupt bringe, und Zweifel zulassen, ob das genug sei. „Doch Adorno hilft auch hier mit seinem Zitat, nämlich mit der Geste des Trotzes: Ein solcher Abend ist nie genug, eine Kundgebung ist nie genug, ein Klick ist nie genug – aber es ist das, was wir tun können. Und alles, was wir tun können, ist nicht nichts.“ Wichtig sei, sich der eigenen Hilflosigkeit bewusst zu sein und trotzdem im winzigen Rahmen das zu tun, was einem möglich sei, so der Leiter des Literaturforums.
Dr. Lisa Straßberger, Studienleiterin der Katholischen Akademie im Haus am Dom, dankte allen, die in kürzester Zeit zusammengefunden haben, um die Veranstaltung möglich zu machen. Es gehe darum, die „Strahlkraft der ukrainischen Literatur in den Mittelpunkt zu stellen“, sagte Straßberger: „Wir verlassen uns auf die Tragfähigkeit der Literatur und die Tragfähigkeit des kulturellen Austauschs. In jeder erzählten Geschichte steckt individuelle Erfahrung, steckt Lebenskraft, Freiheit der Gedanken. Wertschätzung dafür bringt uns heute Abend zusammen, hier im Saal, an den Bildschirmen und hoffentlich über die Grenzen hinweg.“
Was die Kraft des Wortes beglaubigt
Dr. Sonja Vandenrath, Leiterin des Referates für Literatur der Stadt Frankfurt, vertrat Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig und sagte in ihrem Grußwort: „Die Angst der Despoten vor der Macht des Wortes ist es, was dessen Kraft beglaubigt. Worte verbinden, Worte drücken Solidarität aus, Worte erlauben uns, um die zu trauern, die ihr Leben gelassen haben.“
Lisa Straßberger zeigte sich nach der Veranstaltung zufrieden: „Uns allen ist bewusst, dass ein solcher Abend nur ein Zeichen sein kann, aber ein Zeichen der Solidarität ist besser als nichts, ein Trotzdem angesichts der Zerstörung.“
Die gesammelten 2900 Euro gehen an das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe. Wer im Nachgang noch spenden möchte, kann das direkt an das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe tun: Commerzbank, IBAN: DE65 100 400 600 100 400 600, BIC: COBADEFFXXX, Spenden-Stichwort: „Nothilfe Ukraine“.
Der Abend wurde live auf YouTube gestreamt, das Video ist auf dem Kanal des Hauses am Dom zu finden unter https://youtu.be/8xTN2ViH330.
Es lasen:
- Julia Grinberg & Yevgeniy Breyger: Halyna Kruk (*1974)
- Henning Ahrens: Ossyp Turjanskyj (1880-1933)
- Yevgeniy Breyger: Mychail Semenko (1892-1937)
- Julia Grinberg: Mykola Bazhan (1904-1983)
- Julia Grinberg & Yevgeniy Breyger: Wassyl Stus (1938-1985)
- Bodo Kirchhoff & Matthias Altenburg: Walerjan Pidmohylny (1901-1937)
- Eva Demski: Sofia Yablonska (1907-1971)
- Zsuzsa Bánk, Jan Costin Wagner & Anna Yeliz Schentke: Oksana Sabuschko (*1960)
- Dirk Huelstrunk: Juri Andruchowytsch (*1960)
- Safiye Can: Marianna Kijanowska (*1973) und Andrij Ljubka (*1987)
- Dalibor Marković: Serhij Zhadan (*1974)
- Saskia Hennig von Lange: Yevgenia Belorusets (*1980)
- Jan Wilm: Oleg Senzow (*1976)
Veranstalter:
- Autorenbuchhandlung Marx & Co.
- axel dielmann-verlag
- Börsenvereinsgruppe (Börsenverein des Deutschen Buchhandels)
- Frankfurter Buchmesse
- MVB
- mediacampus frankfurt
- Buchhandlung Schutt
- Denkbar
- Deutsche Nationalbibliothek
- Evangelische Akademie
- Faust-Kultur
- Frankfurter Bürgerstiftung im Holzhausenschlösschen
- Frankfurter Verlagsanstalt
- Freies Deutsches Hochstift
- gutleut verlag
- Haus am Dom – Katholische Akademie Rabanus Maurus
- Hessisches Literaturforum im Mousonturm
- hr2-kultur
- Jüdische Gemeinde Frankfurt
- Karl Marx Buchhandlung
- Kulturamt der Stadt Frankfurt
- Kultur & Bahn
- Land in Sicht Buchladen
- Literaturhaus Frankfurt
- Litprom
- Romanfabrik
- S. Fischer
- Schöffling & Co.
- Stadtbücherei Frankfurt
- Ypsilon Buchladen