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FRANKFURT, 22.03.2022

Gier, die kein Nein ertragen kann

Bei der Veranstaltung „Neid und Gier – psychoanalytisch und religiös gedeutet“ diskutierten ein ehemaliger Benediktiner-Abt und eine Frankfurter Psychoanalytikerin im Haus am Dom darüber, warum die Gier allgegenwärtig ist – und wie es gelingen kann, das endlose Sehnen doch zu stillen.

Neid und Gier sind menschlich – und auch für einen Mönch alltäglich. Das sagte Franziskus Freiherr von Heereman, von 1988 bis 2016 Abt der Benediktinerabtei Neuburg in Heidelberg und mittlerweile Seelsorger in der Frankfurter Innenstadt, bei der Diskussion „Neid und Gier – psychoanalytisch und religiös gedeutet“ im Haus am Dom. Besonders habe es ihn überrascht, dass es auch im Kloster so viele zwischenmenschliche Konflikte gebe, so der ehemalige Abt, der schon früh fasziniert vom Bild eines fast heiligen Mönches war. „Aber diese Faszination muss sich, spätestens beim Eintritt ins Kloster, der Realität stellen; dann muss man lernen, mit Enttäuschungen umzugehen. Denn im Kloster leben Menschen wie du und ich.“

Bei der fünften Veranstaltung der Reihe „Psychoanalytisch und religiös gedeutet“, bei der Expertinnen und Experten auf Einladung von Katholischer Akademie und Stadtkirche Frankfurt Schwerpunktthemen aus Sicht von Humanwissenschaft und Religion betrachten, diskutierte der ehemalige Abt mit Dr. Hanna Gekle, Psychoanalytikerin und promovierte Philosophin, die am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt lehrt und praktiziert.

Ist Geiz wirklich geil?

Gekle konfrontierte das Publikum im Saal und vor den heimischen Bildschirmen zunächst mit einem Werbespot des Technik-Marktes Saturn, der geprägt war von dem von 2002 bis 2011 gebrauchten Slogan „Geiz ist geil“. Neid und Gier seien starke Triebfedern menschlichen Lebens, jedoch auch verpönt und in der christlichen Tradition als Todsünden gebrandmarkt, sagte Gekle, ebenso wie die von Saturn propagierte Geilheit. „Der vom Werbespot angesprochene Mensch soll nun möglichst schnell in den nächsten Laden eilen und darf sich dabei nicht nur sexy vorkommen (geil), sondern auch sparsam (Geiz)“, sagte die Psychoanalytikerin. „Diese drei G appellieren an verkehrte Tugenden und laden zum Triebdurchbruch ein.“ Der Slogan verleite dazu, im Laden der Gier zu frönen und dabei dennoch eine Form der Sparsamkeit zu leben, die jedoch nicht kleinbürgerlich oder kleingeistig sei. „Der Spot verspricht: Wenn du dich deiner Gier als einem aggressiven Teil der Lust bekennst, wirst du zu jenen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und an der Spitze des gesellschaftlichen Prozesses stehen“, so Gekle. Doch Gier ist weder beim Kaufen noch in vielen anderen Bereichen ein guter Ratgeber, gehört sie doch laut Psychoanalyse zu den quälenden Trieben und verleitet zu unkontrollierbaren Handlungen, die man später nicht nur bereut, sondern sich obendrein dafür verachtet.

Perversion des Hungers

Gier, erklärte Gekle, sei eigentlich eine Perversion des Hungers, ein triebhaftes Begehren, das spezifisch menschlich sei. Gier lehne sich an den Hunger an, unterscheide sich aber von ihm, weil sie sich auf alles ausdehnen könne: auf Geld, auf Sport, auf Sex – oft mit oralsadistischer Aufladung. Im Hintergrund stehe dabei immer der Wunsch nach liebender Anerkennung. Deshalb kann sie auch mit dem erwählten Lustmittel nicht gestillt werden, denn es liegt ihr eine innere Unmöglichkeit zugrunde. „Gier ist die Gefahr, die in jedem menschlichen Begehren liegt und die leicht entarten kann; deshalb ist sie wohl dem gläubigen Menschen als satanisch erschienen“, sagte Gekle.

Der Neid ist aufs engste mit der Gier verbunden und ihr ähnlich: „Es ist der Kern des Neides, dass das Ersehnte, wenn man es denn besäße, keineswegs glücklich macht. Denn es geht nicht nur um die Abwesenheit von etwas Ersehntem, sondern um das Hochgefühl, das aus der Sicht des Neiders mit dem Besitz einhergehen soll.“

Abt Franziskus Freiherr Heereman verglich die psychoanalytische Betrachtungsweise mit der religiösen und merkte an: „Der Zugang der Psychologie setzt beim Verstehen an, ehe sie eine Veränderung erwartet. Die kirchliche Moral ist in Gefahr, diesen Schritt zu überspringen und gleich bei der Einforderung des Ideals anzusetzen.“ Er selbst spreche über Neid und Gier aus Sicht eines Betroffenen, so Heereman. Auch er esse mal zu viel, er besitze viel zu viele antiquarische Bücher und kenne die Gier, die „kein Nein ertragen kann, sie möchte alles haben, sie möchte verschlingen und ist dann überfressen.“ Auch neidisch sei er: auf Menschen, die es weiter gebracht hätten, auf zündende Ideen und gute Gedanken, auf Leute, die außergewöhnliche Sprachen sprechen oder Instrumente spielen könnten.

Der alte Franziskus kam mit ins Kloster

„Als ich in Kloster ging, glaubte ich, dass dieser Schritt mich von Grund auf verändern würde, aber dann wuchs die Erkenntnis, dass der alte Franziskus sich auch mit ins Kloster eingeschlichen hat – mit all seinen Schwächen“, sagte Heereman: „Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich zum ersten Mal ,Scheiße‘ gesagt habe im Kloster. Mönche und Nonnen sind nicht die besseren Menschen. Das Leben im Kloster ist nicht friedlich, das kann ich Ihnen sagen.“ Jeder Mensch bringe seine Wunden und Schrullen mit. Störende innere Gedanken, Neid und Gier seien gerade in Abwesenheit äußerer Impulse besonders laut.

Da hilft nur die direkte Auseinandersetzung: „Nur wer lernt, mit seinen Dämonen zu kämpfen, kann innerlich frei werden. Dieser Frieden ist kein billiger Frieden, und er muss immer wieder neu gewonnen werden.“ Abt Franziskus‘ Erfahrung: „Wir können die Dämonen nicht umbringen, nur einen anderen Umgang damit erlernen. Wir sollten unsere Dämonen als gefallene Engel entdecken, als im Grunde positive Lebensenergien, die nur einer strengeren Ordnung bedürfen. Wenn uns das gelingt, werden wir von ihnen vielleicht beunruhigt, aber nicht mehr beherrscht; dann dienen sie uns.“

Die ganze Veranstaltung hier im Video ansehen

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