LIMBURG, 18.11.2022
Frauen schützen in Katar
Am 20. November wird die wohl umstrittenste Fußballweltmeisterschaft angepfiffen. Jacqueline Schlesinger-Albert, missio-Diözesanreferentin im Bistum Limburg, zeigt Katar noch vor der Eröffnung die rote Karte und wirbt so für die Petition „Frauen schützen in Katar“ des katholischen Hilfswerks. „Es gibt nicht nur auf den WM-Baustellen, wo Tausende Gastarbeiter ihr Leben verloren haben sollen, Formen moderner Sklaverei. In Katar sind auch viele Frauen von Ausbeutung und sexuellem Missbrauch betroffen“, erklärt Schlesinger-Albert. „Mit der Petition und der Unterstützung vieler Unterzeichner wollen wir auf das Schicksal der Frauen hinweisen, ein Zeichen für Menschenrechte setzen und Druck auf politische Verantwortungsträger ausüben.“
Hausangestellte schuften 100 Stunden pro Woche
Nach Recherchen des katholischen Hilfswerks missio in Aachen leiden im WM-Land Katar besonders Migrantinnen unter Ausbeutung und sexuellem Missbrauch. Arbeitszeiten von 100 Stunden pro Woche sind keine Seltenheit für Hausangestellte, oft werden ihnen zuvor der Pass und das Handy abgenommen. Der globale Handel mit billigen Arbeitskräften ist zu einem lukrativen Geschäft geworden. 10 Millionen Migrantinnen und Migranten aus den Philippinen schuften in den Golfstaaten und anderen Regionen der Welt. Die Sklaverei erlebt in Katar eine Renaissance hinter den verschlossenen Türen der Villen.
Das Katholische Hilfswerk missio hat zahlreiche Fälle von ausgebeuteten und misshandelten Migrantinnen dokumentiert. „Wir wollen besonders auf die Situation der Frauen in Katar aufmerksam machen“, erklärt Pfarrer Dirk Bingener, Präsident von missio in Aachen. In dem Land arbeiten etwa 173.000 Gastarbeiterinnen als Hausangestellte. Sie sind nach Einschätzung von Experten besonders gefährdet, Opfer von sexuellen Belästigungen, Übergriffen und Vergewaltigungen zu werden.
Aktionsmaterial von Missio beschreibt Schicksale
Im Aktionsmaterial des Hilfswerkes ist auch die Geschichte der philippinischen Gastarbeiterin Jeannie Dizon beschrieben, die exemplarisch für die Situation von Frauen in dem Emirat.
„Letztes Jahr bekam ich einen Arbeitsvertrag für Katar, wo ich als Babysitterin für das zweijährige Kind in einer Familie arbeiten sollte“, berichtet Jeannie Dizon. Als sie bei der wohlhabenden Großfamilie in dem Golfstaat ankommt, muss sie sich um sechs Kinder kümmern. Alle geben ihr rund um die Uhr Befehle, sogar die älteren Töchter und Söhne kommandieren die junge Frau herum. Jeannie Dizon muss waschen, kochen und putzen. Ihre Nächte in einer fensterlosen Abstellkammer sind kurz: Der Arbeitstag beginnt oft um 4 Uhr in der Nacht.
Als Katar auf Grund des internationalen Drucks eine Arbeitsmarktreform ankündigt, spricht die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) von einem „historischen Schritt“ und lobt das Land für die Einführung eines „diskriminierungsfreien Mindestlohns“. Da Jeannie Dizon an sieben Tag pro Woche jeweils 15 Stunden arbeiten muss, nutzt es ihr wenig, dass sie sogar ein wenig mehr als diesen Mindestlohn erhält. Am Ende bleiben ihr ein Euro pro Arbeitsstunde in einem Land, wo die Lebenshaltungskosten fast so hoch wie in Deutschland sind.
Neben dem Hungerlohn leidet Jeannie Dizon darunter, wie rechtlos und gefangen sie in diesem Haus der Reichen sie ist. An einem Samstagmorgen wäscht sie sich im Bad. Die Türe öffnet sich. Da steht der Hausherr vor ihr und starrt sie mit einem gierigen Lächeln an. Er schiebt ihre Kleidung hoch, sie spürt seine grobe Hand auf ihrer Haut. Jeannie schreit, wie sie noch nie in ihren Leben geschrien hat und stößt ihn mit ganzer Wucht zur Seite, stürmt aus dem Bad.
„Nur weg von hier. Ich will nur noch nach Hause“, sagt sie, als sie im Büro der philippinischen Arbeitsvermittlung in der katarischen Hauptstadt Doha ankommt. Jeannie muss auf einem Blatt ihre Ausreise schriftlich begründen. Dann wird sie gebeten, die folgenden Zeilen zu ergänzen: „Hiermit verpflichte ich mich, niemanden von den Vorfällen zu berichten und keine juristischen Forderungen zu stellen“. Erst als sie unterschrieben hat, darf sie Katar verlassen.
Hilfe erhalten Frauen wie Jeannie in Dizon von dem St. John Neumann Migranten-Zentrum in Manila. Der erste Kontakt kommt zumeist über das Internet zustande, wenn bei dem katholischen Mitarbeiter Toby Marvic über Facebook und andere Kanäle Notrufe von Migrantinnen eingehen. „Teilweise sind es über 400 Frauen, die wir pro Jahr betreuen“, berichten die Mitarbeitenden.
Reisewarnung des Auswärtigen Amtes
Missio verweist in seinen Aktionsmaterialien auch auf einen dramatischen „Reise- und Sicherheitshinweis“ zu Katar vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland. So werden Frauen davor gewarnt, dass „es bei Anzeige einer Vergewaltigung zur strafrechtlichen Verfolgung des Opfers wegen außerehelichem Geschlechtsverkehr“ kommen könne.
Wie ernst diese Reisewarnung zu nehmen ist, musste in diesem Jahr die Mexikanerin Paola Schieteka, die als internationale Mitarbeiterin des Organisationskomitees in Katar tätig war, erfahren. Als sie sich nach einer brutalen Vergewaltigung hilfesuchend an die Polizei wandte, drohten ihr am Ende eine Gefängnisstrafe und 100 Peitschenhiebe. Nur mit viel Glück und Dank internationaler Proteste gelang es der Frau in ihre Heimat zurückzukehren.
Mit der Petition „Frauen schützen in Katar“ fordert missio ein Ende auch dieser frauenfeindlichen Rechtsprechung und appelliert an Bundesaußerministerin Annalena Baerbock: „Setzen Sie sich beim Emir von Katar dafür ein, dass die juristische Praxis beendet wird, mit deren Hilfe Frauen nach einer Vergewaltigung vor Gericht angeklagt werden können.“ (missio / clm)