FRANKFURT, 14.10.2022
Am Frankfurter Berg rollt’s rund - fast
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Die barrierefreie Toilette im Gemeindehaus ist so groß, dass Sarah, Alicia und Hanna nicht nur zusammen hineinpassen – sie können auch die Arme ausstrecken. „Hier ist definitiv genug Platz, um mit einem Rollstuhl gut zurecht zu kommen“, befinden die drei 16-jährigen Mädchen, die im Rahmen ihrer Firmvorbereitung mit anderen Firmantinnen und Firmanten Kirche, Gemeindehaus, Kita und Büroräume am Kirchort Allerheiligste Dreifaltigkeit am Frankfurter Berg genau unter die Lupe nehmen. Ihre Mission: Herausfinden, ob die Gebäude barrierefrei sind, und ihre Erkenntnisse online auf der Plattform www.wheelmap.org eintragen.
Die gut einstündige Begehung macht Spaß, hat aber einen ernsten Hintergrund. Denn Menschen im Rollstuhl müssen wissen, ob Gebäude für sie zugänglich sind und ob es Toiletten gibt – ansonsten kann ein Besuch dort zur Tortur werden. „Deshalb haben wir die Verantwortung, ehrlich zu bewerten“, sagt Hanna. Und deshalb leisten Plattformen wie Wheelmap einen wertvollen Beitrag zur Barrierefreiheit. Damit ein Gebäude wirklich barrierefrei ist, stellen sich jedoch noch weitere Fragen, zum Beispiel, ob es für seh- und höreingeschränkte Menschen nutzbar ist und ob es Informationen in einfacher Sprache gibt. Bei der Begehung am Frankfurter Berg konzentrieren sich die Jugendlichen lediglich auf die Zugänglichkeit mit dem Rollstuhl.
Rollstühle, Rollatoren und Kinderwägen willkommen
Die Idee zu der Aktion hatte Pastoralreferent Clemens Weißenberger. „Wir haben bei der Klausur der Stadtkirche im vergangenen Jahr darüber gesprochen, dass es gut wäre, die Frankfurter Kirchen und Gebäude auf ihre Zugänglichkeit für Rollstühle, Rollatoren und Kinderwägen zu prüfen – und deshalb fangen wir bei uns nun damit an“, erklärt er. Denn die Zahl der älteren und alten Menschen in der Gesellschaft steigt, daher ist das Thema heute wichtiger als je zuvor.
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Ein angenehmer Nebeneffekt: Die Firmandinnen und Firmanden lernen ihre Pfarrei auch ein bisschen besser kennen und schauen mal in Ecken, in die sie normalerweise nicht schauen würden. Und sie lernen am Beispiel der Kindertagesstätte Allerheiligste Dreifaltigkeit auch gleich, was Inklusion und Integration bedeutet. „Hat das was mit der Integration von Kindern aus anderen Kulturen zu tun?“, fragt jemand. „Nein, das bedeutet, dass Kinder mit besonderen Bedürfnissen zusammen mit anderen hier in die Kita gehen können und Unterstützung von einer Integrationskraft bekommen, die sich um sie kümmert“, erklärt die stellvertretende Leiterin Rexhina Palumbo.
Milan hilft mit
In der Kita gibt es aktuell kein Kind im Rollstuhl. Weil auch niemand aus dem Firmteam selbst im Rollstuhl sitzt, hatte die 17-jährige Letizia eine andere Idee: Sie hat zum Termin ihren dreijährigen Bruder Milan und seinen Kinderwagen mitgebracht. Denn auch mit Kinderwagen können Treppen, Türen und andere Bereiche zum Hindernis werden. Das merkt auch der 17-jährige Mirko, der den Anfang mit dem Kinderwagen machen darf – und prompt an der schweren Eingangstür der Kindertagesstätte „strandet“. Diese hat keine automatische Öffnung und geht nach außen auf, was dazu führt, dass Mirko sich ganz schön strecken muss, um die Tür aufzuhalten und gleichzeitig den Kinderwagen hindurchzukriegen. „Ganz schön schwierig allein“, sagt er. Rexhina Palumbo stimmt zu: „Als Mensch, der gehen kann, macht man sich darüber oft nicht so viele Gedanken.“ „Vielleicht kann hier ein elektrischer Türöffner nachgerüstet werden“, überlegt Clemens Weißenberger. „Muss man mal prüfen.“
Rote Bewertung fürs Gemeindehaus
Immerhin ist die Kindertagesstätte von innen barrierefrei sehr gut zugänglich. Es gibt eine behindertengerechte Toilette im Erdgeschoss, einen Aufzug, der Rollstuhlfahrer in den ersten Stock bringen kann, und keine Schwellen oder Stufen. Auch die Kirche und das Gemeindehaus, das anschließend von den Jugendlichen überprüft wird, kriegt die Note 1 – hier gibt es auch eine automatische Türöffnung. Nur das Pfarrhaus ist mit seinen Stufen und Schwellen alles andere als barrierefrei. „Ich bitte Euch, auch das ehrlich einzutragen“, sagt Weißenberger, der beim Rundgang von Katechetin Melanie Escher unterstützt wird. Das tun die jungen Leute – und sind angetan davon, wie einfach die Infos online eingespeist werden können. „Man muss nur angeben, ob die Orte voll, teilweise oder gar nicht barrierefrei sind, mit einem Ampelsystem“, sagt Alicia.
Wheelmap gibt es seit 2010, die Karten sind mittlerweile in 33 Sprachen verfügbar und enthalten über 1 Million Gebäude, die öffentlich bewertet wurden. Dahinter steht der Verein „Sozialhelden“ des Unternehmens „Immobilien Scout“, auch die „Initiative Transparente Zivilgesellschaft“ von Transparency International Deutschland ist beteiligt.
St. Franziskus, zu der die Allerheiligste Dreifaltigkeit gehört, hat insgesamt sechs Kirchorte, die in den nächsten Jahren nach und nach begangen werden sollen. Der Firmunterricht findet im aktuellen Jahrgang erstmals in einem modularisierten System statt, so dass die Jugendlichen selbst entscheiden können, ob sie nur die Basis-Veranstaltungen besuchen möchten oder eine der beiden erweiterten Optionen (Plus oder Pro) wählen. Für die Firmandinnen und Firmanden, die sich für die Profi-Version entschieden haben, war die Teilnahme an der Begehung selbstverpflichtend.