RÜDESHEIM EIBINGEN, 23.09.2022
Die Welt braucht Frauen wie Hildegard
In den Visionen der Heiligen Hildegard tritt Gott selbst ins menschliche Leben ein. Das hat Weihbischof Thomas Löhr am Samstag, 17. September, im Gottesdienst zum Hildegardisfest in Eibingen gesagt. „Ihr seid Gottes geliebte Kinder“ sei die immer neue Botschaft Hildegards. Alles, was sie über die Schöpfung in ihren Visionen sehe und niederschreibe, habe zum Mittelpunkt die „auserwählende Liebe Gottes zu uns“. Der Mensch sei nicht ein hilflos ausgeliefertes Produkt des Zufalls, sondern er stamme aus Gott und bleibe auch in Zukunft immer in der Liebe Gottes geborgen, betonte der Weihbischof vor den Gläubigen, die, dem Wetter trotzend, nach zwei Coronajahren wieder ohne Einschränkungen auf dem Platz vor der Wallfahrtskirche zusammen gekommen waren.
Die Kirche ist mit sich selbst beschäftigt
Zu Beginn hatte der Weihbischof auf die aktuellen und vielfältigen Sorgen der Menschen hingewiesen, vom grausamen Angriffskrieg in der Ukraine, der jetzt und vor unserer Haustür töte, über die Krise um Energie und Rohstoffe, die vielen kriegerischen Konflikte, Not und Elend weltweit bis zur Corona-Pandemie und dem Klimawandel. Zu all dem komme die durch schreckliche Taten der sexualisierten Gewalt an Kindern und Jugendlichen verursachte Krise in der Kirche hinzu. „Die Kirche scheint sich zur Zeit vor allem mit sich selbst zu beschäftigen und findet auch in dem großen Unternehmen des Synodalen Weges nicht zu einer Einheit“, sagte er.
Die Welt mit Gottes Augen sehen
In seiner Predigt erinnerte er daran, dass Papst Benedikt die Heilige vor zehn Jahren im Oktober 2012 zur Kirchenlehrerin erhoben hat. Sie ist damit eine von vier Frauen in der Geschichte der Kirche, die diesen Titel tragen. Außer ihr sind es Katharina von Siena in Italien, in Spanien Theresa von Avila und in Frankreich Therese von Lisieux. Hildegard lehre, die Welt mit Gottes Augen zu sehen: „Eine Welt, die größer ist als die dunklen Perspektiven der Gegenwart“, so Löhr: „Eine Welt, in der wir Menschen nicht einfach alles nur nach eigenen Wünschen und Ideen gestalten. Auch unsere Kirche nicht.“
Sie habe nicht ahnen können, wie bedroht unsere Welt heute sie, und habe doch Orientierung gegeben. Das Licht, das eine düstere Welt heller machen könne, komme von Gott, sagte der Weihbischof und wandte sich mit einem Appell an die Zuhörer: „Wir machen es nicht. Aber wir können es bezeugen. Als Einzelne. Als Kirche. Und sollten das nicht länger verweigern.“

Mit einem persönliche Bekenntnis zur Heiligen Hildegard und einem dringlichen Aufruf, in der Kirche das Potential von Frauen nicht ungenutzt zu lassen, meldete sich in der nachmittäglichen Reliquienfeier die Rektorin der St. Ursula Schule in Geisenheim zu Wort. „Ohne Frauen gäbe es keine Vergangenheit der Kirche und ohne Frauen wird es auch keine Zukunft der Kirche geben“, sagte Brigitte Lorenz, die in ihrer Ansprache die Vorbildfunktion der Heiligen Hildegard wie auch der Heiligen Angela Merici, der Gründerin der Ursulinen, unterstrich. An Hildegard beeindrucke sie vor allem ihr Einsatz, ihre Antriebskraft und der daraus resultierende Kampfesgeist. Er fuße auf Hildegards Überzeugung, dass jeder Mensch sein Leben selbst gestalte und dafür die Verantwortung trage. „1000 Jahre nach Hildegard wünsche ich mir häufig den Mut und die Durchsetzungskraft dieser bewunderungswürdigen Frau“, sagte die Rektorin.
Einsatz und Kampfesgeist
Sie vergleiche die Klostergründung auf dem Rupertsberg gerne mit der Gründng der St. Ursula-Schule vor 128 Jahren, als sich vier Ursulinenschwestern aus Frankfurt nach Geisenheim aufmachten, ausgestattet mit einem Koffer, einem großen Topf und einer alten Landkarte von Afrika, um den Rheingauer Mädchen eine höhere Bildung zu ermöglichen. Ihr Unterfangen haben denselben Weitblick, das Engagement und die nötige Weisheit gebraucht, um letztlich zu gelingen. Es brauche außerordentliche Frauen wie Hildegard, vor 1000 Jahren wie heute. „Wir können so viel von ihr lernen – sie zeigt uns die Wege.“
