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LIMBURG, 05.07.2023

Bedarf nach psychologischer Beratung bleibt hoch

Eva Hannöver-Meurer, Referentin für die psychologischen Beratungsdienste in der Diözese Limburg, erklärt im Interview, welche Herausforderungen es gibt und was bereits erreicht wurde.

Der Bedarf an Beratung ist während der Corona-Pandemie sprunghaft angestiegen. Der Caritasverband für die Diözese Limburg e.V. und das Bistum Limburg haben daher 250.000 Euro für zusätzliche Beratungsangebote zur Verfügung gestellt. Im Interview erklärt Eva Hannöver-Meurer, Referentin für die psychologischen Beratungsdienste in der Diözese Limburg, was mit den Mitteln erreicht wurde und mit welchen Herausforderungen die Dienste weiterhin zu kämpfen haben. 

Frau Hannöver-Meurer, in der Corona Zeit waren Beratungsangebote stark gefragt. Das Bistum und die Caritas haben 250.000 Euro aus Eigenmitteln zur Verfügung gestellt, um das Angebot der kirchlichen Beratungsstellen aufzustocken. Wie fällt ihre Bilanz aus?

Sehr positiv. Wir haben die Mittel sehr schnell und zielgerichtet ausgeben können. Zwischen der Ausschreibung bis zur ersten geförderten, zusätzlichen Beratungsstunde lagen gerade einmal sechs Wochen. Wir haben daraufgesetzt, dass die Träger der Beratungsstellen vor Ort wissen, was sie am besten damit machen können. Vor Ort wurde entschieden, ob zusätzliche Beratungsstunden, Gruppenangebote oder digitale Beratungsangebote aufgestockt werden sollen. Es gab eine Vielfalt an Möglichkeiten und zugleich war es unbürokratisch und schnell. 

Lassen sich hier Zahlen nennen?  

Wir haben durch die kurzfristige Aufstockung von Beschäftigungsverhältnissen oder die Einstellung neuer Honorarkräfte fast 3.000 Stunden an zusätzlicher Beratung oder Gruppenangeboten anbieten können. Damit haben wir etwa 1.000 Personen erreicht: Paare, Kinder und Jugendliche und Familien. Und das mit unterschiedlichen Formaten. 

Gab es einen Schwerpunkt?

Den Schwerpunkt würde ich rund um Familien mit Kindern und Jugendlichen sehen. Natürlich haben wir auch Beratungsstellen, die auf Paare spezialisiert sind. Hier sind oft Paare gekommen, die in schwierigen Situationen steckten oder extrem belastet waren. Da sind häufig indirekt Kinder und Jugendliche betroffen, die in diesen Beziehungen aufwachsen.  

Wurden mit den zusätzlichen Mittel auch andere und neue Angebote geschaffen?

Ja. Und diesen Nebeneffekt haben zunächst wir so gar nicht erwartet. In einer Beratungsstelle konnte kurzfristig eine Musiktherapeutin eingestellt werden, deren Kompetenzen auch ins Team zurückwirken. Andere haben Ressourcen vermehrt in die Online-Beratung, in digitale Beratungsformate oder neue Gruppenangebote investiert. Die Mittel aus dem Coronafonds haben zu einer Weiterentwicklung geführt. Im Beratungsalltag fehlt leider oft die Zeit, neue Dinge auszuprobieren. Während der Coronaphase musste man aber auch Neues ausprobieren. Durch die zusätzlichen Ressourcen gab es ein wenig Luft für kreatives Ausprobieren neuer Ideen, die von den Ratsuchenden sehr gut angenommen wurden.

Sie haben den Ausbau digitaler Beratungsangebote angesprochen. Ist das Thema Digitalisierung insgesamt wichtiger geworden? 

Auf jeden Fall. Durch die Corona-Pandemie hat das Thema Digitalisierung einen regelrechten Schub bekommen. Glücklicherweise fand die Befassung mit digitalen Beratungsformaten auch schon vor Corona statt, so dass bereits Erfahrungen mit digitalen Beratungssettings, insbesondere mit dem Onlineberatungsportal des Deutschen Caritasverbandes oder von der Bundeskonferenz Katholische Ehe-Familien- und Lebensberatung, bereits vorhanden waren. Diese Erfahrungen und die Weiterentwicklung in der Corona-Pandemie werden verstetigt in Richtung eines Blended Counceling-Angebots. Dies bedeutet, dass je nach Bedarf und Anliegen der Ratsuchenden verschiedene analoge oder digitale Settings von einer Beratungsstelle angeboten werden. 

Unser Leben hat sich weitgehend normalisiert. Es gibt keine Einschränkungen mehr. Spüren Sie noch Nachwirkungen der Pandemie? 

Unsere Hoffnung, dass wir mit den zusätzlichen Mitteln kurzfristig die hohe Nachfrage bedienen können und dann wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen, hat sich überhaupt nicht bestätigt. Die Wartelisten sind weiterhin lang und der Bedarf bleibt weiter sehr hoch. Gerade Jugendliche haben noch zu knabbern. Sie hatten häufig keine normalen Entwicklungsmöglichkeiten und können vieles nicht einfach nachholen. So mancher hat in der Schule oder beim Übergang von der Schule in die Ausbildung die Erfahrung gemacht, abgehängt zu sein. Auch der Sprung aus dem Elternhaus heraus, ein wichtiger Schritt in der Entwicklung, konnte für viele Jugendliche nicht stattfinden. Auch das Erleben von gemeinsamen spontanen Unternehmungen mit der Peergroup war vielen Kindern und Jugendlichen nur sehr eingeschränkt möglich.

Gibt es neben den Nachwirkungen noch weitere Herausforderungen für die Stellen?

Eine weitere Herausforderung sind natürlich die multiplen Krisen, die wir erleben. Das ist der Ukraine-Krieg und seine Folgen, der Klimawandel und wie sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt oder die Kirchenkrise als ein Beispiel, wenn Vorbildinstanzen wegfallen. Das Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen ist dadurch nachhaltig erschüttert und das wirkt nach. Gerade bei jungen Menschen, die sich die Frage stellen, wofür sie sich eigentlich anstrengen sollen.

Ist der Fachkräftemangel auch ein Thema in den Beratungsstellen? 

Ja, der macht sich aber sehr unterschiedlich bemerkbar. Wir haben Beratungsstellen, die momentan keine Probleme haben, neue Mitarbeitende zu finden. Wir haben aber auch Beratungsstellen, wo das schwierig ist. Der Wettbewerb um kluge Köpfe ist wirklich hart. Psychologen, Sozialpädagogen, Mitarbeitende in therapeutischen Berufen werden überall gesucht. Hinzukommt, dass wir Menschen mit Qualifikationen suchen, die in der Regel noch on top zu einer universitären Ausbildung kommen, nämlich beraterisches, therapeutisches Wissen. Gleichzeitig glaube ich, dass es attraktiv ist, in unseren Beratungseinrichtungen zu arbeiten. 

Lässt sich da gegensteuern? 

Eine Fachkräfte-Kampagne hilft uns an der Stelle nicht weiter. Was wir brauchen, sind Ressourcen, damit wir Menschen, die potenziell geeignet sind und eine gute Grundausbildung mitbringen, mit beraterischem Fachwissen weiterqualifizieren können. Jemand der aus dem Studium kommt, kann in der Regel nicht direkt eine zerstrittene Familie beraten. Das sind Fertigkeiten, die zugerüstet werden müssen. 

Wie sieht es mit der Refinanzierung der Beratungsangebote aus? Wie hoch ist der Anteil eigener Mittel?  

In Hessen liegt der Anteil bei 100 Prozent, wenn es um die klassische Ehe-, Familien- oder Lebensberatung (EFL-Beratung) geht, das heißt, wenn die Beratung nicht Teil einer Erziehungsberatung ist oder keine Kinder involviert sind, wie es das Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) vorschreibt. Die Beratung von Paarkonflikten wird in diesem Fall also zu 100 Prozent aus kirchlichen Ressourcen finanziert. Über die Refinanzierung der Angebote der Erziehungsberatungsstellen nach SGB VIII wird jeweils vor Ort mit den Jugendämtern verhandelt. Auch hier bringen die Träger Eigenmittel ein.
In Rheinland-Pfalz sieht das ein bisschen anders aus. Auch dort müssen die Träger mit den Kommunen verhandeln und Eigenmittel einbringen. Allerdings fördert das Land auch integrierte Beratungsstellen, die sowohl EFL- Beratung als auch Erziehungsberatung anbieten.

Wünschen sie sich das auch für Hessen? 

Ja natürlich. Von Seiten der Kirchen wünschen wir uns auch, dass da, wo momentan viele Eigenmittel einfließen, auch weiterhin Mittel zur Verfügung stehen. 

Sehen Sie auch woanders dringenden Handlungsbedarf?  

Wir brauchen kostendeckende Finanzierungsmodelle. Die Träger bringen aktuell hohe Eigenmittel für die Beratungsstellen ein. Die Pauschalen zur Refinanzierung der Angebote der Erziehungsberatung reichen nicht aus und auch Kostensteigerungen werden nicht aufgefangen, so dass der Anteil an den Eigenmitteln in den letzten Jahren gestiegen ist. Dabei ist es eine kommunale Pflichtaufgabe, Erziehungsberatung vorzuhalten.
Und wir brauchen die Absicherung eines psychologischen Beratungsangebots für Menschen, das eben nicht durch das SGB VIII abgedeckt ist. Darunter fällt die klassische Ehe- und Paarberatung oder auch die Beratung älterer Menschen. Auch bei Hochaltrigen kann es Konflikte oder Bedarf nach psychologischer Beratung geben.  Angesichts der weiterhin sehr hohen Nachfrage brauchen wir dringend zusätzliche Ressourcen, um weitere Beratungsangebote finanzieren zu können. Ein gemeinsamer Sonderfonds des Bundes, der Länder und der Kommunen für die nächsten 5 Jahre wäre notwendig, um die Menschen nach der Corona-Krise und angesichts der aktuellen Krisen mit zusätzlichen Beratungsangeboten zu begleiten. 

Welche Rolle spielen die Beratungsstellen in Abgrenzung zu psychotherapeutischen Praxen und Kliniken? Dort gibt es Wartezeiten von mehreren Monaten ...

Da sind wir in der Regel niedrigschwelliger und schneller unterwegs und bieten offene Sprechstunden an. Auch das Angebot der Telefonseelsorge und Lebens- und Krisenberatung ist hier zu nennen. Wir leisten als niedrigschwellige Anlaufstelle eine erste, grundsätzliche Einschätzung bei Problemen, müssen aber bei therapeutischem Bedarf an das Gesundheitssystem verweisen. Angesichts des aktuellen Mangels an Therapieplätzen und der hohen Nachfrage nach Beratung und ist das Angebot der katholischen Beratungsstellen für viele Menschen eine wichtige Hilfe. Hierfür wünschen wir uns gesellschaftliche Unterstützung. Unser Angebot ist ein wichtiges Element in der psychologischen Infrastruktur, nicht nur in Krisenzeiten.


Zur Gesprächspartnerin: 
Eva Hannöver-Meurer leitet das Kompetenzfeld Kinder. Jugend. Familie. Integration. im Caritasverband für die Diözese Limburg. Als Referentin ist sie zudem zuständig für die psychologischen Beratungsstellen im Bistum Limburg

Zu den psychosozialen Beratungsstellen: 
Im Bistum Limburg gibt es 16 psychologische Beratungsstellen. Neben Beratungsangeboten für die Ehe-, Familien- und Lebensberatung gibt es auch Erziehungsberatungsstellen und Angebote für Jugendliche und Kinder sowie die Telefonseelsorge mit ihren Krisen- und Lebensberatungsstellen. Das Beratungsangebot ist kostenlos. Es werden keine ärztliche Überweisung oder eine Genehmigung der Krankenkassen benötigt. 
 

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