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WIESBADEN, 09.07.2023

Mit gesammelter Stadt-Land-Fluss-Erfahrung

Experimentierfreudiger und vernetzter: Beim Initialworkshop am Samstag, 8. Juli, schärfte die Region Wiesbaden, Rheingau, Untertaunus ihr Profil

Die katholische Kirche in Wiesbaden, dem Rheingau und dem Untertaunus will experimentierfreudiger sein, mehr netzwerken, Begegnungsorte bieten und eine neue Kultur der Zusammenarbeit etablieren. Das waren einige der Stichworte, die rund 40 Haupt- und Ehrenamtliche am Samstag, 8. Juli, bei einem Initialworkshop im Roncalli-Haus zusammen getragen haben. Für wen und für was soll Kirche in der Region da sein? Was haben wir als Kirche der Region zu bieten? So lauteten zwei der grundsätzlichen Fragen, mit denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auseinander setzten. Anlass ist die laufende Umstrukturierung im gesamten Bistum Limburg, die auch die Kirche vor Ort betrifft. Bis Ende 2024 wird hier aus den bisherigen drei katholischen Bezirken eine sogenannte Region.

Zündende Ideen gegen lange Gesichter

Den zuversichtlichen Grundton für die damit verbundene Herausforderung setzten zum Auftakt in Wort und Musik Leute aus der Jugendarbeit: „Einfach mal machen“, gaben der Leiter der Jugendkirche Kana, Thomas Klima, und Jugendbildungsreferentin Clara Vogel als in ihrer Arbeit erprobtes Vorgehen an und unterstrichen die Chance, die in dem Neuanfang stecke. Musikalisch warben sie gemeinsam mit Sarah Krebs vom Referat Kirchenmusik und Johannes Walter aus der Pfarrei St. Peter und Paul Rheingau schwungvoll dafür, sich gegenseitig „(d)ein kleines Vertrauen“ zu schenken und auf die „zündende Idee“ zu setzen als Medizin gegen lange Gesichter. Dass die Kirche gleichzeitig auf dem Prüfstand stehe wie nie zuvor, auch bei ihm selbst, hatte Klima zu Beginn bekannt - und dass sie ihm zugleich sehr am Herzen liege.

Als Kirche einer unter vielen

Nötige Veränderung, Spaß am Aufbruch bei zugleich nüchterner Bestandsaufnahme - diese Spannbreite wurde im Laufe des Tages immer wieder sichtbar. Nachdem die Vorsitzende des gewählten Regionenausschusses, Dr. Renée Jaschke, „den Charme“ der neuen Struktur unterstrichen hatte und die Pastoralreferenten Benedikt Berger und Kerstin Lembach als vorläufige Regionenvertretung die Aufgabenstellung des Tages skizziert hatten, war der Ring für die erste Runde freigegeben. „Katholische Kirche ist keine Insel und findet nicht im luftleeren Raum statt“, sagte Organisationsentwicklerin Annette Karthein, die zusammen mit Thorsten Klug, Leiter des Pädagogischen Zentrums der Bistümer in Hessen, den Tag moderierte. Beim 360 Grad-Blick notierten die Anwesenden an Stellwänden Fragen, Fakten und Gedanken zu gesellschaftlichen Bereichen wie Wirtschaft, Soziales, Kultur und Ökologie.

Anwaltschaft für Schwache

„Wir sind zu sehr mit uns selbst beschäftigt“, lautete eine der selbstkritischen Notizen in puncto Politik neben „Den Rechtsruck im Auge behalten“ und der Forderung, mehr in den Jugendbereich zu investieren, zum Beispiel mit einem eigenen Jugendring. „Wir rennen als Kirche nicht immer offene Türen ein“ war das Pendant zu „Wir sind nur einer unter vielen“, wie es auf einem der Haftzettel zum Thema „Religion“ stand. „Vielfalt zulassen“ hieß es auf einem anderen. Die Kirche als kulturellen Player sehen und wertschätzen, als Christen für die Schöpfungsverantwortung eintreten und den auch wirtschaftlich bedeutenden Faktor von Tourismus wahrnehmen, war auf anderen Stellwänden zu lesen. Unter der Überschrift Soziales ging es vor allem um „Armut“ und die „Anwaltschaft für Schwache“. Es brauche dringend gute Strukturen, damit Kirche als Sprachrohr für alle sozialen Schichten wirken könne, formulierte eine der Diskussionsteilnehmerinnen eindringlich. Mit eigenen Modellen aktiv auf den Fachkräftemangel reagieren, lautete ein weiterer Vorschlag.

Begegnung auf Augenhöhe

„Das Potential ist da, aber etwas verschüttet“: Das kurze Zwischenresümee von Thorsten Klug war verbunden mit der Einladung, im Worldcafé über bestehende kirchliche Angebote, neue Aufgabenschwerpunkte und die eigene Motivation ins Gespräch zu kommen. Schnell füllten sich die ausgebreiteten Papiertischdecken. „Wenn sich alle ergebnisoffen und auf Augenhöhe bewegen“, beschrieb eine Teilnehmerin die Voraussetzung, um gerne selbst Teil der künftigen katholischen Region zu sein. Wenn über die eigenen Kirchtürme hinaus gedacht werde, lautete die Bedingung eines anderen Teilnehmers. Wenn zugleich die Nähe vor Ort erhalten bleibe, eine dritte. Große Vielfalt gab es auch bei der Frage, für wen die Kirche da sein solle. Einsame und Bedürftige wurden allen voran genannt, aber auch (junge) Familien, Menschen, die Sehnsucht nach Gott haben, und die „Noch-nicht-Ausgetretenen“. Dass die Kirche in der Region bereits viel zu bieten hat, machte die Ideensammlung überzeugend sichtbar – angefangen bei der ganzen Bandbreite der professionellen caritativenHilfsangebote über spirituelle Vielfalt, den kulturellen Reichtum und die guten Orte bis hin zur gesammelten seelsorglichen „Stadt-Land-Fluss“-Erfahrung. 

Größeres Engagement in Schule erwünscht

Was ihrerseits Menschen in der Region von Katholischer Kirche erwarten, hatten zwei Umfragen – extern und intern – zutage gebracht, die als kleiner Gallery Walk präsentiert wurden. Christian Lahr, Hauptamtsleiter der Stadt Wiesbaden, hatte dabei in seinem Statement die Notwendigkeit einer starken sozialpastoralen Stimme hervorgehoben, „die die Botschaft Jesu aus der Bergpredigt authentisch und stimmgewaltig vertritt.“ Eine stärkere Präsenz von Kirche durch Ferien- und Ganztagesangebote sowie ein größeres Engagement in der Seelsorge bei schulischer und psychischer Belastung wünscht sich Jochen Kleinschmidt, Leiter des Gymnasiums Eltville. Die Hauptkommissarin Stephanie Held hatte auf die Anfrage mit dem Wunsch nach besserer Vernetzung mit der örtlich zuständigen Polizei im Bereich der Präventiongeantwortet.

Wie geht´s weiter?

Im nächsten Schritt des Gestaltungsprozesses sollen die Ergebnisse des Workshops dokumentiert und ausgewertet werden und in Arbeitspakete einfließen. Ein Resonanztreffen im Herbst ist in Planung. Die Resonanz auf die Auftaktveranstaltung jedenfalls fiel weitgehend positiv aus, wobei vor allem die Möglichkeit der Beteiligung geschätzt wurde. „Dass man sagen konnte, was einen bewegt, und dass das ankommt“, resümierte eine der Teilnehmer. Er habe es als sehr bereichernd erlebt, nach all der Theorie rund um die Umstrukturierung darüber zu sprechen, „wofür das eigentlich gut ist“, meinte ein anderer. Den Schwung, endlich loszulegen, fasste für viele stellvertretend eine junge Teilnehmerin ins Wort: „Wir müssen jetzt aus dem Quark kommen.“

Text und Fotos: Barbara Reichwein

Hintergrund der Veranstaltung ist der Transformationsprozess im gesamten Bistum Limburg, der mit strukturellen Veränderungen in der bischöflichen Verwaltung und in der Fläche verbunden ist. So werden bis Ende 2024 aus den bisherigen elf Bezirken fünf Regionen. Weitere Informationen im Internet unter: trafo.bistumlimburg.de.

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