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FRANKFURT, 26.09.2023

Lachen hilft gegen den Horror

Die Aufführung der KZ-Operette „Resistance a la Francaise“ sorgte im Haus am Dom in Frankfurt für Erschütterung – und dreifachen Applaus. Am Ende stand fest: Überleben ist „die ultimative Sabotage“.

Nach Ausschwitz ein Gedicht zu schreiben sei barbarisch – so Adorno, aber was ist mit einer Operette? Vor allem, wenn sie in dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück geschrieben wurde?

Was unglaublich scheint, wurde am 22. und 23. September im Haus am Dom vor vollbesetzten Sälen aufgeführt. Annick Moerman übernahm dabei den Gesang, Ying Jin-Labuti spielte den Flügel und Myriam Tancredi kontextualisierte das Gesungene immer wieder. Die Operette wurde 1944 von der Resistance-Kämpferin und Ethnologin Germaine Tillion geschrieben - möglich, weil ihre Mitgefangenen sie in einem großen Kleiderkasten versteckten, damit sie schreiben konnte.

Die Liedtexte wurden im Haus am Dom so gesungen, wie Tillion sie dort aufschrieb und deutsche Untertitel auf einer Leinwand halfen denen, die dem Französisch nicht mächtig waren.

Durch das Trio wurde die Operette, die das Konzentrationslager, zusammen mit ihrer Verfasserin, überlebte, einmal mehr lebendig. Der Titel der Operette lautet „Unverfügbar“, was auf Tillions Stand im KZ zurückgeht. Sie wurde als „verfügbar“ gebrandmarkt und besetze somit die unterste Kategorie, womit sie offiziell für jede Art der Arbeit verfügbar zu sein musste. Das drehte sie um und verpasste sich durch die Operette den Stempel „unverfügbar“.

Eine Hommage an Germaine Tillion

Die französische Autorin Germaine Tillion war Ethnologin und kam auf Grund ihres widerständischen Bestrebens in nationalsozialistische Gefangenschaft, die sie jedoch keineswegs davon abhielten, weiterhin in dem KZ, aber auch nach ihrer Befreiung für die Befreiung aller zu kämpfen. Vor ihrer Denunziation und Deportierung 1943 war sie verwickelt in antinationalsozialistischen Aktionen. Beispielsweise besorgte sie Jüdinnen und Juden gefälschte Pässe, um zu fliehen.  Mit einigen Mitgefangenen schrieb sie bekannte Melodien, Opernlieder und Reclammusik, beispielsweise Claude Debussys „Claire de Lune“, um und bestückte sie mit spöttischen Texten. So wurde sie dazu befähigt, sich und ihre Mitgefangenen zumindest auf einer geistigen und künstlerischen Ebene von den grauenhaften KZ-Umständen zu emanzipieren.

Während Annick Moerman die insgesamt zehn Lieder sang, verließ sich Myriam Tancredi nicht auf das Hintergrundwissen der Zuschauer, sondern erklärte Persönliches aus dem Leben Tillions und ihre Gedankenwelt, aber auch die historischen Umstände, sodass jeder Zuschauer und jede Zuschauerin im Saal bei einem so schwierigen Thema an die Hand genommen wurde. Immer wieder unterbrach Moerman, beziehungsweise „Tillion“, die Sprecherin auf souveräne Art und Weise und fügt kleine Details mit französischem Akzent ein. Es wirkte so, als sei Tillion tatsächlich dabei und würde das Gesagte bekräftigen.

Ethnologin in „einer anderen Welt“

Von anderen wurde Tillion stets als Optimistin beschrieben – und unglaublicherweise singt sie im zweiten Lied spöttisch über ihre Deportation, dass sie „ohne Anstrengung einen kostenlosen Platz“ nach Norden ergattert habe. Dennoch erklärte Tancredi, dass als Tillion in dem Lager ankam, ihre optimistische Art durchaus ausgebremst geworden wäre, da sie dort „eine andere Welt“ sah, die voll des Todes war. Gleichzeitig brachte sie ihre Kenntnisse der Ethnologie, in der sie vor dem Lager regelrecht aufgeblüht war, mit ins KZ – daran festzuhalten war ihr eine große mentale Hilfe. Die Ethnologin schrieb nicht nur spöttische Lieder über die SS-Männer, die grundlos junge Mädchen niederschlugen, sondern analysierte sie und ihre Kultur. Ihren Beobachtungen zufolge brauche es vier bis 15 Tage, bis ein normales junges Mädchen zu einer Sadistin werde. Tillion erklärte in ihrem Werk, dass die Nationalsozialist:innen ganz normale Menschen seien, die, wie alle anderen auch, mit Geschichte, Kultur, Recht und Religion erzogen worden seien. Somit diagnostizierte sie bereits im Lager das Phänomen der „Nationalsozialisierung“ der Deutschen als Dressur einer ganzen Generation und die deutsche Kultur als „Kultur des kollektiven Verbrechens“.

Widerstand durch Lachen

Die Gefangenen im Lager wurden dazu gezwungen, zwölf Stunden am Tag harte Arbeit zu leisten und zusätzlich vier (teilweise stundenlange) Apelle pro Tag im Stehen auszuhalten. In dieser Kulisse wurde im Haus am Dom ein Lied aufgeführt mit dem Titel „Innendienst“, in dem gesungen wurde, dass Tillion ihren Pass mit Ruheerlaubnis verloren habe. Sie ärgerte sich und gab sich taktweise je eine Backpfeife, wobei ihr sogar die Tränen kamen. Am Ende des Lieds  begann sie zu lachen und sagte: „Ich muss lachen, es hilft gegen den Horror“. Die Zuschauerinnen und Zuschauer schauten betroffen auf Moerman, die wiederrum anfügte: „Lasst uns unsere Rückschläge singen mit gebrochenem Kiefer“.

Kurz davor wurde die Zuschauerschaft noch auf eine kulinarischen „Tour de France“ mitgenommen, bei der Moerman und Tancredi sich abwechselnd leckere französische Gerichte zuriefen und sie in ihrer Fantasie genossen. Darauf folgte ein Lied im schnellen Tempo über das Laster der Steckrüben im Lager und über die daraus resultierenden Blähungen. Die Melodie des Lieds war lustig und unterhaltsam, sogar mit kleiner Choreographie der Sängerin, was im Saal mit Applaus quittiert wurde. Kurz danach wurden die Besucherinnen und Besucher allerdings wieder mit dem Schrecken der Realität konfrontiert. Ohne lustige Hintergrundmusik wurde nun erklärt, dass die ausgemergelten Körper der Insassinnen teilweise sehr aufgebläht waren und zu schrecklichen Schmerzen führten, weil sie nur dürre Steckrüben zu Essen bekamen.

Der Sinn im Überleben

Als Tillion sehr krank wurde, versteckten sie ihre Mitgefangenen unter ihren Decken und sie wurde deshalb nicht entdeckt. Immer wieder „entschied sie sich zum Überleben“. Aber warum? In einem Lied schien sie es sich selbst zu fragen: „Wir leben, auch wenn das Leben keinen Sinn ergibt.“ Doch dann kam die Antwort, sie erklärte, dass das Überleben, die ultimative Sabotage sei, was auf das Eingangslied schloss, in dem sie das Verb „sabotieren“ in seinen verschiedenen Formen konjugierte. Das gesungene „Ich sabotiere“, wurde hierbei neuaufgegriffen und wurde mit neuem Sinn aufgeladen. Auch wurde erklärt, dass das Überleben das Vergessen verhindert.

Dies sagte sie nicht nur so, sondern sie schmuggelte tatsächlich Dokumente, Fotos und natürlich ihre Operette aus dem Lager nach ihrer Befreiung und schrieb außerdem drei Bücher über ihre Zeit in Ravensbrück. Durch sie und ihre Arbeit wurde einiges bekannt, was dort untera nationalsozialistischer Herrschaft vor sich ging.

Tancredi beendete das Stück, indem sie das Publikum fragte, was es getan hätte. Nach einem dreifachen Applaus fiel auf, dass Zuschauerinnen und Zuschauer zunächst sitzenblieben. Eine Frau erklärte, sie „müsse es noch verdauen“, eine andere versuchte, ihre „Sprachlosigkeit“ in Worte zu fassen. Das Fazit der kleinen anschließenden Diskussion war, sich an Tillion ein Vorbild zu nehmen, die nie bitter wurde und im Kontext des Grauens nie vergaß, dass es auch noch das Gute gebe.

Eileen Hawthorne

Praktikantin Informations- und Öffentlichkeitsarbeit

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