Frankfurt, 24.08.2025
Mit Feuer, Seele und ganz viel Dampf
Wenn Glaube zu Tatkraft wird, kann er die Welt verändern – oder mindestens die Welt derer, die von einer guten Idee, einem freundlichen Wort, konkreter Hilfe profitieren. Das wurde bei der Verleihung der Bartholomäusplakette am Sonntag einmal mehr deutlich. Denn sowohl Filomena Duron als auch Stefan Hecktor verändern auf ihre Weise die Welt. Die Eine, indem sie viele Jahre lang inhaftierten Frauen Hoffnung und Trost gespendet hat, der Andere, indem er sein herrliches Gärtnereigelände öffnet für Kinder, Familien und Neugierige, die dort willkommen sind. „Es gibt den Glauben, den wir in der Kirche leben, und den Glauben, der vor Ort wirkt“, formulierte es Marianne Brandt, Vorsitzende des Stadtsynodalrats, bei der Verleihung der Plakette. „Die vielen Angebote, die die Kirche macht, sind nur möglich, weil es unzählige Ehrenamtliche gibt, die auf Basis ihres Glaubens die Kirche lebendig halten. Die Ehrenamtlichen stärken unsere Stadt.“
Die christliche Familie kennt keine Grenzen
Filomena Duron wurde für ihren großen Einsatz im Frauengefängnis in Preungesheim ausgezeichnet. Sie half den Frauen ganz konkret bei der Suche nach Arbeitsmöglichkeiten, vor allem im Reinigungsbereich oder in der Gastronomie, und unterstützte sie dabei, wieder Fuß in der Gesellschaft zu fassen. Gabriella Massaglia las die Laudatio vor, die von Pfarrer Don Matteo Laslau für die Geehrte geschrieben wurde. Die Auszeichnung freue und bewege die gesamte italienischsprachige Gemeinde Frankfurt, schrieb Don Matteo. Sie sei ein starkes Zeichen dafür, wie sehr die italienischsprachige Gemeinde mittlerweile ein lebendiger und anerkannter Teil der Stadtkirche sei. „Seit 30 Jahren ist Filomena Durons Leben eng mit dem Leben der Gemeinde verbunden. Ihr Einsatz im Frauengefängnis Preungesheim bleibt ein leuchtendes Beispiel, es geht um echte Begleitung der verletzten, ausgegrenzten Frauen. In ihr wurde das Evangelium der Nächstenliebe zur vollendeten Tat.“ In sehr persönlichen Worten formulierte Don Matteo: „Liebe Filomena, deine Treue hat auch in schwerer Prüfung nicht nachgelassen. Du hast gezeigt, dass die christliche Familie keine Grenzen kennt, weil sie aus der Liebe geboren wird, die man schenkt. Danke, dass du uns zeigst, wie das Evangelium die Welt und die Stadt verändern kann.“
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Filomena Duron sagte in ihren Dankesworten, sie sei sehr geehrt davon, ausgezeichnet zu werden. Sie zitierte aus dem Paulusevangelium, in dem steht, dass der Glaube nicht untätig bleibe: „Vielmehr wird er durch die Liebe lebendig und drängt zum Handeln. Ich bete stets darum, dass christliche Gemeinschaften von diesen beiden Feuern beseelt werden.“ Nach der Übergabe der Bartholomäusplakette bekam die sichtlich bewegte Filomena Duron gleich drei Blumensträuße: einen von der Stadtkirche, einen von der italienischsprachigen Gemeinde und einen von einer guten Freundin. Javier Cuenca spielte dazu Gitarre.F
Hans Dampf in allen Gassen
Oswald Bellinger von der Eine-Welt-Gruppe in der Stadtkirche hielt die Laudatio auf Stefan Hecktor, der für sein Projekt „Abenteuer Glaube – Kirche im Grünen“ ausgezeichnet wurde. „Stefan Hecktor ist in St. Margareta ein Hans Dampf in allen Gassen, er engagiert sich in zahlreichen Gremien, im Ortsausschuss, kümmert sich um die Gottesdienstgestaltung beim Fest der Freiwilligen Feuerwehr und bei Stadtfesten“, zählte Bellinger auf. Hecktor sei ein leidenschaftlicher Gärtner und ein Mann der Tat, auch außerhalb der Gärtnerei, ein Pragmatiker, guter Organisator und „Ausprobierer“, er sei offen und neugierig und liebe es, gemeinsam Ideen zu entwickeln. Hecktor wirke aktiv, um mit Angeboten wie der „Kirche im Grünen“ und Aktivitäten auf Social Media junge Menschen anzusprechen und für die Kirche zu interessieren. Bellinger nannte seinen früh verstorbenen Vater und die ebenfalls bereits verstorbene Margurit Aßmann, Trägerin der Bartholomäusplakette, mit der Hecktor die „Kirche im Grünen“ aufgebaut hatte, als die Inspiration des Geehrten. Das Projekt auf dem 8000 Quadratmeter großen Gärtnereigelände am Höchster Stadtpark solle ein niederschwelliger Ort sein, offen für Jedermann und auch für nichtkirchliche Veranstaltungen. „Es reicht nicht mehr, nur die Kirchentüren zu öffnen“, sagte Bellinger. „Die ,Kirche im Grünen‘ ist ein Ort, der offen ist für alle Menschen und das, was sie umtreibt. Der Gärtner Stefan Hecktor will Hoffnung pflanzen.“
Hecktor sagte, die Plakette rühre und ehre ihn. „Natürlich bekomme ich diese Plakette stellvertretend für ganz viele Menschen, die alles, was hier schon aufgezählt wurde, mittragen, die dabei sind.“ Eines Tages habe er das Gefühl gehabt, aus seinem Gärtnereigelände könne mehr werden, berichtete er. Er sei von Gott gesehen worden und habe sich nicht weggeduckt. „Meine Familie ist dabei mein Baustein, ohne den das alles nicht gegangen wäre.“ Hecktor appellierte: „Vergesst bitte Kinder und Jugendliche nicht in der Stadtkirche. Wir alle sind aufgerufen, Vorbilder zu sein für junge Menschen. Wir sollten einfach Spaß haben, den Glauben zu leben und Liebe und Hoffnung, die der Glaube vermittelt, weiterzugeben.“
Zweifel kann ein Weg zu Gott sein
Ums Gesehen-Werden ging es auch in der vorangehenden Bartholomäusmesse im Dom. Bartholomäus, der eigentlich Nathanael hieß, sei von Jesus gesehen worden, davon kündet das Tagesevangelium. „Nathanael war ein Zweifler, aber Jesus war deswegen nicht böse auf ihn“, sagte Werner Otto, Pfarrer der Pfarrei St. Bonifatius und diesjähriger Zelebrant der Messe, in seiner Begrüßung. „Der Zweifel kann auch Weg zu Gott sein, wir brauchen uns unserer Zweifel und Schwächen nicht zu schämen. Wir dürfen sie Gott hinhalten im Gottesdienst.“ Bei der Predigt sagte Christiane Moser-Eggs, Leiterin der Stadtkirche in Doppelspitze mit Michael Thurn: „Du kannst das, ich sehe dich da, probier’s doch mal – dieses positive Signal lässt uns Menschen offenbar über uns hinauswachsen.“ Und, ein paar Sätze später: „Das heißt: Mit etwas Phantasie und einem erwartungsvollen Blick auf die Menschen um uns, kann es uns gelingen, an anderen wahrzunehmen, was sie selbst noch nicht sehen. Und damit Energie freizusetzen, die weit trägt.“ Damit nahm das Leitungsduo Bezug auf die beiden Ehrenamtler, die am Nachmittag im Haus am Dom gewürdigt wurden. „Viele freiwillig Engagierte kennen so einen ,Ruf‘ gut“, so Michael Thurn. „Hier kommt es auch zu diesem Moment, bei dem ein Funke sich auf den Weg macht. Wenn er überspringt auf einen Menschen, der sich ehrenamtlich engagiert – wird es häufig so sein, dass die gefragte Person dann richtig für die Sache brennt. Anders wäre es kaum zu erklären, dass so viel gegeben wird – Zeit, Herzblut, Nerven, Kraft.“ Die gesamte Predigt kann unten im Wortlaut nachgelesen werden.
Der Gottesdienst wurde musikalisch gestaltet von Chören aus den Kirchorten St. Bonifatius Sachsenhausen, St. Josef Höchst, St. Josef Eschersheim, St. Wendel, St. Josef Bornheim, St. Bonifatius Bonames, dem Vocalensemble Liebfrauen und SurPraise aus Sachsenhausen. Kantorin Ute Riemer sang, die Frankfurter Dombläser spielten. Verantwortlich für die Arrangements war Stadtkirchenkantor Peter Reulein, die Leitung hatte Stadtkirchenkantor Manuel Bleuel und die Orgel wurde gespielt von Dommusikdirektor Andreas Boltz.
Predigt von Christiane Moser-Eggs und Michael Thurn
Ich habe dich gesehen
I.
„Ich habe dich gesehen“ sagt Jesus zu Nathanael. Nathanael, von dem wir eben gehört haben, wird in der Tradition mit Bartholomäus gleichgesetzt. Wir gehen also davon aus, dass der Nathanael, den Jesus unter dem Feigenbaum gesehen hat, „unser“ Bartholomäus ist, dessen Namenstag wir heute feiern. Er saß wohl des öfteren unter dem Feigenbaum, zumindest hat Jesus ihn dort gesehen. Die Feigenbäume waren damals die stillen Ecken, in die Menschen sich zurückzogen, um in Ruhe zu studieren und zu denken, wir kennen ja auch solche Ecken, in die man sich mal zurückziehen kann, um eben nicht gesehen und angesprochen zu werden. Da saß er also gerne, und das passt dazu, dass von Bartholomäus in den Evangelien außer denen, die wir eben gehört haben, kein gesprochenes Wort überliefert ist, kein einziges. Und das ist doch interessant.
Denn das „ich habe dich gesehen“, mit dem Jesus Bartholomäus anspricht, trifft bei Bartholomäus einen Punkt. Es ändert alles, macht ihn vom stillen Beobachter, eventuell Skeptiker und Nörgler - nach dem Motto „Was können wir schon erwarten aus Nazareth? Ich bleibe besser hier sitzen. Das wird eh nichts“ – zum Jünger, zum Gläubigen, zum Botschafter Jesu. „Du bist der Sohn Gottes!“ ruft er aus. Dass er von Jesus gesehen wird, stellt sein ganzes Leben auf den Kopf.
So eine unerwartete Wendung also, ausgelöst durch eine Begegnung - sogar Jesus scheint ein wenig verwundert. Er entgegnet Nathanael-Bartholomäus: „Du glaubst, weil ich die sage, dass ich dich unter dem Feigenbaum sah? Du wirst noch Größeres als dieses sehen“.
Was ist da passiert?!
II.
Kennen Sie den Film „Die Kinder des Monsieur Matthieu“? In einem Internat für verhaltensauffällige und gewalttätige Jungen herrscht ein strenges Regiment mit psychischen und körperlichen Strafen. Als Monsieur Matthieu ins Internat kommt, erspürt er bald, dass sich hinter der Fassade von Aggression, Gewalt und Verstörung bei den Jungen verletzliche und kreative Persönlichkeiten verbergen. Gegen den Willen der Schulleitung gründet er einen Chor, und nach und nach stellen sich Veränderungen ein. Vor allem bei Pierre, einem besonders schweren Fall, der mehrere Wochen in den Karzer der Schule gesteckt wurde, erahnt Monsieur Matthieu eine große Musikalität.
Bezeichnend eine Szene, in der er mit dem Pierre die richtige Körperhaltung beim Singen einübt und es regelrecht sichtbar ist, wie Pierre aufrecht stehen lernt, Haltung annimmt und förmlich wächst. Wer den Film nicht kennt: Es lohnt sich, Sie werden beim Googeln fündig. So viel darf ihr aber schon gesagt werden: Aus Pierre, den alle aufgegeben hatten, und der eigentlich nur noch irgendwie verwahrt werden soll, wird ein Dirigent, der die Musikwelt begeistert.
Du kannst das, ich sehe dich da, probier’s doch mal – dieses positive Signal lässt uns Menschen offenbar über uns hinauswachsen. Oft geschieht es auch im Beruf: Eine Stelle ist neu zu besetzen, mit Verantwortung und Möglichkeiten, zu gestalten. Wer kann das übernehmen? Die Chefin geht im Geist ihr Team durch und sieht vor ihrem inneren Auge einen Mitarbeitenden, der noch nicht lange hier arbeitet. Er oder sie ist eher ruhig, prescht nicht vor, hört eher zu als viel zu reden. Sie spricht die Person an. Aus der ersten Überraschung wird vielleicht ein warmes Gefühl von Freude und Stolz, und das setzt Energie frei. Es ist, als hätte die Person die ganze Zeit darauf gewartet, angesprochen zu werden – obwohl es ihr selbst gar nicht bewusst war.
Das heißt: Mit etwas Phantasie und einem erwartungsvollen Blick auf die Menschen um uns, kann es uns gelingen, an anderen wahrzunehmen, was sie selbst noch nicht sehen. Und damit Energie freizusetzen, die weit trägt. Das bedeutet auch, sich nicht täuschen zu lassen von Äußerlichkeiten, von Menschen, die gleichgültig wirken. Manchmal haben wir die Gelegenheit, anderen die Chance zu geben, auf die sie gewartet haben, um über sich hinauszuwachsen. Manches davon steckt auch in der neuen Vokabel „befähigen“.
„Wir suchen da dringend jemanden, kannst du dir das nicht vorstellen…?“ Sicher sind heute viele freiwillig Engagierte hier, die so einen „Ruf“ gut kennen. Elternbeirat, Pfarrgemeinde- oder Verwaltungsräte, Sportvereinsgremien, Klassensprecher:innenamt oder Schüler:innenvertretung – hier kommt es auch zu diesem Moment, bei dem ein Funke sich auf den Weg macht. Wenn er überspringt auf einen Menschen, der sich ehrenamtlich engagiert – wird es häufig so sein, dass die gefragte Person dann richtig für die Sache brennt. Anders wäre es kaum zu erklären, dass so viel gegeben wird – Zeit, Herzblut, Nerven, Kraft. Wie gut das passt, dass wir heute Nachmittag wieder die Bartholomäusplakette für ehrenamtliches Engagement verleihen, an zwei, die wie Bartholomäus entbrannt sind: Filomena Duron setzt sich für inhaftierte Frauen ein, Stefan Hecktor hat die Kirche im Grünen gegründet. Wir ehren sie auch stellvertretend für die vielen, die sich in Kirche, Politik und Gesellschaft freiwillige engagieren. Es wird spannend sein zu hören, was sie heute darüber berichten, was oder wer in ihnen das Feuer entfacht hat für ihr herausragendes Engagement.
III.
Nathanael sitzt unter dem Feigenbaum. Abseits, ein Außenseiter, antriebslos, ohne Selbstbewusstsein. Das wird eh nichts mehr mit mir. „Ich habe dich gesehen.“, sagt Jesus zu Nathanael. „Für mich bist du nicht unscheinbar. Ich sehe dein Potential. Ich sehe, wer du bist. Als Mensch, als von Gott geliebter Mensch. Ich sehe dich!“ Das ermöglicht es ihm, aktiv zu werden. Sein Potential zum Leben zu erwecken und einer der 12 zu werden.
Wir erfahren durch die Schrift nicht, wie es weiterging mit dem Nathanael-Bartholomäus. Nur noch einmal wird er im Johannesevangelium später kurz erwähnt, als einer der Zeugen für den auferstandenen Jesus. Dass Jesus in ihm etwas gesehen hat, was er selber und andere bis dahin nicht erkannt hatten, das wirkt nachhaltig. Er bleibt dabei. Aber wie ging es weiter mit dem Bartholomäus, der von Jesus so gesehen und berührt wurde, dass er sich ganz neu entdecken konnte?
Die Gläubigen in früheren Zeiten hat das dazu inspiriert, die Leerstellen zu füllen. Wir kennen das heute als Fan-Fiction, wenn Menschen so begeistert sind von fiktiven Figuren und Geschichten, dass sie selbst weitererzählen. So sind Bartholomäus-Legenden entstanden, einige davon sind hier im Dom zu entdecken, vor allem im Fries im Hochchor.
Die Legenden erzählen von einem Mann voller Selbstbewusstsein, mutig und mit starken Überzeugungen, die ihn als Missionar bis nach Armenien und Indien bringen. Für die er Qual, Folter und Tod in Kauf nimmt. Der so eine beeindruckendes Charisma hatte und so wirkungsvoll aufgetreten ist, dass er sogar über seinen Tod hinaus Wunder bewirken konnte und seine Gegner in ihrer Not sogar nach seine Gebeine im Meer versenkten, weil von ihnen eine so starke heilende Wirkmacht ausging.
Das genaue Gegenteil also von dem Mann unter dem Feigenbaum. „Ich habe dich gesehen“, hatte Jesus zu ihm gesagt. Das hat alles verändert. Dann werden Wunder möglich.
Wer wartet vielleicht darauf, von uns gesehen zu werden? Welche Entwicklung, welches Potential, welches Engagement können wir initiieren? Zu wem können wir sagen: „Ich habe dich gesehen.“?