Limburg, 14.01.2025
Alte Menschen nicht vergessen
Kirche und Pflege – wie gehört das zusammen?
Sonja Sailer-Pfister: Kirche hat seit jeher einen diakonischen Auftrag. Schon die Urgemeinde, die ersten Christinnen und Christen haben sich um die Armen und Hilfsbedürftigen gekümmert. Uns ist allen die biblische Geschichte des Barmherzigen Samariters bekannt oder der Umgang Jesu mit Kranken und hilfsbedürftigen Menschen. AltenPflegePastoral ist, auch wenn es etwas sperrig klingt, Auftrag der Kirche.
Warum ist es wichtig, auf die Entwicklungen in der Pflege zu schauen und zu reagieren?
Sailer-Pfister: Wir leben in einer älterwerdenden Gesellschaft in der die Zahl der Pflegebedürftigen stetig steigt. Eine menschenwürdige Pflege zu gestalten und für alle zur Verfügung zu stellen ist und wird eine der größten Herausforderungen, die unsere Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten zu bewältigen hat. Dies gilt auch für das Handeln der Kirche. Sie ist Teil dieser Gesellschaft und als Trägerin vieler Einrichtungen und Dienste auch Teil des Gesundheitswesens.
Die Alterung der Gesellschaft ist innerhalb der Kirche noch signifikanter zu spüren, schaut man beispielsweise auf die Altersstruktur der aktiven Gemeindemitglieder. Verletzlichkeit, Fragilität, Einsamkeit und Verlust der Eigenständigkeit charakterisieren das sogenannte vierte Lebensalter. Kirche ist aufgefordert, sich mit diesen Realitäten auseinanderzusetzen.
In dieser Lebensphase kommen häufig Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Lebensperspektive auf. Es wird Bilanz gezogen oder Unerledigtes wahrgenommen, verbunden mit dem Wunsch, dabei unterstützt zu werden.
Wo sind Ansatzpunkte, an denen etwas getan werden muss/kann?
Sailer-Pfister: Zunächst gilt es, die pflegebedürftigen Menschen, ihre An- und Zugehörigen, ihre Lebenswirklichkeit wahrzunehmen. Es ist notwendig, diese Lebensrealität nicht zu verdrängen und zu marginalisieren.
Ein nächster Schritt ist, Menschen für die seelsorgliche Begleitung dieser Lebensphase zu befähigen, diese auszubilden und zu begleiten. Das ist Aufgabe der Bistümer und der Träger der verschiedenen Einrichtungen und Dienste der Altenhilfe. Dabei ist wichtig, eine Vielfalt zuzulassen, das heißt Hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger zu qualifizieren, Personen aus dem Sozial- und Pflegebereich mit einem Seelsorgeauftrag auszustatten, aber auch Ehrenamtliche zu befähigen, seelsorglich und vernetzend tätig zu werden. Die Charismen und Kompetenzen vieler werden benötigt und sollen eingesetzt werden.
Das Dokument, das die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht hat, entfaltet einige Vorschläge und zeigt Perspektiven auf. Im Bistum Limburg startet beispielsweise in Kooperation mit dem Diözesancaritasverband im Jahr 2025 bereits der zweite Ausbildungskurs für Seelsorgliche Begleiterinnen und Begleiter in der stationären und ambulanten Altenhilfe und Hospizarbeit. Dennoch ist im Feld der AltenPflegePastoral Innovation und Weiterentwicklung gefragt.
Seelsorge und Pflege ist von Mangel geprägt: Pflegemangel, Mangel an hauptamtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorgern und Mangel an finanziellen Ressourcen. Es ist eine Zukunftsaufgabe von Kirche, trotz dieses Mangels, Seelsorge und seelsorgliche Begleitung zu gestalten und gewährleisten.
Die Themen Älterwerden, Pflege und Demenz werden in den Kirchengemeinden zumeist ausgeblendet und verdrängt. Pflegebedürftige und ihre An- und Zugehörigen verschwinden oft aus dem Gemeindeleben, vor allem auch Menschen, die eine Demenzdiagnose haben. Sie ziehen sich zurück und geraten aus dem Blickfeld.
Ein großes Anliegen des Dokumentes ist, sich in den Kirchengemeinden diesen Themen und Herausforderungen zu stellen. Netzwerke aufzubauen, eine demenzsensible Gemeinde zu gestalten, Besuchsdienste zu organisieren, wären Möglichkeiten, dieser Entwicklung entgegen zu steuern. Die Ökumenische AG Demenz der Bistümer Limburg und Mainz hat zusammen mit der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) eine Tool-Box Demenz entwickelt, um Kirchengemeinden auf dem Weg zu einer demenzsensiblen Gemeinde zu unterstützen. Die Tool-Box will ermutigen, sich konstruktiv mit dem Thema auseinander zu setzen, damit Menschen mit demenziellen Veränderungen und ihre An- und Zugehörigen Teil unserer Kirche sind und werden, und nicht unsichtbar sind.
Was ist das Kernanliegen des Dokumentes, das Sie gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz entwickelt haben?
Sailer-Pfister: Kernanliegen des Dokumentes ist: Lasst die hochbetagten Menschen, die Pflege und Zuwendung brauchen, nicht alleine. Schaffen wir als Kirche zusammen mit anderen Akteuren ein Umfeld, das hochaltrigen Menschen ein menschwürdiges Dasein ermöglicht, ein Umfeld, das ihre Lebensleistung anerkennt und ihren Bedürfnissen gerecht wird.
„Mitsorgend bei den Menschen sein“, den pflegebedürftigen Menschen in den Mittelpunkt stellen, trifft das Anliegen des Dokumentes sehr gut.
Einen Schwerpunkt legt das Dokument auf Seelsorge und seelsorgliche Begleitung als bedingungslose Zuwendung zu diesen Menschen. Eine Seelsorge, die Menschen zuhört, die sich mit Ihnen auf die Suche nach Sinn und Halt begibt, eine Seelsorge, die Hoffnung schenkt. Sie ist ein zentraler Bestandteil, der im Dokument beschriebenen AltenPflegePastoral.
Wie kann jede und jeder einzelne helfen? Gibt es da Möglichkeiten?
Sailer-Pfister: Jede und jeder kann in seinem Umfeld hochaltrige und pflegebedürftige Menschen besuchen, sich um sie kümmern. Das kann in kleinen Gesten sein, sich etwas Zeit zu nehmen, etwas zu erledigen, Menschen Aufmerksamkeit zu schenken, füreinander da zu sein.
Jede und jeder kann einen Beitrag leisten zur Gestaltung einer sogenannten „caring community“, einer sorgenden Gesellschaft. Nachbarschaftshilfe wird dabei großgeschrieben.
Wir können alle dazu beitragen, dass sich die Generationen gegenseitig unterstützen und auch voneinander lernen. Alte Menschen haben Lebensweisheit, Erfahrungsschätze, eine Lebensgeschichte, die auch unseren Alltag bereichern kann.