Frankfurt, 30.06.2025
80 Jahre gesellschaftliche Relevanz
Als vor 80 Jahren der Verein Haus der Volksarbeit gegründet wurde, war die Welt eine andere. Der Zweite Weltkrieg war gerade vorbei, die Stadt lag in Trümmern, Menschen trauerten um Gefallene und bangten um Vermisste – und der Hunger war allgegenwärtig. An diese düstere Zeit erinnerten die Redner beim Jubiläumsfest, das am Freitag im Haus der Volksarbeit in der Eschenheimer Anlage gefeiert wurde. Denn aus dieser Situation heraus einen Verein zu gründen, der bis heute gesellschaftlich relevant ist, war eine Art göttliche Eingabe. Und schlichtweg beeindruckend.
Bischof Dr. Georg Bätzing nahm die Anwesenden im großen Saal mit in die Anfangszeiten. „Die tiefste Nacht war gerade zu Ende gegangen, aber der Morgen noch nicht wirklich erschienen. Es gab Freiheit, die es zu gestalten galt, und die Menschen hatten Ängste.“ 1945 setzen sich in Frankfurt einige Katholiken zusammen – Pfarrer Ferdinand Eckert, der Katholik und Publizist Walter Dirks, Lothar Zenetti und 1950 dann Dr. Magda Grube und Dr. Gusti Gebhardt für die Ehe- und Familienberatung – und gründeten die katholische Volksarbeit mit zahlreichen Initiativen, die später zum Verein „Haus der Volksarbeit“ wurde. Diese Gruppe fragte: Wie können wir unser Kirchesein neu in den Blick nehmen und Kirche für andere sein? Bis heute orientiere das Haus der Volksarbeit sich stets an der Frage: Für wen sind wir da? „Hier brauchte es über die Jahre eine hohe Aufmerksamkeit für Veränderungen, für Nöte, für die Lebenswirklichkeit der Menschen“, befand Bischof Georg in seiner Rede zur Jubiläumsfeier und zitierte aus dem Leitbild, in dem es unter anderem heißt: „Wir reagieren mit neuen Ansätzen und innovativen Angeboten auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen.“ Das berührt auch das Leitbild des Bistums Limburg, das gerade noch in der Ausformulierung ist und mit dem ein Perspektivwechsel verbunden ist. „Nicht fragen: Was wird aus uns? Sondern: Für wen sind wir da?“, so der Bischof. Und das könne man nicht besser formulieren als im Logo des Hauses der Volksarbeit, in dem zu lesen ist: „Zuerst der Mensch.“ „Was für ein Statement – in diesen Zeiten!“, zeigte sich Georg Bätzing beeindruckt.
Der Einzelne im Mittelpunkt
Stadtrat Stephan Siegler überbrachte die Grüße des Oberbürgermeisters und der Stadt, mit der das Haus der Volksarbeit seit jeher eine gute Kooperation verbindet, wie Geschäftsführerin Julia Wilke-Henrich unterstrich. Auch Siegler startete mit einem Blick ins Gründungsjahr 1945. „Die Menschen standen in der Verantwortung, ein neues Deutschland aufzubauen“, sagte er. Die Grundorientierung der neuen katholischen Volksarbeit habe damals schon den Einzelnen in den Mittelpunkt gestellt. „Das war ein völlig konträrer Ansatz zu dem, was im Dritten Reich gemacht wurde.“ Neben ethischen und theoretischen Fragen sei es damals auch um ganz praktische Probleme gegangen. „Hunger war ein großes Thema, Suppenküchen überlebensnotwendig für viele Menschen.“ Neben Suppenküchen initiierte der Verein Flüchtlingsunterkünfte und die Bahnhofsmission, auch Beratungsangebote gehörten zu den am dringendsten benötigten ersten Projekten der katholischen Volksarbeit. Siegler zeigte Anerkennung dafür, dass das Haus der Volksarbeit sich immer an den gesellschaftlichen Bedarfen orientiert habe. „Sie haben es geschafft, 80 Jahre relevant zu bleiben in der Stadt, das kann man nur, wenn man mit hoher Qualität arbeitet.“ Das Haus der Volksarbeit trage mit seinen Angeboten zur gesellschaftlichen Debatte der Stadt bei. Sieglers Appell: „Im Namen der Stadt: Machen Sie so weiter. Bringen Sie weiter Ihre ethische Positionierung in die Debatte ein. Frankfurt braucht Menschen und Organisationen wie Sie.“

Sozialarbeiter aus christlicher Motivation
Neben dem Festvortrag von Prof. Dr. Heribert Prantl unter dem Titel „Die Würde des Menschen steht nicht im Konjunktiv: Katholische Volksarbeit als Basispolitik der Demokratie“ war ein berührendes Highlight die Verabschiedung des langjährigen Vorsitzenden Hermann J. Menne, der sich nach 42 Jahren aus der Vorstandsarbeit zurückzieht. Julia Wilke-Henrich sagte über Menne, mit dem sie 16 Jahre lang im Duo – er als ehrenamtlicher Vorsitzender, sie als hauptamtliche Geschäftsführerin – eng zusammengearbeitet hatte: „Sie sind ein Sozialarbeiter aus christlicher Motivation heraus und den Menschen zugewandt. Unser Missionstatement ,Zuerst der Mensch‘ wird für mich immer mit Ihnen verbunden bleiben.“ Menne, der 2022 von Bischof Georg Bätzing mit der Georgsplakette ausgezeichnet worden war, sei der ruhende Pol des Vereins gewesen, habe Ziele mit Beharrlichkeit verfolgt und sei „ein caritativer Mensch mit Erfahrung und strategischer Weitsicht.“ Er habe auch in fordernden Situationen – zum Beispiel bei der eigenständigen Gründung von zunächst drei Kitas - für einen langen Atem plädiert, und das habe sich als richtig herausgestellt.
Menne nahm von ihr einen Blumenstrauß und einen Gutschein für ein Catering der Volksküche für 20 Personen entgegen und war sichtlich gerührt. „Er danke seiner Frau und seinen Kindern, ohne die sein Engagement nicht möglich gewesen wäre, und Julia Wilke-Henrich, über die er sagte: „Wir hatten großes Glück miteinander, weil unsere Chemie gestimmt hat. Vielen Dank für die gemeinsamen 16 Jahre.“ Auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, haupt- und ehrenamtlich, dankte er für ihren Einsatz. Und betonte abschließend: „Unsere hauseigene Kapelle ist für mich unser Fundament, sie ist ein Schatz, auf den ich immer stolz war. Ich bin bereichert worden in diesen 40 Jahren und dankbar, dass ich mitarbeiten konnte. Wir alle können mit Gottvertrauen in die Zukunft gehen.“