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Frankfurt, 19.05.2025

Engagement! Und bloß nicht zu viel Angst

Die Bildungsinitiative Ferhat Unvar ist mit dem Walter-Dirks-Preis ausgezeichnet worden. Bei der Vorstellung der wichtigen Arbeit wurde deutlich: Nur, wenn sich Menschen mit aller Kraft gegen den Hass stemmen, hat die Gesellschaft eine Chance, ihn irgendwann zu überwinden.

Jedes gewalttätig beendete Leben ist eines zu viel: Diese Aussage aus dem Buch „Traumaland – Eine Spurensuche in Deutscher Vergangenheit und Gegenwart“ von Asal Dardan wirkte wie eine Klammer, die die verschiedenen Elemente des Walter-Dirks-Tags 2025 am Samstagnachmittag im Haus am Dom und im Bartholomäusdom zusammenfasste.

Sich gegen den Hass zu stellen, das steht ganz im Geist von Walter Dirks (1901-1991), der die sozialen Probleme seiner Zeit nicht nur erkannt, sondern sie auch analytisch beschrieben hat. „Wir als Bildungsinitiative stehen wie Walter Dirks für Gerechtigkeit und Demokratie, deshalb freuen wir uns sehr, diese Auszeichnung zu erhalten“, sagte Öffentlichkeitsarbeiterin Hanna Frank von der Bildungsinitiative, die die Arbeit gemeinsam mit ihren Kolleginnen Büsra Cürebal und Nouha El Jazouli vorstellte.

Hinter der Gründung der Initiative steht ein harter Schicksalsschlag: Am 19. Februar 2020 wurde der Hanauer Ferhat Unvar mit acht weiteren jungen Menschen von einem Rassisten in Hanau ermordet. Seine Mutter Serpil Temiz Unvar gründete an seinem 24. Geburtstag im November 2020 die Bildungsinitiative, um aktiv gegen Rassismus und Antisemitismus vorzugehen. Die Initiative bietet Workshops für Schulen an, dort arbeiten Jugendliche auf Augenhöhe mit Jugendlichen ab der 9. Klasse und Lehrer:innen an Rassismusthemen und ermutigen, sich aktiv dagegen einzusetzen – und auch gegen Sexismus, Ableismus, Ageismus ...

Ich suche immer nach Hass in meinem Herzen, aber ich finde keinen, sondern nur Liebe. Quelle: Serpil Temiz Unvar

Die Bildungsinitiative ist dabei äußerst rege: Allein im vergangenen Jahr fanden 80 Workshops an Schulen statt, 24 Teamer:innen wurden ausgebildet, es wurden 26 Panels und Vorträge gehalten, 21 Jugendgruppen begrüßt, sieben internationale Vernetzungsreisen unternommen und zwei Preise entgegengenommen. Aber Hanna Frank sagte auch: „Wenn sich junge Menschen durch unsere Workshops verstanden und aufgehoben fühlen, ist das sehr viel mehr wert als jede Zahl.“ Das liegt auch daran, dass viele der Teamerinnen und Teamer selbst Migrationshintergrund haben und Erfahrungen ihrer jungen Schützlingen teilen. Hanna Frank bemerkte: „Wenn Kinder erfahren, dass sie genau die gleichen Rechte haben wie andere, die hier aufwachsen, fördert das auch die Demokratie.“ Ihre Kollegin Nouha El Jazouli ergänzte: „Rechtsextremismus ist der größte Feind unserer Demokratie, man muss die Gefahr erkennen und die Herausforderung annehmen.“ Dafür braucht es neben engagierten Mitarbeitenden auch finanzielle Mittel, so dass das Preisgeld von 2500 Euro natürlich willkommen ist.

Einstimmige Jury-Entscheidung

„Diejenigen, die in den letzten Jahren diesen Preis erhalten haben, sind Menschen oder Gruppen, die soziale Themen wie Rassismus, Antisemitismus und Menschenhass thematisieren und erfolgreiche Maßnahmen dagegen ergreifen. Deshalb sind wir sehr froh, einstimmig in der Jury die Entscheidung getroffen zu haben, in diesem Jahr die Bildungsinitiative Ferhat Unvar auszuzeichnen“, erklärte Prof. Dr. Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom und der Katholischen Akademie.

Der Nachmittag war gestaltet als multiperspektivische Auseinandersetzung mit Rassismus. Rebecca Reuter, Dramaturgin beim Staatstheater, erläuterte, man habe für die multiperspektivische Auseinandersetzung Texte und Lieder ausgewählt, die sich mit strukturellem und Alltagsrassismus beschäftigen. „An die Opfer und Verbrechen zu erinnern und zugleich weitere Opfer und Verbrechen zu verhindern, bildet das Spannungsverhältnis, in dem Erinnern stattfindet“, sagte sie. In „Traumaland“ wird betont, wie wichtig es ist, immer wieder an die lebensspendende Macht zivilgesellschaftlichen Engagement zu erinnern, durch demokratische Aufklärungsarbeit zu rechten Parteien wie der AfD, aber auch durchs Demonstrieren. „Dies sind Beispiele, bei denen Menschen sich dem rollenden Steinblock in den Weg stellen, statt sich ihm als Atom anzuschließen. Solche Aktionen retten unsere Gesellschaft“, heißt es im Text.

Neben „Traumaland“, aus dem Vincent Doddema vortrug, waren das auch das unterhaltsam geschriebene Buch „Mama, bitte lern Deutsch“ von Tashim Durgun, gelesen von Benjamin Kaygun, in dem es um die Demütigungen einer Familie durch die deutschen Behörden geht, sowie der Text „Sprache“ von Margarete Stikowski, gelesen von Maike Elena Schmidt, die auch gemeinsam mit Maren Schwier Lieder wie „We shall overcome“ vortrug. Das gefiel den Anwesenden im Großen Saal so gut, dass am Schluss noch einmal die rund 80 Anwesenden gemeinsam „We shall overcome“ sangen.

Bereichernde Zusammenarbeit

Bei der Preisverleihung im Bartholomäusdom, die im Anschluss stattfand, hielt Prof. Dr. Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, die Laudatio. Er stellte sehr persönliche Bezüge zu seiner eigenen Familie und seinen eigenen Kindern her und beschrieb die an Horror grenzende Angst, eines von ihnen zu verlieren. Außerdem zitierte Mendel den Psychoanalytiker Viktor Frankl mit einem seiner berühmtesten Zitate: „Es kommt nicht darauf an, was man leidet, sondern wie man es auf sich nimmt.“ Darin sah Laudator Mendel eine starke Parallele zur Arbeit von Serpil Temiz Unvar, die durch die Gründung der Bildungsinitiative bereits ein halbes Jahr nach dem Anschlag und Tod ihres Sohnes die Kraft gefunden habe, die Trauer in etwas gesellschaftlich Wirksames zu verwandeln. Bei ihrer Arbeit gehe es um Versöhnung, Aufklärung – und eine Absage an Rache, Hass und Gewalt. Die Bildungsstätte Anne Frank und die Bildungsinitiative Ferhat Unvar können inzwischen auf eine bewährte und enge Zusammenarbeit zurückblicken bei der Ausbildung der Teamer:innen, die von beiden Seiten als sehr gut und bereichernd wahrgenommen werde. „Darüber sind wir froh und dankbar“, so Mendel.

Bastian Bergerhoff, Kämmerer der Stadt, überbrachte Grüße des Oberbürgermeisters. Mit großer Empathie benannte Bergerhoff die Trauer über das erlittene Leid, stellte sich als Politiker klar auf die Seite der Opfer und ihrer Familien und formulierte Bewunderung dafür, dass es der Mutter des ermordeten Ferhat Unvar gelungen sei, aus dieser schrecklichen Tat etwas Positives zu machen. „Wir sagen heute öffentlich, was nicht oft genug gesagt wird: Ihre Arbeit zählt und unsere Gesellschaft braucht Initiativen wie Ihre mehr denn je. Serpil Unvar hat sich entschieden, nicht zu verstummen, nicht zu verbittern, sondern zu handeln", so Bergerhoff beeindruckt.

Serpil Temiz Unvar nahm den Preis im Dom entgegen und dankte der Jury. „Ich suche immer nach Hass in meinem Herzen, aber ich finde keinen, sondern nur Liebe“, sagte sie. Diese Liebe lebe sie und setze sie um in der nach ihrem Sohn benannten Bildungsinitiative.

Saal singt "We shall overcome"

Begründung der Jury

„Die Jury ehrt in höchst polarisierten Zeiten und gleichzeitiger Demokratiekrise eine demokratiefördernde Initiative, die seit fünf Jahren nachhaltige, antirassistische Bildungsarbeit in Hanau und Umgebung verantwortlich gestaltet. Weil die Bildungsinitiative wie Walter Dirks für inklusive Gerechtigkeit und Frieden von unten her agiert und Letzteren stiftet, insbesondere mit Gerechtigkeitssinn, Menschlichkeit, Zivilcourage und gewaltfreiem Empowerment professionell agiert und wie Walter Dirks entschieden antifaschistisch arbeitet, wird diese Bildungsinitiative zur Preisträgerin 2025 ernannt.“ Weitere Informationen über die Bildungsinitiative Ferhat Unvar: https://www.bildungsinitiative-ferhatunvar.de

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