WIESBADEN, 04.07.2021
Nicht totsagen, sondern wachrütteln

Ausgebucht und trotzdem corona-bedingt luftig besetzt: So präsentierte sich die Kirche Dreifaltigkeit in Wiesbaden, in der am Sonntag, 4. Juli, mit einem festlichen Pontifikalamt die bischöfliche Visitation der Pfarrei St. Bonifatius beendet wurde. Nicht nur das strahlende Wetter sorgte dabei für gute Stimmung. Immerhin konnten die Gläubigen zwei Lieder hinter ihren Masken mitsingen und die Pandemiesituation erlaubte im Anschluss sogar die geplante leibhaftige Begegnung im Garten, wobei sich die Beteiligten auch durch den zum Start just einsetzenden leichten Regen nicht die Laune verderben ließen. Hinter ihm liege ein spannendes Programm, sagte zu Beginn des Gottesdienstes Bischof Georg Bätzing, der von Stadtdekan Klaus Nebel herzlich begrüßt worden war. In den verschiedenen Gruppen sei intensiv gearbeitet worden zu den großen Themenfeldern, die anstünden: „Damit christliches Leben in der katholischen Pfarrei der Innenstadt sichtbar wird und die Menschen erreicht.“ Ausdrücklich dankte der Bischof all denen, die hier, ob haupt- oder ehrenamtlich, Verantwortung übernähmen, sich den Herausforderungen stellten und nicht auswichen, „denn nur so gestalten wir die Zukunft unserer Kirche in dieser Stadt, die so wichtig ist als Hauptstadt unseres Landes Hessen."

Machen wir uns auf, um Anderes kennenzulernen
In seiner Predigt zitierte Bischof Bätzing das Goethe-Wort „Man sieht nur, was man weiß“. Vieles bleibe verschlossen, wenn man nur bei dem bleibe, was man immer schon gewusst habe. Im Leben und im Glauben brauche es Ereignisse, die „uns öffnen für eine größere Wirklichkeit.“ In den vergangenen Tagen sei er in der wahrhaftig großen Innenstadtpfarrei unterwegs gewesen. Auch hier treffe das Wort zu, sagte er und nutzte es für einen Appell: „Machen wir uns doch mal auf, Anderes kennenzulernen, andere Kirchorte, Gottesdienste in anderen Kirchen dieser Stadt. Machen wir uns auf in die Einrichtungen, in die sieben Kitas voller Leben, in die Senioreneinrichtungen, die großen Kliniken, an die Orte, wo der Glaube lebt, weil die Caritas dort tätig ist.“ Dabei könne der Weg in die Weite einer großen Pfarrei als Wert erkannt werden. Wie es zugleich auch ein Wert sei, Nähe zu gestalten an den Kirchorten, wo viele sich Zuhause fühlten.
Das Schicksal der Kirchen
Auch auf die Kirche treffe das Goethe-Zitat zu. Was sei zu sehen?, fragte der Bischof: Erschütterung über den Missbrauch in den innersten Reihen der Kirche. Die Irritation der Hochverbundenen, die sich Jahre und Jahrzehnte engagiert hätten. Sie zweifelten, ob sie bleiben könnten bei dieser Kirche, bei der sich anscheinend nichts bewege. „Was wir sehen, was wir kennen, ist wahrhaftig sehr sehr ernüchternd“, stellte er fest. Das habe auch Kardinal Marx bewogen, von dem „toten Punkt“ der Kirche zu sprechen. Der wiederum hatte damit den Jesuiten Alfred Delp zitiert, der 1944 in der Todeszelle diese Formulierung gebraucht hatte. Der dort aufgeschriebene Text über „Das Schicksal der Kirchen“ sei weit voraussehend und vielleicht auf unsere Zeit jetzt erst wirklich zutreffend, so Bätzing.
Unseren Glauben demütig einbringen
Die Kirche sei an einem toten Punkt und sie müsse geweckt werden, hatte Delp geschrieben und vier Weckrufe notiert, auf die sich der Bischof mit eindringlichen Worten bezog. Der erste Punkt betreffe die Ökumene, zu der es keine Alternative gebe. „Die Menschen werden nur auf uns schauen und uns zuhören, wenn wir stark miteinander auftreten als Christen“, betonte er. Für das „innere Gezänk und die Streitigkeiten zwischen Theologinnen und Theologen“ hätten viele kein Verständnis mehr. Zum zweiten sei Realismus gefordert. „Wir sind als Kirche, wenn wir nur in diese Stadt hinein schauen, eine gesellschaftliche Gruppe, eine Glaubensgruppe unter vielen“, sagte der Bischof und sprach sich dafür aus, „unser Weltverständnis und unseren Gottesglauben demütig einzubringen“.
Sich bewegen lassen von der Not der Menschen
Die Kirche werde nur Zukunft haben, wenn sie konsequent in die Diakonie hineingehe und sich bewegen lasse von der Not der Menschen. Diese Überzeugung Delps lasse auch ihn seit Beginn seiner Amtszeit immer wieder die Frage in den Mittelpunkt stellen, "für wen sind wir da, wozu braucht man uns.“ Das sei die diakonische Perspektive und in die hinein „werden wir uns entwickeln oder es wird uns nicht mehr geben.“ Zuletzt unterstrich der Bischof die Bedeutung des vierten Delp‘schen Weckrufes - den in die Innerlichkeit, zu einer Haltung der Hingabe und der Anbetung. Heute komme es vor allem darauf an, sich über die eigene Gottesbeziehung, das eigene Glaubensleben ganz persönlich miteinander auszutauschen und diese Erfahrungen einander anzuvertrauen.

„Nicht totsagen, sondern wachrütteln“: Diese Losung gab Bätzing zum Abschluss aus, verbunden mit viel Ermutigung. Jesus habe es in den vergangenen 2000 Jahren geschafft, Menschen in jeder Zeit wachzurufen und die Kirche aus dem Schlaf der Sicherheit in einen neuen Aufstand hinein zu wecken. „Ich wünsche uns, dass wir das ergreifen, dass wir uns von Jesus wachrütteln lassen, dass wir unseren Auftrag erfüllen, der uns gegeben ist: Kirche für die Menschen zu sein.“
Weitere Informationen rund um die Visitation finden sich auf der Homepage der Pfarrei unter https://www.bonifatius-wiesbaden.de.
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