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FRANKFURT, 12.03.2021

Ausgebremst beim Neustart

Eine Unterkunft und Meldeadresse für den Start in Deutschland bietet das vom Bistum Limburg finanzierte Projekt Casa San Antonio in Rödelheim. Doch aufgrund der Pandemie ist die Casa für viele Bewohner mittlerweile zur Dauerstation geworden.

Der Briefkasten des Hauses in der Alexanderstraße ist übersäht mit Namensaufklebern. Manche grade, andere schief, manche mit der Hand beschriftet, andere bedruckt. „Die Leute kriegen meist noch lange nach ihrem Auszug Briefe“, sagt Manuela Martins, Pastorale Mitarbeiterin der italienischen katholischen Gemeinde und gute Seele der Casa San Antonio. „Deshalb lassen wir die Aufkleber immer noch einige Zeit am Briefkasten. Es soll ja kein Brief verloren gehen.“

Der Briefkasten ist Sinnbild des Konzepts, denn normalerweise herrscht bei den Bewohnern der Casa San Antonio ein ständiger Wechsel. Das Projekt, das 2015 unter dem Namen „Neustart in Frankfurt - Casa San Antonio“ von der Italienischen, der Portugiesischsprachigen und der Spanischsprachigen Gemeinde Frankfurt gemeinsam mit dem Gesamtverband der Katholischen Kirchengemeinden ins Leben gerufen wurde, ist eigentlich nur als Starthilfe gedacht. Im ehemaligen Pfarrhaus von Sankt Antonius Rödelheim können mittellose Arbeitsmigranten aus EU-Staaten vorübergehend unterkommen, bis sie sich eine eigene Wohnung leisten können. Die Bewohnerinnen und Bewohner zahlen lediglich einen Beitrag zu den Nebenkosten, aber keine Miete.

Klares Ziel, klare Regeln

Vorübergehend, wohlgemerkt. Der Aufenthalt ist auf drei Monate befristet und kann dann noch um einen weiteren Monat verlängert werden. Aber das klare Ziel ist, die Menschen in die finanzielle Selbständigkeit zu entlassen. Daher darf in die Casa auch nur einziehen, wer einen Arbeitsvertrag in Aussicht hat.

Normalerweise, vorübergehend, in Aussicht – all das sind Begriffe, die mit Ausbruch der Pandemie und dem damit verbundenen ersten und zweiten Lockdown fast vollständig an Bedeutung verloren haben. Denn bis auf eins sind alle acht Zimmer momentan besetzt, die Menschen zum Teil schon neun Monate da.

Jobs in der Gastronomie gibt es keine

Die ganze Pandemie hindurch sei das Haus schon voll, erzählt Manuela Martins. Im Grunde müsse den Langzeitbewohnern gekündigt werden,– „denn dafür ist die Casa nicht gedacht.“ Doch Jobs, gerade in der Gastronomie, die früher für viele der Starthilfe-Bewohner eine Berufsperspektive war, gibt es keine. „Und wir können sie ja nicht einfach vor die Tür setzen.“

Einer der Namen am Briefkasten gehört zu Marco, 30 Jahre alt. Er kam kurz vor Beginn der Pandemie aus Italien nach Deutschland. Ein italienisches Restaurant hatte ihm einen Arbeitsvertrag versprochen, also brach er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin in der Heimat die Zelte ab und zog nach Frankfurt. Doch fast zeitgleich begann der erste Lockdown– und der Vertrag kam nicht zustande. Weil er nie offiziell in Deutschland gearbeitet hat, hatte der junge Italiener keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Marco und seine Partnerin verloren ihre Unterkunft und wurden obdachlos. Vier Monate schlugen sie sich durch, bevor die Italienische Gemeinde auf sie aufmerksam wurde und eine Unterkunft in der Casa arrangierte. Dem Einzug stand nichts im Wege, denn Marco hatte wiederum einen Vertrag in einem anderen Restaurant in Aussicht.

Mittlerweile leben beide seit fast acht Monaten in der Starthilfe-Einrichtung – doch einen Job zu finden und zu behalten ist immer noch ein Kampf. Trotzdem steht für Marco fest, dass er nicht zurück nach Italien will. Lieber versucht er weiter, in Frankfurt Fuß zu fassen – und geht in ganz schlechten Phasen Flaschensammeln. „Ich habe mich für einen Neuanfang in Deutschland entschieden, und das ziehe ich jetzt auch durch“, sagt er entschlossen auf Italienisch.

Deutsch spricht Marco nicht. Und auch das ist der Pandemie geschuldet. „Vor dem ersten Lockdown haben Lehrer ehrenamtlich Deutschkurse in Räumen der Casa veranstaltet, an denen viele Bewohner gerne teilgenommen haben“, erzählt Manuela Martins. Doch die können schon lange nicht mehr stattfinden, und ohne Kurs, Job oder Kontakte ist Deutschlernen fast ausgeschlossen.

Ein Engel, auch bei Zahnschmerzen

Marco ist der Ernst der Lage bewusst. Umso dankbarer ist er Manuela Martins, die mit ihrem Engagement nicht nur für ein Dach über dem Kopf sorgt. Ein Engel sei sie, sagt er. So habe sie, als er üble Zahnschmerzen hatte, einen Arzttermin für ihn arrangiert und ihn und seine Partnerin auch ansonsten immer unterstützt.

Manuela Martins winkt ab, sie möchte nicht gelobt werden. Dabei hat die Frau mit den portugiesischen Wurzeln, die seit drei Jahren in der Casa arbeitet und neben ihrer Muttersprache auch fließend Italienisch und etwas Spanisch spricht, viele glühende Fans auf den drei Stockwerken. Kein Wunder, denn neben den täglich anfallenden großen und kleinen menschlichen Dramen kümmert sie sich ums soziale Gefüge und findet – in Zusammenarbeit mit den Ansprechpartner der andere Muttersprachigen Gemeinden – für fast jedes Problem eine Lösung.

Und so ist die Casa in der Pandemie für ihre Bewohner ein Hafen geworden, der sicherer ist, als sein Ursprungskonzept es vorsieht. Doch während die Männer und Frauen, Mütter, Kinder und Familien auf bessere Zeiten warten, träumen sie schon einmal von der Zukunft. Natürlich möchte er bald in eine eigene Wohnung ziehen, mit einem Bad und eigener Küche, sagt Marco. Doch der Starthilfe in der schlimmsten Zeit wird er für immer dankbar sein: „Die Casa ist meine Basis, der Grundstein meiner hoffentlich guten Zukunft hier in Deutschland.“

Unterstützung des Stadtsynodalrats

Der Gesamtverband der Katholischen Kirchengemeinden ist Träger des Hauses. Die örtliche Gemeinde, die Dompfarrei, zu der alle drei muttersprachlichen Gemeinden gehören, die Stadtkirche und der Caritasverband unterstützen das Projekt. Das Bistum finanziert es zum größten Teil. Doch momentan gilt die Finanzierungszusage immer nur für drei Jahre und wird anschließend verlängert. Das soll sich nun ändern. Die Casa San Antonio war deshalb Thema in der letzten Stadtsynodalratssitzung, da das Projekt dabei ist, eine unbefristete Genehmigung beim Bistum zu beantragen, und darum gebeten hat, dass der Stadtsynodalrat (SSR) dieses Anliegen unterstützt.

Stadtsynodalrats-Mitglied Jill Heuer stellte die Casa bei der jüngsten Sitzung des SSR vor. „Dem Stadtsynodalrat war und ist es wichtig, dieses Projekt zu unterstützen, da es auf eine große Nachfrage stößt. Der Bedarf ist da – und es bräuchte eigentlich mehr solche Projekte, um ihn zu decken“, sagt sie. Zudem handele es sich um ein gut etabliertes und gut organisiertes Projekt, bei dem der SSR darauf vertrauen können, dass es in den kommenden Jahren weiter zuverlässig laufen wird. Auch die Unterstützung der muttersprachlichen Gemeinden, die meist die erste Anlaufstelle sind, sei den Synodalen ein Anliegen. Deshalb folgte der Stadtsynodalrat nach einer Aussprache der Empfehlung der Kleingruppe und beschloss, den Antrag der muttersprachlichen Gemeinden auf Fortsetzung der finanziellen Unterstützung durch das Bistum zu unterstützen. Eine Entscheidung des Bistums steht noch aus.

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