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SECK/RENNEROD, 12.08.2022

Kirche auf dem Campingplatz

Für drei Wochen im Sommer entsteht auf einem Campingplatz in Seck im Westerwald eine Kirche auf Zeit. Getragen wird das Projekt von Ehrenamtlichen. 

„Das sieht lecker aus“, platzt es aus einem kleinen Jungen hervor. Fünf Kinder stehen rund um einen Biertisch und starren gut gelaunt und kichernd auf den Inhalt einer weiß lackierten Blechschale. Mit ihren Händen vermischen sie Mehl, Salz, Wasser, Zitronensäure und Öl und machen daraus Knete. Etwa 40 Personen sind an einem Freitagvormittag im August zur Kirche auf dem Campingplatz auf dem Areal des Camping-Park Weiherhof am See gekommen. Nach dem gemeinsamen Singen mit Gitarre haben sich kleine Grüppchen gebildet, um im großen Gemeinschaftszelt zu basteln. Mit einem Pack Mehl in der Hand schlängelt sich Iris Mendel von Tisch zu Tisch und schaut den kleinen und großen Campern über die Schulter. „Das sieht doch schon super aus bei euch“, sagt die Religionslehrerin, die mit ihrem Mann Peter zum Team der Campingkirche gehört, zu der Fünfergruppe. Dann streut sie noch etwas Mehl in die Schüssel. „Und weiter geht‘s mit Kneten.“

Die Themen nimmt man mit auf den Platz

Am Nachbartisch beginnt eine Familie bereits damit farbiges Pulver beizumischen. „Was willst du daraus jetzt machen?“, fragt Natascha Adams ihre Tochter. Wenig später liegt eine blaue Blume mit grünen Blättern aus Knete auf einem Blatt Papier, das als Unterlage dient. „Vor einigen Jahren haben wir schon einmal von der Campingkirche gehört. Da waren die Kinder aber noch zu klein. Wir sind jetzt das erste Mal dabei“, erzählt Adams. In der vergangenen Woche hätten sie bei fast allen Aktivitäten teilgenommen. Nur den Wandertag hätte die Familie aus Nordrhein-Westfalen verpasst. „Da war es einfach viel zu heiß.“

Eine Kirche unterwegs zu den Menschen

„Wir machen Angebote für Menschen in der schönsten Zeit des Jahres“, erzählt Peter Mendel aus Mainz, der sich seit 1991 für die Kirche auf dem Campingplatz engagiert und als IT-Systemadministrator arbeitet. Zum diesjährigen Motto „Geheimnissen auf der Spur“ dreht sich alles um Sherlock Holmes, die Baker Street, das Detektivhandwerk und kleine und große Geheimnisse. An einem gemeinsamen Wochenende im Frühjahr hatte sich das Team getroffen und ein kreatives Programm für die drei Sommerwochen ausgedacht: Ratekrimis und Lagerfeuer an Abenden, Familienausflüge zu geheimnisvollen Orten, Streifzüge durch die Natur, Bastelworkshops und Gottesdienste gehören dazu.

1978 hatten sich Theologiestudierende der Frankfurter Hochschule Sankt Georgen und der Secker Pfarrer Josef Müller zusammengetan, um ein kirchliches Angebot für Urlauber im Westerwald aufzubauen. Inspiriert war die Gruppe dabei, so Peter Mendel, vom Zweiten Vatikanischen Konzil und der Idee, dass sich Kirche als „Gleiche unter Gleichen“ aufmacht, um bei den Menschen zu sein. Heute tragen ein Förderverein und ein Team aus Ehrenamtlichen das Projekt weitestgehend alleine. Studierende sind nicht mehr darunter. An dem damaligen Konzept, das auch heute noch modern ist, hat sich aber nichts geändert. Mit offenen Angeboten und Aktivitäten spricht das international und ökumenisch zusammengesetzte Team der Kirche auf dem Campingplatz alle Menschen an. Persönlicher Glaube oder auch die Konfession spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle.

Lebensbegleitung über viele Jahre

„Es geht uns darum, Gemeinschaft zu schaffen und offen zu sein für Gespräche“, sagt Peter Mendel. „Zu uns kommen auch Menschen, die ansonsten gar nicht in die Kirche gehen.“ Mit einer bloßen Kinderanimation dürfe das nicht verwechselt werden, ergänzt Iris Mendel. „Die Gemeinschaft wächst mit den Beziehungen. Dass wir das schon seit so vielen Jahren machen, vertieft unsere Arbeit und Beziehungen.“ Nicht selten sei das Team auch als Seelsorger gefragt. Denn aus der Gemeinschaft vor Ort eröffneten sich auch immer wieder Räume für tiefe Gespräche über Schwierigkeiten und Sorgen im Alltag oder den Glauben. „Im vergangenen Jahr hatten viele Helferinnen und Helfer nach ihren Einsätzen im Ahrtal hier im Westerwald Urlaub gemacht. Da gab es viele sehr existentielle Gespräche“, erinnert sich Iris Mendel. „Das ist schon so etwas wie eine Lebensbegleitung. Es kommen immer wieder viele Leute zu uns, die ich hier schon als Kinder und Jugendliche kennengelernt habe.“

Gondelfahrt beim Seefest

Auf der Wiese vor dem Großen Weiher in Seck herrscht beim Seefest am ersten Augustwochenende schon sehr viel Leben. Die Camper haben bereits am Nachmittag alles vorbereitet für die traditionelle Gondelfahrt am Abend. Etwa 20 geschmückte Schlauchboote, zum Teil mit provisorischen Aufbauten aus dünnen Holzlatten und Paddelstangen, mit Papiergirlanden, farbenfrohen Luftballons und bunten Fähnchen warten darauf, ins Wasser gelassen und von der DLRG über den Weiher gezogen zu werden. An verschiedenen Spiel- und Rätselstationen lösen Kinder kleine Aufgaben. Am Ende winkt ihnen als Belohnung ein Detektivausweis. Aus Boxen schallt der Song „Westerland“ von der Band „Die Ärzte“ über den Platz. Vor dem Waffelstand hat sich eine lange Schlange gebildet. Im Festzelt haben es sich viele Besucherinnen und Besucher bequem gemacht. Ein Stoffbanner mit der Aufschrift „Herzlich willkommen - Kirche auf dem Campingplatz“, das am Zeltgestänge befestigt ist, flattert im Wind.

Jedes Jahr neu für das Projekt entschieden

„Das Seefest ist nicht Kern unseres Projektes. Es ist aber für die Finanzierung sehr wichtig“, erzählt Peter Mendel. In der Anfangszeit habe das Bistum Limburg die Campingkirche noch finanziell sowie bei der Gewinnung von neuen Teammitgliedern unterstützt. Nach dem Rückzug des Bistums um die Jahrtausendwende sprang ein gegründeter Förderverein ein, der seit 2006 das Projekt fast eigenständig trägt. Eine kleine Unterstützung erhält das Projekt heute noch vom katholischen Bezirk Westerwald, Zelte und Ausstattung kommen von verschiedenen Partnern, etwa den Pfadfindern oder der Pfarrei in Seck. Auch so manche Idee könne nur umgesetzt werden, weil Unterstützerinnen und Unterstützer vor Ort den Kontakt etwa zum Förster oder dem Stöffelpark herstellten und nicht zuletzt Camperinnen und Camper sowie Platzbesitzer helfend zur Seite stehen.

„Man muss auch Logistiker und Manager sein“, sagt Peter Mendel und schmunzelt. Vieles klappe nur durch Beziehungen und persönliche Kontakte. Auch deshalb wünsche er sich in Zukunft wieder etwas mehr Unterstützung seitens des Bistums. „Obwohl es viel Arbeit ist, entscheiden wir uns immer wieder dafür, weil es so sinnvoll ist“, sagt Iris Mendel. „Viele Menschen kommen immer wieder und erzählen auch anderen von der Kirche auf dem Campingplatz. So entsteht jedes Jahr eine neue Gemeinde auf Zeit.“ Manche Camper seien dann einfach überrascht, dass Kirche hier auf dem Campingplatz auf diese Art und Weise auch präsent sei.

Für Familie Adams aus Nordrhein-Westfalen ist der zweiwöchige Urlaub fast schon wieder vorbei. „Morgen geht es wieder zurück nach Hause“, sagt Natascha Adams. Im kommenden Jahr werden sie vielleicht wieder zum Campen kommen. Besonders schön sei gewesen, dass sie durch die Kirche auf dem Campingplatz so viele Bekanntschaften und Kontakte geknüpft hätten. „Die Themen und Freundschaften von der Kirche nimmt man mit zurück auf den Campingplatz.“ Und vielleicht auch ins Leben.

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