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LIMBURG/FRANKFURT, 18.03.2022

„Der Friedhof bekommt Konkurrenz“

Der Umgang mit Tod und Sterben verändert sich. 70 Teilnehmende informierten sich darüber beim Studientag Trauerpastoral.

Die Asche von Verstorbenen in einem Behälter direkt um den Hals tragen, daraus Schmucksteine und künstliche Diamanten pressen, sie in der Natur ausstreuen oder gar in den Weltraum schießen lassen. Die Art und Weise, wie Menschen mit dem Tod umgehen, verändert sich. „Es gibt nicht mehr die typische Bestattungsform und den typischen Bestattungsort““, machten die beiden Passauer Soziologen Thorsten Benkel und Matthias Meitzler beim Studientag Trauerpastoral des Bistums Limburg deutlich. Die etwa 70 Teilnehmenden beschäftigten am Donnerstag, 17. März,  unter dem Motto „Trauer 2.0“ über Trauerbegleitung in Zeiten gesellschaftlicher und politischer Veränderung. 

Besonders gut lässt sich der Wandel an der zeitgenössischen Bestattungskultur in Deutschland erkennen. „Hier gibt es massive Umbrüche“, so Meitzler. „Gräber verändern sich in ihrer Optik. Sie werden tendenziell kleiner und so eingerichtet, dass sie Kosten und Pflege sparen. Gleichzeitig werden sie individueller und persönlicher gestaltet“, erklärte der Soziologie. „Der Friedhof bekommt Konkurrenz. Er hat seine unhinterfragte Monopolstellung verloren“, verdeutlichte Meitzler und verwies dabei auf neue Formen von Bestattungen und größere Auswahlmöglichkeiten, etwa die Seebestattung oder das Ausstreuen der Asche an Plätzen, die dem Verstorbenen wichtig waren. Der Soziologe machte aber deutlich, dass es hier nicht nur um Orte gehe. Die christliche Vorstellung von der Auferstehung der Toten und einem Leben nach dem Tod habe in den vergangenen Jahren an Geltung und Verbindlichkeit verloren, neue Konzepte seien hinzugetreten.

Gräber sind Displays für die Persönlichkeit der Verstorbenen

„Die Grabstätten werden mehr und mehr zu einem Display der Persönlichkeit“, sagt Thorsten Benkel und untermauerte dies mit Fotografien zeitgenössischer Grabsteine, auf denen beispielsweise das Logo des Playboys, der Schriftzug „Game over“ oder ein Sherlock-Homes-Icon zu sehen war.  „Es fällt auf, dass die religiösen Symbole verschwinden. Als Bekenntnissymbol ist das Kreuz definitiv auf dem Rückzug“, sagte Thorsten Benkel, der bereits diverse Bücher zu dem Thema veröffentlicht. Während des Studiengangs ging er auch auf die gesetzliche Situation in Deutschland ein. Dort gelte nach wie vor die Friedhofspflicht, die besagt, dass Verstorbene auf einem Friedhof und nirgendwo anders beigesetzt werden dürfen. Es falle auch auf, dass die Bundesrepublik den Umgang mit Tod und Sterben stärker reguliere als ihre europäischen Nachbarn, die vor Jahrzehnten eine weiterreichende Liberalisierung angestoßen hätten. In Deutschland gebe es aber auch den Trend zu individuelleren und vielfältige Bestattungsformen. „Der Weggang von der Friedhofspflicht und damit verbunden der Verlust bestimmter Rituale ist Realität. Wir prognostizieren, dass diese autonomen Bestattungsformen weiter zunehmen werden.“

Corona-Pandemie erschwert das Trauern

„Corona hat Trauerprozesse unsichtbarer und unfassbarer gemacht“, meint die Theologin und Trauerseelsorgerin Angelika Daiker. „Wichtige Voraussetzungen für eine gute Trauer ist nicht 2G, sondern die 3 B - besuchen, begleiten und berühren. Das war in den letzten zwei Jahren immens erschwert.“ Die Strategie der Behörden sei in den letzten beiden Jahren gewesen, den Tod unter allen Umständen zu verhindern. Dadurch sei aber auch die Chance verpasst worden, Räume für Trauer zu schaffen. Und Trauernde hätten sich nicht getraut, in dieser Situation ihre Bedürfnisse zu äußern und Angebote in Anspruch zu nehmen. Es habe in Krankenhäusern und Hospizen deutlich weniger Anfragen nach Trauerbegleitung gegeben. Die Ursache sieht Daiker auch darin, dass professionelle Pflegende und ehrenamtliche Trauerbegleitende in der Pandemie aufgrund der außergewöhnlichen Umstände und der hohen Belastung vielfach an ihre Grenzen gekommen seien. Sie hätten nicht wie gewohnt auf bestehende Angebote verweisen beziehungsweise oder einen Rahmen für das Trauern anbieten und schaffen können. Trotz einer verstärkten öffentlichen Wahrnehmung etwa durch große Trauergottesdienste sei so eine Relativierung von Trauer eingetreten. Notwendig sei nun, wieder an den guten Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte in der Trauerbegleitung anzuknüpfen und wieder eine Vielfalt an Erzähl- und Trauerräumen zu schaffen.

Der Studientag wurde vom Arbeitskreis Trauerpastoral im Bistum Limburg veranstaltet. Zu dem Arbeitskreis gehören unter anderem das Zentrum für Trauerseelsorge St. Michael in Frankfurt, das Referat 3. und 4. Lebensalter im Bistum Limburg, die Trauerseelsorge in Wiesbaden sowie die Klinikseelsorge. Der Studientag richtete sich sowohl an Interessenten aus dem kirchlichen als auch aus dem privaten beziehungsweise kommunalen Bereich.  
 

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