FRANKFURT, 24.03.2022
Wo die Polizei Trost findet
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„Balsam für die Seele“ steht auf der kleinen weißen Flasche, doch eigentlich ist Handcreme drin. „Die haben wir von der katholischen Polizeiseelsorge im Bistum Limburg im vergangenen Jahr an Ostern als Präsente auf den Revieren verteilt“, sagt Polizeiseelsorger Stephan Arnold. Auch er selbst fuhr damals durch die ganze Stadt, um die kleine Aufmerksamkeit zu überbringen. Oft ging die Übergabe schnell, doch in einem Fall merkte er, schon als er das Polizeirevier betrat, dass der Kollege dort bedrückt war. „Im Gespräch stellte sich heraus, dass dort am selben Morgen jemand nach langer Krankheit verstorben war“, so Arnold. Er nahm sich Zeit, sprach ganze eineinhalb Stunden mit dem Mann – und lieferte so tatsächlich „Balsam für die Seele“.
Seit Oktober 2020 ist Stephan Arnold Polizeiseelsorger für Frankfurt. Er ist zuständig für alle Menschen, die für die hessische Polizei in Frankfurt arbeiten, und bietet wöchentliche Sprechstunden im Polizeipräsidium an der Adickesallee an. In einem Mehrzweckraum feiert er regelmäßig Andachten, zu denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Religionen willkommen sind. „Zu diesem Zweck schmücken wir den Mehrzweckraum mit einem Tisch, den wir mit einer Decke in einen Altar verwandeln, und einem schönen Holzkreuz, das ein Kriminalhauptkommissar selbst gebaut hat“, so Arnold.
Erkenntnis in London
Bevor der 57-Jährige Diakon auf seine jetzige Stelle kam, arbeitete er hauptsächlich in Pfarreien. Nach dem Theologie-Studium in St. Georgen und Würzburg war er in den 1990er Jahren als Pastoralreferent an zwei Frankfurter Kirchorten und von 1998 ab zehn Jahre in der Wiesbadener Innenstadtgemeinde Dreifaltigkeit (jetzt Pfarrei St. Bonifatius). 2006 wurde er zum Diakon geweiht und war ab 2008 bis 2014 Bezirksreferent in Wiesbaden. Anschließend ging er mit seiner Frau nach London und arbeitete sechs Jahre lang in der deutschsprachigen katholischen Gemeinde in den Stadtteilen Whitechapel und Richmond.
Eine lebendige, schöne Zeit, in der ihm erstmals auffiel, mit wie viel mehr Respekt in England Bedienstete von Polizei und Militär behandelt werden. Das machte ihn nachdenklich, immerhin ist auch seine Nichte Polizistin. „Hier in Deutschland werden Polizistinnen und Polizisten, Soldatinnen und Soldaten oft wenig gewürdigt“, sagt er. „Sie werden in der Öffentlichkeit manchmal respektlos behandelt. Auf die Idee, Angehörige von Militär, Polizei, Rettungsdiensten und Gesundheitsdienst, die im Dienst gestorben sind, zu ehren, so wie es in England zentral am Remembrance Day geschieht, kommt man hier gar nicht.“ Als seine befristete Stelle in London endete, informierte er sich in seinem Heimatbistum Limburg über mögliche nächste berufliche Schritte – und kam so zur Polizeiseelsorge.
Die Aufgabe ist oft nicht ohne
Eine neue und durchaus auch große Herausforderung sei das gewesen, sagt Arnold, der bis dahin bis auf Gespräche mit seiner Nichte kaum Berührung zur Polizei hatte. Doch zum Glück gibt es Kolleginnen und Kollegen, die ihn unterstützen und ihm gerade am Anfang viel erklären konnten. Arnold ist einer von zwei katholischen Polizeiseelsorgern im Bistum Limburg – und einer von fünf in Hessen. Das Fünferteam, zu dem auch die andere Polizeiseelsorgerin des Bistums, Sabine Christe-Philippi, gehört, arbeitet über Bistumsgrenzen eng zusammen, hilft sich gegenseitig und hat regelmäßig gemeinsame Dienstgespräche. Der Austausch ist wichtig – und guter Rat von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen immer willkommen. Denn die Aufgabe ist oft nicht ohne.
In Frankfurt ist Arnold für mehr als 4000 Polizeibedienstete ansprechbar, gelegentlich fährt er als seelsorgerische Unterstützung auch mit auf Einsätze, zum Beispiel Demonstrationen. Dabei erlebt er die Fragen, mit denen Polizistinnen und Polizisten im Alltag konfrontiert sind, hautnah mit. Wo verläuft die Linie zwischen Recht und Gerechtigkeit? Wie überbringt man eine Todesnachricht, wie verhält man sich in Extremsituationen oder im Dilemma, aus dem es kaum einen richtigen Ausweg gibt? Welche kulturellen Feinheiten gilt es zu beachten, wenn man im Dienst zu Menschen nach Hause kommt? Auf diese Problematiken werden angehende Polizisten schon in der Ausbildung vorbereitet, und auch hier ist Arnold eingebunden: Er unterrichtet an der Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS), an der die angehenden Polizistinnen und Polizisten studieren, in Wiesbaden und Mühlheim das Fach Berufsethik.
Mit seiner Arbeit als Seelsorger sieht er sich als Ergänzung des weltlich gut aufgestellten Hilfsnetzes, auf das Polizisten zurückgreifen können: Unter anderem gibt es einen polizeipsychologischen Dienst und ein Netzwerk psychosozialer Unterstützung, außerdem sei der Zusammenhalt innerhalb der Teams oft sehr stark, hat er beobachtet. Auch Stephan Arnold wird ab und an für ein Gespräch angefragt. Aus gutem Grund: „Wir unterliegen als Seelsorger dem Seelsorgegeheimnis, wir dürfen nichts von dem weitergeben, was wir im Seelsorgegespräch erfahren.“ Wenn jemand zu ihm kommt, fragt er nicht nach der Religion, sondern ist einfach da. In den Gesprächen selbst geht es auch oft um sehr irdische Probleme. „Aber ab und zu wenden sich auch Leute mit religiösen Fragen an mich.“ Dann entstehen oft interessante, manchmal auch interreligiöse Unterhaltungen.
Die nächsten Monate möchte Stephan Arnold nutzen, um sich noch weiter bekannt zu machen unter den Polizistinnen und Polizisten – denn natürlich hat Corona auch ihn in der Startzeit ausgebremst. Doch er ist überzeugt davon, dass Kontakte das wichtigste sind, „denn je mehr Menschen mich kennen, desto mehr nehmen mein Angebot in Anspruch.“ Außerdem würde er gern in Zukunft verstärkt auch ökumenische Projekte und Gottesdienste anstoßen.