FRANKFURT, 22.02.2023
„Wir brauchen Phantasie und Toleranz“
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Deutschland wird voller, heißer und älter. Es gibt überall auf der Welt vielfältige Ideen, dem entgegenzuwirken, doch Frankfurt hinkt hinterher. Das wurde beim Vortrag von Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt, beim Aschermittwoch der Künstler im Haus am Dom deutlich. Neue Stadtviertel in Außenbereichen, Nachverdichtung in der Innenstadt, begrünte Gebäude, die dabei helfen, die Temperatur im Sommer zu senken - „all das ist teuer und machbar – man muss es wollen“, sagte Schmal vor gut 120 geladenen Künstlerinnen und Künstlern im Großen Saal. Gastgeber des Aschermittwochs der Künstler, der erstmals seit 2020 wieder in gewohnter Form mit anschließendem Essen stattfinden konnte, ist traditionell Bischof Georg Bätzing. Er lud nach dem Vortrag zum Aschermittwochsgottesdienst in den Bartholomäusdom ein (die Aschermittwoch-Predigt des Bischofs kann hier nachgelesen werden). Organisiert und moderiert wurde der Abend von Prof. Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom.
Bezahlbares Wohnen wird unser größtes Problem in den nächsten zehn Jahren sein – diese Einschätzung von Peter Cachola Schmal konnten alle Anwesenden aus eigener Erfahrung mit überteuerten Mieten und Immobilien teilen. Teurere Preise, nicht ausreichend viel Wohnraum für eine steigende Bevölkerungszahl – der Wohnmarkt in Frankfurt ist überhitzt. Grund dafür, warum heute deutlich mehr Wohnungen benötigt werden, ist auch die Überalterung, berichtete Schmal: „In Frankfurt sind 52 Prozent aller Haushalte Single-Haushalte, auf Deutschland gerechnet sind es 42 Prozent.“ Wer nun nur an junge Frauen und Männer denkt, die zum Arbeiten in die Stadt kommen, irrt jedoch. „Oft sind das auch Witwen, die allein in ihren großen Wohnungen bleiben, weil umziehen so schwierig wäre“, berichtete der Experte. Zugleich sei die durchschnittliche Wohnfläche in Frankfurt geringer als in Gesamtdeutschland: 38 Quadratmeter hat ein Mensch in Frankfurt im Durchschnitt zur Verfügung, in Deutschland sind es 48 Quadratmeter. „Das liegt daran, dass man sich hier nicht so viel leisten kann wie andernorts, da Wohnen teurer ist.“ Dass die Bevölkerungszahl in Frankfurt steigt, liege auch an den Fluchtbewegungen, die neue Menschen auf der Suche nach einem sicheren Leben in die deutschen Städte treibt. Zugleich steigen Grundstückskosten, Baukosten, Energiekosten, es mangelt an Personal, Material, Lieferketten stocken.
Ideen, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, gibt es laut Schmal natürlich viele: „Man könnte außenverdichten, neue Quartiere schaffen.“ Die TU Darmstadt habe ausgerechnet, dass durch Nachverdichtung zehntausende zusätzliche Wohnungen in Frankfurt möglich. Doch Projekte wie die nun deutlich verkleinerte Josefstadt zwischen Frankfurt und Taunus oder die gestoppten Günthersburghöfe im Nordend machten deutlich, dass zwar jeder für mehr Wohnraum plädiere, diesen allerdings nicht in der Nachbarschaft haben möchte. „Not in my Backyard – nicht in meinem Hinterhof“ heiße dieses Phänomen. Aber Schmal sagte deutlich: „Mit dieser Haltung kommen wir nicht weiter. Transformation muss kommen.“
Schatten nicht vergessen
Was die Überhitzung der Innenstädte durch Klimaerwärmung betrifft, kritisierte Schmal: „Lange wurde die Notwendigkeit von Schatten nicht bedacht. Man wollte Wind, Sonne und Luft, keine engen Hinterhofviertel mehr.“ Doch wie beim Blick auf dem Hitzeplan der Stadt deutlich wurde, sind es natürlich Parks und Grünanlagen, die abkühlen. Sie fehlen zum Großteil in der Innenstadt. Schmal zeigte Beispiele aus Marseille, wo ein verspiegeltes Dach für Schatten sorgt – und zum beliebten Selfie-Motiv geworden ist. Bäume seien natürlich äußerst effektiv, allerdings dürfte man keine kleinen, jungen Bäume kaufen, sondern müsste in 100 Jahre alte investieren. Dann gebe es noch Forscher, die versuchten, natürlichen Schatten künstlich herzustellen; durch Pflanzen, die sich über Stahlseile ergießen zum Beispiel. Gedacht würden solche Ideen längst, gemacht habe es allerdings noch keiner. Reale Best-Practice-Beispiele sind für ihn das grün überrankte Hörsaalgebäude der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, ein gelungen begrünter Innenhof in Bad Homburg oder das begrünte Dach der City Hall in Chicago. Dort, so Schmal, habe man einen Teil des Dachs begrünt und einen anderen mit schwarzem Material verkleidet. Messungen hätten anschließend ergeben, dass bei einer Außentemperatung von 28 Grad über dem begrünten Teil 24 Grad herrschten, über dem schwarzen Teil etwa 50 Grad. „Die Schattenwirkung auf dem begrünten Dach ist enorm, es bindet Staub und mindert Lärm“, zählte er die Vorteile auf. Auch auf Starkregenereignisse wie dem, das 2018 zu einer Flut am Südbahnhof führte, können mit gut durchdachten Gründächern samt Drainagen-Systemen adäquat reagiert werden. „Damit wäre sehr viel mehr Regen gebunden und die Kanalisation nicht mehr überdehnt“ – ein weiterer Vorteil. Alles machbar, alles teuer.
Der Direktor des Deutschen Architekturmuseums sprach sich dafür aus, in die Jahre gekommene Sozialwohnungen nicht abzureißen, sondern durch clevere Ideen so zu sanieren, dass sie mehr Lebensraum und –qualität bieten. In einem Projekt in einem Vorort von Bordeaux, von dem er Bilder zeigte, wurde eine Art Balkon vor einen Wohnblock gesetzt, mit Glas und Vorhängen verkleidet, die die Wärme zurückhalten. Für diese Idee erhielt das französische Architektenduo Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal 2021 den renommierten Prizker-Preis. „Die Miete wurde leicht erhöht, die Energiekosten sind gesunken und jeder würde dort gerne einziehen“, sagte Schmal, der in der Jury sitzt. Eine Idee, die auch das Juridicum in Bockenheim retten könnte? „Fest steht: So könnte man hunderte von Wohnungen in Bockenheim schaffen, die dringend gebraucht würden“, sagte er. „Ich spreche mich dafür aus, dass vor jedem geplanten Abriss erstmal analysiert wird, was sonst möglich ist.“
Um Raum generell besser zu nutzen, seien künftig einfach andere Konzepte gefragt– zum Beispiel gemeinsam genutzte Flächen. Schulen, in denen Nachmittags und am Wochenende anderes stattfindet, Parks, in denen Sportflächen vorrangig für Sportunterricht, aber auch von anderen Gruppen genutzt werden. Gefragt seien Phantasie und Toleranz auf Seiten der Bauträger, um mehr möglich zu machen.
Warum können wir keine Plätze?
Etwas, das in Frankfurt auffallend sei, so eine Anmerkung aus dem Publikum, sei, dass öffentlicher Raum, vor allem Plätze, nicht gut genutzt würden. „Woran es liegt, dass wir keine Plätze können, habe ich mich auch schon oft gefragt“, antwortete Schmal. „Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass wir nie einen repräsentativen Anstrich hatten. Städte mit Königen und Fürsten haben repräsentative Ideen; hier hingegen haben Händlerfamilien geherrscht, die lieber eine Uni gegründet haben, eine Messe, einen Zoo. Plätze waren nicht so gefragt.“
Woran es liegt, dass in Frankfurt beim Thema Bauen in der vergangenen Dekade gefühlt wenig vorwärts gegangen ist? „Früher hat die Oberbürgermeisterin Dinge zur Chefsache gemacht und vorangetrieben, dann passierte zehn Jahre nicht. Der Druck fehlte, Bau voranzubringen. Es gibt sehr viele Partikularinteressen. Entscheidungen müssen schneller getroffen und dann durchgezogen werden.“ Prof. Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom, moderierte die Veranstaltung und fasste zusammen: „Gute Ideen müssten gebündelt und zentral durchgeführt werden.“ Unter einem neuen Oberbürgermeister oder einer neuen Oberbürgermeisterin gibt es dafür zumindest wieder Hoffnung.
Der Aschermittwoch der Künstler mit Vortrag von Peter Cachola Schmal wurde gestreamt und kann hier als Video angeschaut werden.
Über den Aschermittwoch der Künstler
Der Brauch des Aschermittwochs für Künstler geht auf den französischen Schriftsteller Paul Claudel (1868-1955) zurück. Er dient dazu, den Blick auf die Künstler zu lenken und sie mit Kirche und Gesellschaft ins Gespräch zu bringen. Ein mit Claudel befreundeter Kölner Stadtdechant hatte die Idee nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegriffen und sie erstmals 1950 also vor über 70 Jahren von Paris nach Köln gebracht. Im Bistum Limburg wurde der Aschermittwoch der Künstler bereits zum 63. Mal gefeiert, zum 16. Mal im Haus am Dom.